SPÖ-Hoffnung Herr: "Gerne mit Kurz reden, aber Koalition geht sich nicht aus"

EU-Wahl 2019: Präsentation der SPÖ-EU-KandidatInnen
Die SJ-Chefin Julia Herr will wie Parteichefin Rendi-Wagner die Partei neu denken. An eine Koalition mit der ÖVP glaubt sie nicht.

Julia Elisabeth Herr ist seit 2014 Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Österreichs und die erste Frau an der Spitze der SJ. Bei der Nationalratswahl 2019 konnte sie, anders als bei ihrem Antreten bei der Nationalratswahl 2017 und bei der Europawahl 2019, ein Mandat im Parlament holen. Herr wird eine von nur mehr 40 SPÖ-Abgeordneten sein.

Frau Herr, Sie haben doch noch ein Mandat bekommen und werden für die SPÖ im neuen Nationalrat sitzen. Wie ist ihr Verhältnis zur Parteichefin Pamela Rendi-Wagner?

Julia Herr: Wir habe ein sehr gutes Gesprächsklima, sie war immer bereit miteinander zu sprechen.

Und mit dem neuen Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch?

Ebenso. Miteinander reden ging immer.

Sie schienen aber durchaus wütend nach seiner Bestellung am Tag nach der Wahl.

Unser Punkt war, dass wir eine radikale Neuaufstellung im Bundesparteivorstand gefordert hatten, und nur die Bestellung eines neuen Geschäftsführers als Einzelmaßnahme aus unserer Sicht einfach das falsche Signal war. Darum ging es uns.

Parteichefin Rendi-Wagner sprach nach der Wahl von einem Bündel an Maßnahmen, die nun kommen müssen. Am Sonntag klang das schon anders, da meinte sie, dass man die SPÖ radikal neu denken müsse, so tabulos und schonungslos ehrlich wie seit der Gründung nicht mehr. Haben sich die Jungen in der Partei also durchgesetzt?

Ja, sehr gut, dann können wir endlich tun, was wir tun müssen, über die inhaltliche Neuausrichtung diskutieren. In Portugal haben die Sozialdemokraten ja gerade gezeigt, wie das geht. Diskutieren wir über die Neuausrichtung, und zwar nicht in ferner Zukunft, sondern bei einem Reformparteitag schon Anfang 2020.

Dennoch stehen nun Sondierungsgespräche an, und nicht wenige in der SPÖ wollen mitregieren. Sie auch?

Am wichtigsten ist unsere Glaubwürdigkeit, die ist ganz sicher wichtiger, als irgendwelche Regierungsposten. Was wir im Wahlkampf gefordert haben, das muss auch Teil eines Koalitionsabkommens sein. Wenn man sich das Wahlprogram der ÖVP anschaut, muss man eingestehen, dass es kaum möglich sein wird, das auch umzusetzen.

Nicht einmal reden mit der Volkspartei?

Ja, wir können mit Sebastian Kurz gerne reden, aber eine Koalition wird sich mit der ÖVP nicht ausgehen. Wir werden mit der ÖVP weder Kinderbetreuungsplätze ausbauen können, wie wir das fordern, noch eine Mietzinsobergrenze einziehen können noch eine Millionärssteuer oder die Rücknahme des 12-Stundentages durchsetzen können. Und wenn wir das alles nicht umsetzen können, dürfen wir auch nicht in eine Regierung gehen.

Sind Sie alleine mit dieser Meinung, oder sieht das die Parteispitze auch so?

Das müssen Sie die Parteispitze fragen. Ich glaube aber schon, dass die breite Basis in der SPÖ der Meinung ist, dass wir unsere Forderungen nach der Wahl nicht einfach über Bord werfen dürfen. Ich kann aber nur für mich sprechen.

Was verstehen Sie unter SPÖ neu aufstellen, neu denken, so radikal wie seit der Gründung nicht mehr, wie das Rendi-Wagner gesagt hat? Ein prononcierter Linksruck?

Eine Neuaufstellung ist ja ohne Alternative. Wir müssen zeigen, dass die SPÖ den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auch gewachsen ist, nicht wegen des schlechten Wahlergebnisses, sondern weil das notwendig ist. Wir müssen so kompromisslos für die arbeitenden Menschen kämpfen, wie Sebastian Kurz für die reichen Spender kämpft.

Reichensteuern und Vermögenssteuern inklusive?

Grundsätzlich macht es doch volkswirtschaftlich keinen Sinn, wenn sich das Vermögen in den Händen einiger weniger konzentriert. Die kurbeln damit ja nicht die Volkswirtschaft an, wie das die Durchschnittsbevölkerung tun würde. Die Sozialdemokraten in Portugal haben gezeigt, dass das geht, die haben die Sparpakete beendet und für höhere Löhne und höhere Pensionen gesorgt und damit das ganze Land gestärkt und einen Wahlsieg eingefahren. Wir würden also die Wirtschaft massiv stärken, nicht schädigen, weil wir die Kaufkraft stärken würden.

Sie haben am Tag nach der Wahl eine inhaltliche, organisatorische und personelle Neuaufstellung gefordert. Geht die SPÖ nun in diese Richtung?

Für uns muss eine Politik für die arbeitende Bevölkerung im Vordergrund stehen. Es muss jedem klar sein, wer die SPÖ wählt, wählt höhere Löhne und höhere Pensionen, und diese Versprechen müssen wir garantieren. Wenn wir einen Reallohnverlust haben, und die Menschen immer mehr, rund 40 Prozent, für Mieten ausgeben müssen, hat sich die Situation klar verschlechtert, und das müssen wir aufgreifen.

Oder am Arbeitsmarkt, wir haben ganz viele Menschen, die prekär beschäftigt sind, die gar keine geregelten Arbeitsverhältnisse mehr haben, für die der 12-Stundentag gar kein Thema ist, weil sie einen 13-, 14-, oder 15-Stundentag haben, die Paketzusteller zum Beispiel, die arbeiten unter Bedingungen, die einfach nicht tragbar sind. Vor hundert Jahren hat die Sozialdemokratie es geschafft, die Ungerechtigkeiten im System aufzuzeigen und zu ändern, und da müssen wir wieder hin. Diese klare Kante brauchen wir, und wir müssen damit auch glaubwürdig sein.

Ist die SPÖ denn irgendwann nicht für diese Themen gestanden?

Ich finde, diese politische Vision ist uns verloren gegangen, diese Vision brauchen wir aber wieder. Gerade in einer Zeit, wo immer mehr feststellen, dass wir in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem leben, das nur nach Profitstreben funktioniert, das die Menschen ausbeutet und die Umwelt zerstört. Diese negativen Ausmaße müssen wir benennen und dagegen ankämpfen.

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