Karikaturen: Zeichner im Dienste des Populismus
Als Peter Pilz bei der letzten Nationalratssitzung vor der Sommerpause die Neos als „Parteidackel“ ihrer „Großwurstspender“ verunglimpfte, hatte er die Lacher (noch) auf seiner Seite. Pilz selbst dürfte vom eigenen Sprachwitz so begeistert gewesen sein, dass er das Thema wenig später nochmals aufgriff.
Auf seinem neuen Portal zackzack.at – eine Art linkes unzensuriert.at – erschien eine Karikatur von Beate Meinl-Reisinger, die die Neos-Chefin als hechelnden Dackel mit dem Neos-Großspender und Industriellen Hans-Peter Haselsteiner zeigt.
Die Erheiterung wich der Empörung. Die Karikatur hat ihren Zweck erfüllt. Oder doch nicht?
Peter Pilz hat mit seiner gezeichneten Attacke auf den politischen Gegner gewissermaßen neue Wege beschritten. Zumindest, wenn man in die jüngere politische Vergangenheit blickt: Denn da überließen die heimischen Parteien das Zeichnen der FPÖ.
FPÖ als Vorreiter
Neben unabhängigen Karikaturisten, die in Massenmedien das politische Geschehen kommentieren, waren die Blauen zuletzt die einzigen, die leidenschaftlich mit Partei-Zeichnern experimentierten. Ihre Strategie: nicht nur überzeichnen und zuspitzen, sondern stets auch einen Tabu-Bruch begehen.
Das Kalkül ging meist auf. Egal, ob Plakate im Stile der antisemitischen NS-Zeitung Der Stürmer oder geklaute Sujets, in die man nachträglich jüdische Stereotype hineinretuschierte. Die Aufregung war stets enorm, die Aufmerksamkeit groß.
So groß, dass die Parteistrategen sogar den Chef als Comic-Figur inszenierten. Als „HC Man“ durfte FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache Wien vor der rot-grünen Stadtregierung und der Islamisierung „retten“.
Angriffige Opposition
Die Karikatur, ein rechtes Phänomen? Nein, sagt Politikwissenschafter Marcelo Jenny, der an der Universität Innsbruck zu politischer Kommunikation und Wahlkämpfen forscht. Dass linke Parteien – allen voran die SPÖ – in der jüngeren Vergangenheit auf Karikaturen verzichteten, lag daran, dass sie in Regierungsverantwortung war. „Und da will man immer etwas respektabler wirken“, sagt Jenny.
In der Opposition kann man da angriffiger sein. Das erklärt, warum sich zuletzt vermehrt SPÖ-nahe Zeichner an Karikaturen versuchen – und in parteinahem Publikationen veröffentlichen.
Kurz in NS-Uniform
Für Aufregung sorgte zuletzt eine Karikatur des Wiener Cartoonisten Karl Berger, dessen erklärtes Lieblingsmotiv Ex-Kanzler Sebastian Kurz ist. Diesen lässt er gerne zeichnerisch Autos an die Wand fahren oder als türkisen Messias auftreten. Publiziert werden Bergers Cartoons mitunter auf der Website kontrast.at, deren Medieninhaber der SPÖ-Parlamentsklub ist.
Für viele war eine Grenze überschritten, als er Sebastian Kurz vergangene Woche als Nazi zeichnete, der Oskar Schindler in einem Cartoon zurecht wies, weil er illegal Juden rette.
Für Parteien sind die Karikaturen jedenfalls ein dankbares Werkzeug: Sie fallen unter die Freiheit der Kunst. Und diese ist heute ein verlässlicher Rückzugsort, um sich vor Kritik zu schützen.
Auftragsarbeiten
Die Karikatur, sagt die Kunsthistorikerin Eva Kernbauer von der Uni für Angewandte Kunst in Wien, hat in der politischen Auseinandersetzung eine lange Tradition: Sie entstand im Großbritannien des 18. Jahrhunderts, wo die Presse damals schon große Freiheit genoss.
Rasch wurden die Zeichnungen zu einer Art Massenphänomen. Sie wurden nicht nur in Druckwerken veröffentlicht. Verleger gestalteten sogar Mini-Ausstellungen in ihren Auslagen, vor denen sich auf dem Gehsteig die Menschen scharten.
„Schon damals ging es um die Diskreditierung des politischen Gegners“, erzählt Kernbauer. Und schon damals bezahlten Parteien Karikaturisten für ihre Werke. So zeichnete der Pionier der politischen Karikatur, James Gillray, im Auftrag der Tories. „Auch wenn das nicht lange gut ging“, sagt Kernbauer. Rasch emanzipierten sich die Karikaturisten und zeichneten eigenständig. Von da an traten die Karikaturen ihren Erfolgszug in andere Länder an.
Was darf Satire?
Der Erfolg hat mehrere Gründe: „Humor funktioniert immer“, sagt Kernbauer. Und: Wer sich ungehörig und respektlos gegenüber Mächtigen verhält, kann sich der Lacher besonders sicher sein.
Zugleich waren – und sind – Bilder das ideale Instrument für Populisten. „Karikaturen eignen sich hervorragend, um politische Debatten zu einer breiten Masse zu bringen.“ Selbst komplexe politische Themen könne man mit Bildern schnell erfassbar machen, „sogar für jene, die nicht lesen können“.
Bleibt die Frage, wann mit Karikaturen – siehe die Darstellungen von Politikern als Tier oder Nazi – Grenzen überschritten werden. Was darf die Karikatur? „Alles“, sagt Kernbauer. Ob sie aber auch alles soll, sei eine andere Frage: „Man darf immer die Frage stellen, wie intelligent die Satire ist. Passiert da etwas Interessantes? Oder beinhaltet sie nur Verunglimpfungen und wiederholt Stereotype? Dann kann sie gefährlich sein.“
Ob die Parteien mit Zuspitzung nachhaltig Erfolg haben, sei nicht sicher, sagt Politikwissenschafter Marcelo Jenny. Satire funktioniere „am besten bei eigenen Parteigängern, die man zwar ohnehin schon in der Tasche hat, aber auf diese Weise nochmals mobilisieren kann.“ Wer sein Gegenüber allzu sehr provoziert, mobilisiere aber auch dessen Anhänger, gibt Jenny zu bedenken: „Polarisierung ist ein zweischneidiges Schwert.“
Der Papst als Schwein
Die Idee, die Neos-Chefin als Tier darzustellen, ist übrigens nicht sonderlich originell. Peter Pilz greift damit auf einen der ältesten Versuche, Menschen lächerlich zu machen, zurück. Schon ab der Antike schrieb man Menschen – abwertend – tierische Eigenschaften zu. Selbst Päpste mussten sich als Schwein darstellen lassen.
Apropos Papst: Im Hochbarock waren Karikaturen im Vatikan ein elitärer Zeitvertreib für Papst und Kardinäle. Karikiert zu werden, war ein Zeichen höchster Ehrerbietung. Peter Pilz hat es wohl nicht so gemeint.
Politische Karikaturen: Ein ständiges Ausloten der Meinungsfreiheit
Kritische Zeichnungen sorgen seit Jahrhunderten für Aufregung. Während dies geradezu das Geschäft der Satire ist, wollen ihr manche dieses abgraben.
Zerr- und Schmähbilder können bis in die Antike zurückverfolgt werden. Aber gesellschaftskritische Zeichnungen entwickelten sich erst im 18. Jahrhundert in Großbritannien. Berühmt wurde James Gillrays Karikatur von William Pitt und Napoleon, die sich einen Plumpudding namens Welt aufteilen. Später ließ sich Gillray dann pikanterweise von der britischen Regierung Burke/Pitt bezahlen.
Eine richtiggehende Blütezeit erlebte die Karikatur ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Vielzahl an satirisch-politischen Zeitschriften in Europa. In Österreich "Kikeriki", in Deutschland zum Beispiel "Kladderadatsch", das 1848 im Zuge der bürgerlichen Revolution entstand,
Honoré Daumier, der für die französischen Zeitschriften "La Caricature" und "Le Charivari" zeichnete, wurde 1832 zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er König Louis Philippe als unersättlichen Riesen Gargantua karikierte.
Politisch instabile Zeiten sind generell Hochzeiten für die politische Karikatur. Schließlich entdeckten die politischen Parteien die Karikatur für ihre Propagandazwecke. Die Sujets wurden dabei zunehmend brutaler und drastischer. In einer sozialdemokratischen Karikatur aus der Schweiz wurden 1896 zwei Kapitalisten gezeigt, die mehrere Arbeiter wie Handtücher förmlich auswringen.
Auch für Parteien-Plakate wurde auf Karikaturen mit negativer Symbolik zurückgegriffen. Zerr- und Angstbilder dominierten die Motive. 1920 zeigt ein Wiener Plakat mit der Überschrift "Wählt christlichsozial!" eine rote Schlange mit jüdischer Nase, die den Bundesadler umschlingt und würgt.
Vor allem in totalitären Systemen wurden mit Hilfe der Karikatur Gesellschaftsgruppen diffamiert und stigmatisiert. Im Nationalsozialismus betrifft das politische Gegner und vor allem das Judentum. Über Tiermotive und klischeehafte Körpermerkmale wurden diese Gruppen entmenschlicht und lächerlich dargestellt.
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb zunächst ein grundsätzlich harter Zeichenstil in der politischen Wahlwerbung erhalten. Die SPÖ karikierte etwa 1953 den angeblichen "ÖVP-Rentenraub".
Mit der Weiterentwicklung der freien Presse und einem offeneren Gesellschaftsklima setzte sich aber zunehmend die unabhängige gesellschaftskritisch-politische Karikatur durch. Vom eher harmlosen "Ironimus" bis zum bissigen Manfred Deix, der den Österreichern einen Spiegel vorhielt, dessen Zerrbild viele als gar nicht so verzerrt empfinden.
In den letzten Jahren kommen Karikaturisten wieder zunehmend unter Druck. Einerseits durch die Empörung religiöser Gruppen. In Österreich warf die katholische Kirche Gerhard Haderer wegen des Buchs "Das Leben des Jesus" Blasphemie vor, in Griechenland gipfelte die Aufregung 2005 in einer Verurteilung zu sechs Monaten Haft wegen Religionsbeschimpfung - mit späterem Freispruch.
Auch eine mancherorts überdrehte Political Correctness schränkt die Arbeit von Karikaturisten ein. Ihre Wertungssysteme werden auch auf die Karikatur angelegt, während diese aber, wenn sie ernsthaft betrieben wird, Grenzen geradezu ausloten muss.
Im Vorjahr kostete eine Karikatur, die Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu und Vertraute mit Schweinsköpfen darstellt, den Karikaturisten Avi Katz seinen Job bei der "Jerusalem Post".
Katz protestierte mit dem Cartoon gegen ein nationalistisches Gesetz. In der Debatte schwang mit, dass Juden seit dem Mittelalter immer wieder als Schweine dargestellt und so diffamiert werden. Die israelische Tageszeitung "Haaretz" verteidigte den Karikaturisten allerdings mit dem Hinweis, dass schon 1980 bei ihnen eine Zeichnung erschienen war, in der die gesamte Regierung mit Schweinsköpfen dargestellt wurde. "Niemand ist gefeuert worden", schrieb "Haaretz".
Diesen April gab es erneut Aufregung um eine angeblich antisemitische Netanyahu-Darstellung. Darin wurde der Ministerpräsident als Dackel mit Davidstern-Halsband gezeichnet, der als Blindenhund für einen Kippa-tragenden Donald Trump agiert. Die "New York Times" wurde von Kritikern sogar mit dem NS-Hetzblatt "Der Stürmer" verglichen (siehe Fotomontage einer israelischen Magazins).
Schließlich stellte die NYT auch für ihre internationale Ausgabe alle politischen Karikaturen ein, was ihr erneut viel Kritik einbrachte. In einem "Haaretz"-Kommentar wurde erklärt, warum die Netanyahu-Trump-Karikatur keineswegs antisemitisch sei.
Der KURIER-Karikaturist Michael Pammesberger wiederum reagierte mit obiger Zeichnung und dem ironischen Kommentar: "Die New York Times macht Schluss mit Karikaturen! Bravo!"
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