Comeback der "kalten Progression": Wen das trifft, wem es hilft

SONDERSITZUNG DES NATIONALRATES MIT BUDGETREDE: MARTERBAUER
Türkis-Rot-Pink führt die kalte Progression teilweise wieder ein. Wie sich das auf die Löhne auswirkt und warum die neue Lösung aus budgetärer Sicht langfristig richtig sein könnte.

„Wir haben den schleichenden Lohnfraß abgeschafft“: Kaum einen Satz sagte Ex-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Wahlkampf 2024 häufiger. Gemeint war die Abschaffung der kalten Progression, die dafür sorgt, dass Steuerzahlern Jahr für Jahr real netto etwas weniger übrig bleibt.

In der Vergangenheit wurde dieser Effekt alle paar Jahre mit einer „großen“ Steuerreform wettgemacht. ÖVP und Grüne haben ab 2023 einen jährlichen Automatismus eingeführt. „Ein Fehler“, wie ÖVP-Budgetsprecher Andreas Hanger zuletzt auf Puls 24 bekundete. Der Effekt sei nicht bei der Bevölkerung angekommen, die Regierung habe sich Spielraum für Steuerreformen genommen. Türkis-Rot-Pink macht die Reform nun teilweise wieder rückgängig, was heute im Nationalrat Thema sein wird. Wie sich diese (Gegen-)Reform auf die Steuerzahler auswirkt und warum das aktuelle Modell umstritten ist:

Wie kompensiert Österreich derzeit die kalte Progression?

Um welche Summe es geht, berechnen WIFO und IHS in ihrem Progressionsbericht. Basiswert ist die Inflationsrate von Juli bis Juni der Vorjahre. Für 2026 dürfte dieser Wert bei 2,6 Prozent liegen. Zu zwei Drittel, also 1,7 Prozent, steigen die Tarifstufen dann automatisch. Das restliche Drittel, in dem Fall wären es rund 0,9 Prozent, durfte die Regierung bisher für weitere steuerliche Maßnahmen einsetzen.

Was ändert sich?

Die Bundesregierung behält dieses „variable“ Drittel von 2026 bis 2029 ein. Damit wird, im Vergleich zu den Vorjahren, eine hohe Summe nicht mehr umverteilt. Ein Prozentpunkt Inflation macht laut Ökonom Dénes Kucsera vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria rund 400 Millionen Euro Mehrbelastung aus. Kommendes Jahr entgehen den Steuerzahlern demnach 362 Millionen Euro. Bis 2029 summiert sich dieser Wert laut Agenda Austria auf 3,3 Milliarden, das Finanzministerium geht gar von 3,8 Milliarden Euro aus.

Was bedeutet das für Einzelpersonen?

Die Agenda Austria hat das auf Bruttoeinkommen heruntergerechnet. Wer 2.000 Euro im Monat verdient, dem entgehen 2026 – ganzjährig – 28 Euro. Im Jahr 2029 wären es dann 98 Euro. Bei einem Einkommen von 3.500 Euro wären es 2026 48 Euro – 2029 dann 165 Euro. Bei Spitzenverdienern wäre die Summe noch höher. Aber: Sie haben schon bisher kaum von der Umverteilung des variablen Drittels profitiert.

Wer ist der Verlierer der neuen Lösung?

Zwar seien höhere Einkommen in absoluten Zahlen stärker von der kalten Progression betroffen, relativ betrachtet falle die Belastung jedoch ähnlich aus, meint Kucsera: „Das variable Drittel hat dem Staat immer wieder politischen Spielraum verschafft. Dass er ihn nun zur Konsolidierung nutzt, überrascht nicht. Umso wichtiger ist es, die Tarifgrenzen endlich vollständig an die Inflation anzupassen.“ Man könnte sogar noch weitergehen: In Schweden steigen die Tarifgrenzen nicht nur in Höhe der Inflation, auch das Einkommenswachstum wird miteinberechnet.

Ist Österreichs Modell zur Abschaffung der kalten Progression ein gutes?

Tatsächlich gibt es hier sehr unterschiedliche Standpunkte. Nämlich auch den, dass die türkis-grüne Lösung auf Dauer ein Budgetloch produziert. Von Beginn an kritisiert hat das Modell Ökonom Peter Brandner, etwa in der Fachzeitschrift SWK. Sein Argument: Das Finanzministerium verteile derzeit mehr Geld, als es durch die inflationsbedingten Lohnerhöhungen – und die damit steigenden Lohnsteuereinnahmen – einnehmen würde. Warum?

Laut Brandner betrifft die kalte Progression nur Personen, deren Lohn im Jahresvergleich gestiegen ist. Grund: Wer gleich viel oder weniger als im Vorjahr verdiene, unterliege keiner Progression, folglich steige auch dessen Steuerlast nicht. "Der jährliche Progressionsbericht der Regierung berechnet eine Progressionssumme, bei der allen Steuerzahlern eine Lohnerhöhung im Ausmaß der Inflationsrate unterstellt wird. Das trifft aber nicht zu", sagt Brandner.

Demnach hat Österreich bisher mehr Geld rückverteilt als es durch die schleichende Steuererhöhung eingenommen hätte. "Würde der Staat eine Tarifanpassung mit zwei Drittel der Inflationsrate vornehmen, würde das zirka die Einnahmen durch die kalte Progression kompensieren. Es könnte also permanent so bleiben wie jetzt", empfiehlt Brandner. Ein Sparbeitrag sei das aber eigentlich nicht: "Die Regierung hat nur eine budgetäre Überkompensation beseitigt."

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