Kassenkampf ums Klassenzimmer

Kassenkampf ums Klassenzimmer
Mehr Plätze als geplant soll es geben. Wie sie finanziert werden, ist strittig.

Von mir aus können wir das schon nächste Woche beschließen.“ Bundeskanzler Werner Faymann macht Tempo in Sachen Ganztagsschule. Die ÖVP ist mittlerweile auch dafür, mehr Plätze als geplant zu schaffen. Wie das finanziert werden soll, ist noch offen. Der KURIER beantwortet Fragen rund um das Streitthema.

Wie viele Ganztagsplätze gibt es derzeit?
Laut Bildungsministerium sind es rund 119.000 Ganztagsplätze an Pflichtschulen und AHS-Unterstufen. Das heißt: 17,5 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen besuchen entweder eine Ganztagsschule (Unterricht und Freizeit sind auf den ganzen Tag verteilt) oder eine Schule mit Nachmittagsbetreuung (Unterricht am Vormittag, Freizeitbetreuung am Nachmittag). Die meisten Ganztagsplätze gibt es in Wien (47.200), die wenigsten in Kärnten (4800). Zählt man die rund 50.000 Hortplätze (außerschulische Nachmittagsbetreuung) dazu, werden knapp 25 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen ganztätig an Schulen betreut. Ganztagsbetreuung heißt, dass die Kinder bis mindestens 16 Uhr beaufsichtigt werden.

Wie hoch ist der Bedarf an Ganztagsplätzen?
Laut Umfragen wünscht sich mehr als die Hälfte aller Eltern einen Ganztagsbetreuungsplatz für die Kinder, heißt es im Bildungsministerium. Demnach würde der Bedarf bei rund 350.000 Plätzen liegen.

Wie viele Plätze werden in den kommenden Jahren fix dazukommen?
Die Regierung hat beschlossen, bis 2014 jährlich 80 Millionen Euro in den Ausbau der Ganztagsbetreuung zu investieren, um
auf 160.000 Plätze zu kommen.

Worüber wird noch verhandelt?
Die SPÖ will die Finanzierung verlängern und erhöhen – bis 2018 sollen jährlich 160 Millionen Euro fließen, um letztlich auf 200.000 Plätze zu kommen. Nimmt man die Hortplätze dazu, hätten dann 37 Prozent aller 6- bis 14-Jährigen einen Betreuungsplatz. Die ÖVP ist mittlerweile bereit, mehr Ganztagsplätze zu schaffen – unter einer Bedingung. Bildungsministerin Claudia Schmied müsse zuvor mit den Ländern einen detaillierten Ausbauplan verhandeln. Das will sie tun. Nach wie vor ungeklärt ist, wie die zusätzlichen Plätze finanziert werden sollen. Die SPÖ möchte Einnahmen aus einer Erbschaftssteuer dafür verwenden, die ÖVP Mittel aus Privatisierungen.

Kassenkampf ums Klassenzimmer

Wie viel müssen Eltern für die ganztägige Betreuung ihrer Kinder zahlen?
Das entscheidet der Schulerhalter (bei Pflichtschulen die Gemeinden, bei Gymnasien der Bund), daher differieren die Kosten. In Wien zahlen Mütter und Väter etwa für den Ganztagsschulplatz im Schnitt 98 Euro im Monat. Dazu kommen zwischen 3,10 und 4,90 Euro pro Tag für das Essen. Die Kosten werden sozial gestaffelt. Eltern mit sehr geringem Einkommen zahlen nichts.

Wer entscheidet darüber, wo eine Ganztagsschule entsteht?
Eltern haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Betreuungsplatz für ihr Kind: Wenn zehn AHS-Schüler einen Platz brauchen (und sich dafür anmelden), muss es Nachmittagsbetreuung geben. Bei den Pflichtschulen legen die Bundesländer die Limits fest. Ab 15 Kinder sind aber jedenfalls Plätze zur Verfügung zu stellen. Einen Rechtsanspruch auf einen echten Ganztagsschulplatz gibt es nur, wenn zwei Drittel aller Eltern und aller Lehrer der betroffenen Klasse dafür sind.

Was ist der Unterschied zwischen einer Ganztagsschule und der Gesamtschule?
In einer Ganztagsschule werden Unterricht und Freizeit über den gesamten Tag verteilt. Es besteht für den ganzen Tag Anwesenheitspflicht. Gesamtschule heißt, dass es nur einen Schultyp für alle 10- bis 14-Jährigen gibt. Die Schüler sollen aber individuell gefördert werden. Derzeit gibt es drei Schulformen: Die Hauptschule, die „Neue Mittelschule“ und die AHS-Unterstufe. Die SPÖ ist für die Gesamtschule, die ÖVP dagegen.

Mehr Ganztagsplätze als geplant – das hat Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer gefordert. Vorausgesetzt, sie werden vom Bund auch finanziert: „Es kann ja nicht sein, dass die Gemeinden als Schulerhalter auf den Kosten sitzen bleiben.“ Und so behagt ihm, dass Rot und Schwarz zusätzliches Geld geben wollen.
Der hochrangige ÖVP-Mann hat aber weitere Wünsche an die hohe Politik. Etwa jenen, den Lehrern Einfluss zu nehmen. „Derzeit entscheiden ja Lehrer und Eltern gemeinsam, ob es ein Ganztagsangebot geben soll. Da stoßen oft die Interessen aufeinander“, befindet Mödlhammer im KURIER-Gespräch. „Die Eltern müssen das entscheidende Wort haben. Es darf nicht sein, dass die Lehrer blockieren können.“ Zudem sei für die Ganztagsbetreuung Lehrpersonal vonnöten: „Kein Lehrer soll sagen können, dass er das nicht will.“ Es gehe nicht an, „dass die Hausaufgaben nicht gemacht sind, wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen“. Mit Freizeitpädagogen ist es für Mödlhammer nicht getan. „Natürlich muss das den Lehrern abgegolten werden. Das ist mit dem neuen Dienstrecht zu lösen.“

Geld „nicht mein Bier“

Mödlhammer drängt auf baldige Verhandlungen mit Bildungsministerin Schmied – darüber, wie Plätze und Mittel verteilt werden. „Die Länder sind nur die Geldverwalter, wir sind die Schulerhalter. Es braucht klare Richtlinien, wie das Geld direkt an die Gemeinden geht. Die kennen die Bedürfnisse. Diese bürokratischen Umwege müssen weg.“ Zudem ist Mödlhammer das Fördersystem zu starr: „Die Kriterien müssen flexibler werden, damit für jede Schule individuelle Öffnungszeiten und Verfügbarkeit gestaltet werden können. Über die Bedürfnisse muss vor Ort entschieden werden, kleine und große Schulen haben teils unterschiedliche Anforderungen.“
Woher soll das Geld für neue Plätze kommen? „Das ist nicht mein Bier. Das ist eine Entscheidung des Bundes.“

Die noch gar nicht wieder eingeführte Erbschaftssteuer ist bereits drei Mal „verschachert“: Der SPÖ-Finanzstaatssekretär will damit die Lohnsteuer senken. Der ÖGB glaubt, damit die Pflegekosten in den Griff zu kriegen. Und Bundeskanzler Faymann will sie neuerdings für den Ausbau der Ganztagsschulen verwenden. Die erhofften Mittel dürften allerdings nicht einmal für eines der drei Vorhaben reichen. Natürlich sind mehr Ganztagsschulen mit einer Verschränkung von Unterrichts- und Freizeit nötig. Aber das setzt ein riesiges Schulneu- und -umbauprogramm voraus. In einer zeitgemäßen Ganztagsschule sitzen die Schüler ja nicht den ganzen Tag eingepfercht in demselben Klassenzimmer. Das wäre eine Art „Kindergefängnis“, jeder Stadt-Hund hätte mehr Auslauf. Es braucht Ess- und Aufenthaltsräume, Bewegungsmöglichkeiten im Freien, Musikzimmer und einen ernst zu nehmenden Arbeitsplatz für alle Pädagogen. Dann sind sowohl Unterstützung bei Hausaufgaben als auch Förderung sozial benachteiligter Kinder besser als bisher möglich. Die ÖVP zögerte lange (und wirkte wie so oft altmodisch), weil sie sich als Schutzherrin der Lehrerschaft, der Musikschulen, Sportvereine und jener Familien empfindet, die ihre Kinder selbst betreuen wollen. Der Lehrberuf lässt sich ja ähnlich wie die Richter-Arbeit gut mit einer Familie vereinbaren – weshalb beides zum „Frauenberuf“ wurde. Wenn Schüler aber ganztags betreut werden, wird auch die Nachfrage nach Jobs sinken, in denen man am Nachmittag daheim sein kann. Wobei der Kanzler seinen Parteifreund Michael Häupl längst zu einer Schulbau-Offensive auffordern hätte können – bei Pflichtschulen ist das nämlich Landessache. Und die Erbschaftssteuer? Mit der hat das genau nichts zu tun.

"Logik bringt dich von A nach B, Fantasie überall hin" - das Zitat stammt von Albert Einstein und es kann weltweit als Motto gesehen werden, wenn es darum geht, die Schulen von morgen zu bauen. Das Kulturmagazin Flavorwire hat sich umgesehen und von Kambodscha bis Afghanistan die fantasievollsten (öffentlichen) Schulen der Welt gekürt. Hier eine Auswahl - die komplette Liste finden Sie auf flavorwire.com.

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