Kanzler im Spiegel des Zeitgeists

Die prägnanten Kanzler-Persönlichkeiten verkörperten die Trends ihrer Zeit. Dazwischen gab es spurenlose Übergangsperioden.

Es heißt immer, Dankbarkeit sei keine politische Kategorie. Das stimmt nicht. Alfred Gusenbauer, Peter Kaiser, Gabi Burgstaller und mit ihnen wohl viele andere in dieser Altersklasse erinnern sich dankbar an Bruno Kreisky, weil er ihnen mit dem freien Zugang zur Bildung die Basis für den gesellschaftlichen Aufstieg legte.

Kreisky verkörperte eine Zeitenwende, eine Abkehr von reaktionärer Spießigkeit hin zu Modernität, Demokratisierung und dem linken Ideal einer Gesellschaft mit Chancengleichheit.

Symptomatisch für Kreiskys Modernismus war sein Umgang mit Medien. Kreisky erkannte die Bedeutung von Massenkommunikation, vor allem des Fernsehens. Die ÖVP hatte diese Entwicklung verschlafen. Legendär ist der Ausspruch von ÖVP-Kanzler Julius Raab: „Aus dem Büldlradio wird nix. In des Kastl schaut kaner eini.“

Hatten die Regierenden vor Kreisky ihre „Information“ der Öffentlichkeit auf dürftige Kommuniques beschränkt, führte Kreisky das Pressefoyer nach dem Ministerrat ein, wo er sich auf Augenhöhe den Journalisten stellte. Mit der Medialisierung der Politik ging die Personalisierung einher. „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“, plakatierte er 1971. 1975, fünfzehn Jahre nach dem Aufsehen erregenden Duell Kennedy gegen Nixon in den USA, wurde erstmals ein Kanzler-Duell in Österreich breit wahrgenommen: der legendäre Schlagabtausch zwischen Kreisky und ÖVP-Chef Josef Taus („Nicht mich schulmeistern, Sie haben so eine gouvernantenhafte Art“). Ein Start-Ziel-Sieg für den Medienkanzler.

Dreizehn Jahre dominierte Kreisky die Politik, für seinen Nachfolger Fred Sinowatz ein Ding der Unmöglichkeit, in diesem Schatten Statur zu entwickeln. Zudem war das Jahrzehnt der Sozialdemokratie – Willy Brandt /Olof Palme/Kreisky – zu Ende. Ronald Reagan regierte die USA, Margaret Thatcher Großbritannien und Helmut Kohl Deutschland. Nicht mehr linke Weltverbesserer („Aufstieg durch Bildung“) sondern neokonservative Yuppies („Aufstieg durch Leistung“) gaben nun den Ton an. Für einen roten Kanzler wurde die Welt „sehr kompliziert“ (Sinowatz).

Doch wieder war die SPÖ schneller als die ÖVP. Sinowatz holte einen trendigen Banker im Nadelstreif an die SPÖ-Spitze. Die ÖVP hatte mit dem biederen Beamten Alois Mock den falschen Obmann-Typus. Werbe-Guru Hans Schmid, ein enger Freund von Franz Vranitzky, erinnert sich an den Wahlkampf 1986. Wegen inhaltlicher Ausgezehrtheit der SPÖ entnahmen Vranitzky-Berater dem ÖVP-Wirtschaftsbund-Programm jene Punkte, die mit der SPÖ gerade noch kompatibel erschienen. Der damalige Mastermind des Wirtschaftsbundes hieß übrigens Wolfgang Schüssel.

Aus dem „Nadelstreif-Sozialisten“ wurde ein prägender Kanzler. Vranitzky ließ die Verstaatlichte restrukturieren (mit dem fähigen Rudolf Streicher als Minister), brachte die SPÖ auf EU-Kurs und räumte mit unerträglichen Geschichtslügen auf.

Vranitzky nahm als Person gewissermaßen den New Deal der Sozialdemokratie in den 1990er-Jahren (Tony Blair, Gerhard Schröder, der „Genosse der Bosse“) vorweg. Sein Nachfolger Viktor Klima scheiterte letztlich an der eigenen Partei, vor allem am Widerstand der Gewerkschaften gegen weitere Neuerungen. Das ebnete den Weg für Wolfgang Schüssel.

Mit missionarischem Eifer und zu dem fragwürdigen, riskanten Preis, sich mit Jörg Haider einzulassen, versuchte Schüssel, Österreich nach seinen lang gehegten Vorstellungen zu prägen: Pensionsreform, Familienförderung, Steuererleichterung für Konzerne. „Anything goes“ lautete das Hasardeursmotto der New Economy und des Neoliberalismus – Geld, Glamour und moralischer Verfall. Schüssels Liebling Karl-Heinz Grasserist ein Musterfall.

Angesichts solcher Auswüchse reichte der SPÖ für eine Rückkehr an die Macht der Rückgriff auf ihre Kernbotschaften an die Benachteiligten. Doch die Prägung einer neuen Periode gelang ihren Kanzlern nicht. Alfred Gusenbauer hinterließ keine Spuren. Werner Faymann hat vielleicht eine zweite Chance.

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