55.000 Jobs durch Bildungsreform?

Sonja Hammerschmid, Bildungsministerin
Derzeit werden Reformen verhandelt, die 55.000 zusätzliche Jobs schaffen sollen.

Bildung und Arbeit – das sind zwei zentrale Herausforderungen der Politik. Richtig angepackt und erfolgreich verzahnt, kann die Reform an den Schulen zu einem regelrechten Jobmotor werden.

Allein aus den diversen Bildungsmaßnahmen, die im kürzlich vorgestellten "Plan A" von Bundeskanzler Christian Kern genannt werden, erhoffen sich die Sozialdemokraten rund 30.000 zusätzliche Arbeitsplätze.

Und das Ganztagsschulpaket, das bereits im Herbst vom Parlament verabschiedet worden ist, steht durch die geplanten Investitionen in ganztägige Schulformen für rund 25.000 neue Arbeitsplätze in den kommenden acht Jahren. Das sagt das Bildungsministerium. Macht 55.000 Jobs in Summe – wie das gehen soll, hat sich der KURIER angesehen.

Die Ausgangslage: 1.107.789 Schülerinnen und Schüler gingen 2014/2015 zur Schule. Dazu kamen noch 222.619 Kinder, die in Kindergärten betreut werden.

Für die Ausbildung der Kinder sind derzeit rund 120.000 Pädagogen in den mehr als 5000 österreichischen Schulen im Einsatz – dazu kommen noch einige Zehntausend Kindergartenpädagogen. (Statistische Daten dazu gibt es nicht, weil Kindergärten in der Kompetenz der Länder stehen – und unterschiedlich gezählt wird.)

Rund acht Milliarden Euro stehen der Bildungsministerin allein für den Schulbetrieb jährlich zur Verfügung. Der Löwenanteil davon sind Personalkosten.

Ganztagsschulpaket

Für Aufsehen sorgte im Herbst das Schulpaket, das 750 Millionen Euro für den Aus- und Umbau der Schulen in ganztägige Schulformen vorsieht. Diese Investitionen zahlen sich doppelt aus, hoffen Kanzler Kern und Bildungsministerin Sonja Hammerschmid: Erstens, weil neue Arbeitsplätze geschaffen werden – sowohl in der Baubranche, die von den öffentlichen Investitionen profitiert, als auch im Bildungssektor, weil zusätzliches Betreuungspersonal, vor allem "akademische Freizeitpädagogen", benötigt werden.

Und zweitens, weil man hofft, dass Eltern (meist Frauen), die bisher mit Kinderbetreuung beschäftigt waren, Arbeit annehmen oder von Teilzeit auf Vollzeit umsteigen können.

"Eltern können ihrer Arbeit nachgehen und wissen genau: Mein Kind wird den ganzen Tag optimal betreut, erledigt Hausübungen, lernt mit Pädagogen für die nächste Schularbeit und kann das Freizeitangebot der Schule nutzen", freut sich Bildungsministerin Sonja Hammerschmid über die bereits beschlossene Initiative.

Für die allgemein bildenden Pflichtschulen – also Volks-, Neue Mittel- und Polytechnische Schulen – ergibt sich laut ersten Schätzungen der Regierung im Vollausbau des Ganztagsschulpakets bei über 5500 zusätzlichen Gruppen ein Bedarf von rund 1300 Vollzeit-Lehrpersonen und rund 1500 Vollzeit-Freizeitpädagogen (Da dies aber grundsätzlich ein Halbtagsjob ist, wird die Anzahl der Beschäftigen entsprechend höher sein). An den allgemein bildenden höheren Schulen (AHS, Berufsschulen) gehen die Berechnungen von rund 330 zusätzlichen Gruppen mit einem Bedarf von 130 zusätzlichen Vollzeit-Lehrpersonen und zumindest 30 Vollzeit-Freizeitpädagogen aus. Ziel des Ganztagsschulpaket ist es, dass bis 2025 jede Schüler im Umkreis von 20 Kilometer zum Wohnort einen Platz in einer Ganztagsschule findet. Die Betreuungsquote soll von derzeit 20 auf 40 Prozent verdoppelt werden.

Mehr Jobs kann sich die Baubranche erhoffen, denn allein bis 2020 sollen rund 370 Millionen Euro in öffentliche Bauprojekte fließen. Zudem braucht es an ganztägigen Schulen auch Mittagessen für die Schüler, auch das wird neue Jobs erfordern.

Autonomiepaket

Bis Ende dieses Monats hofft das Bildungsministerium, einen politische Einigung zwischen SPÖ und ÖVP bei der als Autonomiepaket bezeichneten großen Bildungsreform zu erzielen. Diese soll Ineffizienzen heben – etwa durch Zusammenlegen der Verwaltungsressourcen in "Schulclustern". Geplant ist aber auch, den "Chancenindex" genannten Sozialindex flächendeckend umzusetzen. Soll heißen: Brennpunktschulen – rund 500, meist urbane Schulen in ganz Österreich – sollen zusätzliche finanzielle Mittel für Sozialhelfer, Förder- und Sprachlehrer erhalten. "Da wird es mehr Geld brauchen", hatte Ministerin Hammerschmid bereits erklärt.

Neu ist auch, dass Quereinsteiger, die aus der Privatwirtschaft kommend in Schulen unterrichten wollen, der Wechsel leichter gemacht werden soll. Wie genau das aussehen soll, ist noch Gegenstand von Verhandlungen.

Pensionierungswelle Babyboomer

In den kommenden 15 Jahren, weist die Statistik klar aus, gehen die Hälfte aller derzeit aktiven Lehrer in Pension. Im Schuljahr 2015/’16 lag die Zahl der Lehrer zwischen dem 50. und 65. Lebensjahr pro Jahrgang bei rund 4000 – das sind also 60.000 Stellen, die nachbesetzt werden müssen. Das Bildungsministerium sieht keinen Engpass auf das Bildungssystem zukommen und geht von ausreichend Absolventen aus, die nachrücken können.

Kindergarten

Keine Daten gibt es im Bezug auf die geplante Ausweitung der Kindergartenpflicht ab vier Jahren. Diese wird von Familienministerin Sophie Karmasin mit Vertretern der Länder derzeit verhandelt. Bei den Vierjährigen wurde in den letzten zehn Jahren eine Steigerung der Betreuungsquote von 89,8 auf 96 Prozent verzeichnet, bei den Fünfjährigen von 91,9 auf 97,4 Prozent – allerdings je Bundesland bezüglich der Betreuungsstunden in unterschiedlichem Ausmaß.

Diese Pädagogen werden dringend gesucht

  • Von der Volksschule bis zur Oberstufe: Auch wenn viele glauben, dass sich in der Schule seit Generationen nichts geändert hat, die Realität ist eine andere: Fächerübergreifende Projekte, Mehrstufenklassen und digitales Lernen ziehen in immer mehr Schule ein. Auch die Pädagogenausbildung hat sich geändert. Volksschullehrer müssen künftig einen Bachelor machen, danach einen Master (insgesamt 10 Semester). Eine Unterscheidung zwischen Hauptschul- und AHS-Lehrer gibt es auch nicht mehr. Alle müssen an der Uni zwei Fächer studieren. Dem Bachelor (acht Semester) folgt der Master (vier Semester).
  • Freizeitpädagogen: Je mehr Ganztagsschulen es gibt, desto mehr Kinder müssen am Nachmittag betreut werden. Um mit den Kindern zu spielen, basteln und Ausflüge zu machen, braucht es qualifiziertes Personal – die „akademischen Freizeitpädagogen.“ Dazu bieten die PHs 2-semestrige Lehrgänge an, an denen es allerdings viel Kritik gibt. Vor allem in Wien, wo der Bedarf an Betreuern groß ist, sei das Niveau so niedrig, dass jeder durchkommt, berichten Schulleiter. Die Freizeitbetreuer selbst beklagen sich über schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung.
  • Kindergartenpädagogen: Spielerisch lernen.Dass der Kindergarten nur eine Betreuungseinrichtung ist, ist hoffentlich Geschichte. Denn Bildung beginnt schon ab dem 1. Lebensjahr. Deshalb ist es das Ziel, Kinder spielerisch auf das Leben und die Schule vorzubereiten, indem sie motorisch, naturwissenschaftlich und sprachlich gefördert werden.
    Die Ausbildung zum Kindergartenpädagogen erfolgt in der BAfEP (Bundesanstalt für Elementarpädagogik), einer berufsbildenden Schule, die zur Matura führt. Ursprünglich war geplant, dass Kindergärtner auch an der Pädagogischen Hochschule ausgebildet werden sollen.
  • Integrationslehrer: Die Sonderschulen sollen à la longue abgeschafft werden. Die speziell ausgebildeten Pädagogen wird es aber weiterhin benötigen. Und zwar dringend. In kaum einem Teilbereich der Pädagogik gibt es einen derartigen Mangel. Geändert hat sich die Ausbildung. „Inklusive Pädagogik“ hat jeder Lehrer als Teil der Ausbildung. Zudem kann man sich auf die Inklusion spezialisieren, indem man sich anstatt für eines zweites Fachs für diesen Schwerpunkt entscheidet. Diese Pädagogen können sowohl in Volksschulen als auch in Mittelschulen und AHS arbeiten.
  • Quereinsteiger: Zusatzstudium.In Berlin ist bereits jeder dritte neu eingestellte Lehrer ein Quereinsteiger. So weit wird es in Österreichs Metropolen hoffentlich nicht kommen. In berufsbildenden Schulen ist es heute schon üblich, dass Menschen aus der Wirtschaft in Spezialfächern unterrichten. Volks- oder Mittelschullehrer ohne pädagogische Ausbildung sind aber die große Ausnahme. Wer Lehrer werden will, muss in jedem Fall das fünf- bzw. sechsjährige Studium absolvieren. Im Bildungsministerium gibt es Bestrebungen, dass es für Akademiker möglich sein soll, ein kürzeres Zusatzstudium zu absolvieren.

Kommentare