Karin Kneissl: "Russland-Sanktionen sind stumpf"

Außenministerin Karin Kneissl.
Die Außenministerin über EU-Russland, Integration, Sparen im Amt und Südtirol.

KURIER: Frau Außenministerin, Ihre erste Reise geht am Dienstag in die Slowakei. Die Slowakei gilt als moderater Visegrád-Staat – ist das ein Signal, dass sich Österreich von den Visegrád-Hardlinern Ungarn und Polen distanziert?

Karin Kneissl: Die Tradition besteht, ein Nachbarland zu besuchen. Das ist mein Motiv. Mein Vorgänger Sebastian Kurz hat Zagreb besucht, Spindelegger Prag.

Wollen Sie die Visegrád-Länder näher an die EU heranführen?

Ich appelliere an die Faktenlage. Die Slowakei war noch nie dran, sie verdient es, besucht zu werden. Außenminister Miroslav Lajcak ist seit dem vergangenen Jahr Präsident der UNO-Generalversammlung. Wir sind UNO-Sitz, mir liegt viel daran, den UNO-Sitz Wien zu stärken. Hauptgegenstand des Gesprächs wird die UNO sein.

Wird die Indexierung der Familienbeihilfe auch ein Thema sein. Das betrifft Arbeitskräfte aus der Slowakei massiv?

Ich werde es nicht aktiv ansprechen. Es ist in keiner Weise angemeldet worden.

Vor dem Sommer müssen die EU-Außenminister wieder über die Verlängerung der Russland-Sanktionen entscheiden. Wird Österreich dagegen stimmen? Suchen Sie dafür Partner?

Wir handeln im Gleichklang mit den europäischen Partnern. Ich werde am 21. Jänner in Brüssel sein und verschiedene bilaterale Gespräche führen, um im Hintergrund das eine oder andere zu identifizieren.

Die FPÖ ist Sanktionen-kritisch. Werden Sie sich passiv verhalten?

Meine Haltung ist immer die, zuerst die Atmosphäre zu erfassen. Diplomatie hat viel mit Atmosphäre zu tun.

Der bekannte Politologe Ivan Krastev warnt Österreich vor einer Vermittlerrolle im Russland-Konflikt. "Die Erfolgschance eines Diskurses der beiden Seiten ist gering, die Gefahr, dass Österreich die eigene Position innerhalb der EU schwächt, hingegen groß", schreibt Krastev im Sicherheitsbericht des Verteidigungsministeriums.

Ich strebe keine Vermittlerrolle zwischen Brüssel und Moskau an. Man drängt sich als Vermittler nicht auf. Ich werde nach Moskau reisen, ich habe eine Einladung von Außenminister Lawrow.

Finden Sie die Sanktionen gerecht?

Gerechtigkeit ist keine Kategorie der Politik.

Sind sie richtig?

Ich könnte jetzt ein völkerrechtliches Minireferat halten und in Erinnerung rufen, dass die einzigen Sanktionen, die zu einem Ergebnis geführt haben, die Sportsanktionen gegen die Republik Südafrika waren. Jene Sanktionen, die am 31. Juli 2014 verabschiedet wurden, haben sich vor allem gegen die Erdgas- und Erdölbranche im Bereich arktische Tiefseebohrungen gerichtet. Diese Sanktionen haben meiner Beobachtung nach, weil ich mich mit Energiepolitik beschäftige, nicht gefruchtet, weil im Herbst 2014 der Ölpreis um über 70 Prozent eingebrochen ist. Die vor allem von den USA beabsichtigte Schwächung der russischen Erdölindustrie hat nicht die Ziele gezeitigt, die beabsichtigt waren. Die Sanktionen haben schlichtweg nicht gegriffen.

Das Sanktionenregime der EU ist falsch?

Die Sanktionen haben sich als stumpf erwiesen.

Russland hat Assad Syrien gesichert. Ist das gut?

Die russische Intervention vom 30. September 2015 erfolgte in Absprache mit mehreren Staaten, darunter auch mit China, Iran, Irak und den USA. Die Intervention hat u. a. ermöglicht, dass der Islamische Staat nicht nach Latakia vorstieß. De Mistura, der Sondergesandte der UNO für Syrien und sein Stellvertreter haben klar davor gewarnt, dass, wenn der IS nach Latakia vorgreift, dann würden von dort wahrscheinlich Hunderttausende schwimmend über das Mittelmeer kommen. Der Vormarsch des IS 2015 war gewaltig. Ich habe damals gesagt, die russische Intervention bringt eine neue Dynamik in den Syrien-Konflikt. Jetzt ist feststellbar, die Dynamik war da.

"Sparen im System", heißt die Devise der türkis-blauen Koalition. Braucht Österreich noch bilaterale Botschaften in den EU-Staaten? Die Minister treffen sich regelmäßig in Brüssel.

Ich bin überzeugt, dass man Botschaften im EU-Raum sehr wohl braucht. Gewisse Dinge kann man nicht in den Korridoren in Brüssel herauskitzeln. Wenn es um Einsparungen geht, müssen wir uns etwas anderes überlegen.

Wo wollen Sie dann einsparen?

Zum Beispiel bei verschiedenen nicht aufgeschlüsselten Förderungen, die ich mir angesehen habe. Wir haben da Mini-Mitgliedschaften in diversen Organisationen und Vereinigungen, wo man sich teilweise fragt, "wer sind die?"

Welche Mitgliedschaften?

Das frage ich mich auch. Ich habe eine erste Übersicht bekommen, da steht "Förderungen", ohne dass das weiter aufgeschlüsselt ist, mit riesigen Beträgen.

Wie hoch?

Das möchte ich jetzt nicht sagen. Mich haben sie ziemlich erschüttert.

Sie sind von der FPÖ als Außenministerin nominiert worden. Die FPÖ ist im EU-Parlament in einer Fraktion mit EU-zerstörerischen Kräften wie dem Front National von Marine Le Pen – finden Sie das richtig?

Ich kommentiere nicht die Partei, das habe ich von Anfang an gesagt. Ich bin unabhängig.

Sie sind als Außenministerin in der Position, im Ausland erklären zu müssen, dass eine der beiden Regierungsparteien in dieser Fraktion ist.

Ich habe mit zirka vier israelischen Sendern Interviews geführt, die übrigens top vorbereitet waren. Ich hab’ das teilweise auf Hebräisch führen können, was auch für die Atmosphäre hilft. Der eine oder andere hat mir diese Frage gestellt, und ich habe gesagt, ich kommentiere das nicht. Das wurde zur Kenntnis genommen. Ich werde das genauso Kollegen im Ausland sagen. Ich bin vor 20 Jahren aus dem Außenamt freiwillig ausgeschieden, unter anderem, weil mir die Parteipolitik sehr auf die Nerven ging.

Was macht Sie glauben, dass Ihnen die Parteipolitik diesmal nicht auf die Nerven geht?

Indem ich jetzt nicht als kleine Referentin Schachbrettfigur bin, sondern indem ich jetzt als Ministerin das Gegenteil versuche – es kann auch zur "Mission impossible" werden.

Die Integrationsagenden sind im Außenministerium geblieben. Welche Pläne haben Sie, um Menschen rascher als bisher zu integrieren? Viele sind Muslime, wollen Sie spezielle Schulungen für Muslime?

Ich würde Muslime da nicht herausgreifen. Ja, das Außenministerium hat eine Integrationssektion, aber Integration ist eine Querschnittsmaterie. Die betrifft viele Ressorts, Justiz, Inneres, Familie, Jugend, Bildung ganz besonders. Ich sehe das Außenministerium in keiner Weise federführend oder alleine zuständig. Der Integrationsfonds als Stiftung ist der Sektion "Integration" zugeordnet. Als Außenministerin werde ich versuchen, diese Sektion mit dem Rest des Außenministeriums besser zu verschränken, das ist mir ein Anliegen. Dass man zum Beispiel zwischen der Auslandskultursektion und der Integration mehr zeigt, wofür Österreich steht, was österreichische Identität ist.

Der Antisemitismus von islamistischer Seite nimmt zu – wie sehen Sie das?

Ich sehe das mit Sorge. Ich kenne das vor allem aus Frankreich, wo mir französische Freunde schon vor 20 Jahren sagten, sie planen, nach Israel zu emigrieren. Das hat sich verschärft, Europäer mit jüdischem Hintergrund machen sich zunehmend Sorgen, weil sie sagen, die Stimmung wird massiv schlechter. Glücklicherweise hatten wir in Österreich nicht die Gewalt wie in Frankreich. Als Außenministerin kann ich nur dazu beitragen, dass das gesellschaftspolitische Klima eines ist, das sich an der Verfassung orientiert. Da bin ich in der Tradition meines Vorgängers: Integration fordern und fördern. Es geht darum, die Sprache zu lernen, sich an Gesetze zu halten und Steuern zu zahlen. Wer Steuern zahlt, kann sich selbst erhalten, wer sich an Gesetze hält, ist ein willkommener Bürger dieses Landes.

Befeuert Österreich mit der Ankündigung, den Doppelpass für Südtiroler zu ermöglichen, die Los-von-Rom-Bewegung? Sind Sie für ein Selbstbestimmungsreferendum der Südtiroler?

Nein, ich bin für gar kein Referendum. Alles, was dieses Thema betrifft, erfolgt im Dialog bzw. Trilog mit Rom und Bozen.

Der Südtiroler Landeshauptmann hat die Doppelpass-Pläne schon scharf kritisiert. Das heißt, das kommt dann nicht?

Nein, die gesamte Thematik wird im Gleichklang mit Rom und Bozen entschieden, und wir sind in engem Kontakt. Wenn wir sagen, wir sind ein Fan von Doppelstaatsbürgerschaften, müssen wir Europarats-rechtlich auch einiges auf eine neue Ebene heben. Als Außenministerin und als Juristin liegt mir jedenfalls die Einhaltung unserer internationalen Verpflichtungen am Herzen.

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