Ergrünter Kern reibt sich an ÖVP

Kanzler Christian Kern "schadet EU-Bewerbung", meinen Experten
Kanzler fordert Glyphosat-Verbot, das Österreich laut Rupprechter längst plane.

Im April 2016 haben die SPÖ-Abgeordneten im EU-Parlament die EU-Kommission aufgefordert, das Unkrautvertilgungsmittel Glyphosat nur für sieben weitere Jahre zuzulassen. Grüne und ÖVP enthielten sich bei dieser Abstimmung der Stimme. Die EU-Kommission wollte Glyphosat für weitere 15 Jahre zulassen.

Jetzt, in der heißen Phase des Wahlkampfs, tritt die SPÖ für ein sofortiges Totalverbot von Glyphosat ein und will Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter per Parlamentsbeschluss von SPÖ, FPÖ und Grünen zu einem österreichischen "Nein" auf EU-Ebene verpflichten. Kanzler Christian Kern erläuterte am Dienstag die SPÖ-Linie in einer Pressekonferenz.

Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Jedoch ist in Österreich eine umstrittene Verwendung, die Sikkation, bei der Getreide massenhaft mit dem Unkrautvertilger ausgetrocknet wird, damit die Früchte schneller reifen, verboten.

Komitologie

In der EU ist derzeit ein sogenanntes "komitologisches Verfahren" in Gang, bei dem die weitere Zulassung von Glyphosat überprüft wird. Dieses Verfahren läuft so: Die EU-Kommission macht einen Vorschlag (der jüngste lautet, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen). Dieser Vorschlag wird von einem Ausschuss, in dem Experten aus allen EU-Ländern vertreten sind (aus Österreich ist es die AGES, die Agentur für Lebensmittelsicherheit), bewertet. Eine qualifizierte Mehrheit dieser nationalen Experten (55 Prozent der 28 EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren) muss zustimmen, damit die EU-Kommission Glyphosat verlängern kann. Frankreich hat schon angekündigt, gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat zu stimmen, Italien möchte auch dagegen stimmen. Und Österreich "wird auch dagegen stimmen", sagt Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Die AGES habe längst entschieden, den Kommissionsvorschlag abzulehnen. Kerns Vorstoß sei daher "Wahlkampfgetöse". Die parlamentarische Bindung sei wegen der ohnehin geplanten Ablehnung "verlorene Liebesmühe". Er habe "kein Problem" mit einer Bindung, sagt Rupprechter.

Was Experten im Landwirtschaftsministerium für problematisch an Kerns Vorgangsweise halten: Nach derselben komitologischen Methode – also in einem komplexen, mehrstufigen Verfahren mit Hunderten Experten aus allen EU-Ländern – würden Arzneien in der EU zugelassen. Dass Kern nun ein Expertenverfahren im Wahlkampf "verpolitisiert", könne Österreichs Bewerbung um die Arzneimittelagentur schaden.

Österreich bemüht sich gerade, die EU-Arzneimittelbehörde mit 900 qualifizierten Jobs von London nach Wien zu bekommen. "Über die Zulassung eines Herzmittels entscheiden auch nicht die Gesundheitsminister, sondern Wissenschaftler, die sich auskennen", heißt es im Landwirtschaftsministerium. Die EU-Kommission würde angesichts der bevorstehenden Übersiedlung von EU-Behörden aus Großbritannien "genau beobachten, wie in den EU-Ländern mit wissenschaftlichen Verfahren umgegangen wird".

Großgrundbesitzer

Kern reibt sich auch in anderen Punkten an der ÖVP. So würden von den 860 Millionen Ökostrom-Aufschlag, den die Stromkunden bezahlen, mehr als 300 Millionen für Biomasse ausgegeben, also an "Großgrundbesitzer" fließen. Die Stromerzeugung aus Biomasse koste 18 Cent pro Kilowattstunde, die aus Wind, Sonne und Wasser nur 5 bis 8 Cent. Kern will das gesamte Geld für Sonne, Wind und Wasser verwenden.

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