Jeder Zweite ist verärgert über Dauerversager in der Politik

Jeder Zweite ist verärgert über Dauerversager in der Politik
Steigender Frust über die Politik und eine Verengung von SPÖ und ÖVP auf ihre Kerngruppen sind Ursachen für die Rekordzahl an gewählten Parteien.

Wie nach jeder Nationalratswahl legte auch gestern Politikforscher Peter Ulram eine Analyse des aktuellen Wahlergebnisses vor. Basierend auf 1250 Interviews am Wahltag betrieb Ulram Ursachenforschung. Die wichtigsten Ergebnisse:

Jeder Zweite ist verärgert über Dauerversager in der Politik
SpätentscheiderDer Trend, sich spät zu entscheiden, setzt sich fort. Diesmal haben vier von zehn Wählern erst in den letzten ein, zwei Wochen vor der Wahl entschieden, wem sie ihre Stimme geben. In dieser Phase war dann auch die Abwanderung von SPÖ und ÖVP besonders stark. Vier von zehn Wählern, die den Regierungsparteien den Rücken kehrten, verabschiedeten sich in den letzten Wochen.

Alter Die hauchdünne Stimmenmehrheit von Rot-Schwarz sicherten die Älteren. Ginge es nach den Wählern bis 45, hätten SPÖ und ÖVP nur mehr runde 40 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen liegt die SPÖ besonders schlecht. Ulram: „Die Jungen glauben der SPÖ die Sicherheitsversprechen einfach nicht.“

Geschlecht SPÖ und Grüne werden von deutlich mehr Frauen gewählt als von Männern.

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Plus/Minus Signifikante Änderungen gab es folgende: Die SPÖ holte bei Arbeitern auf, verlor aber signifikant bei Höchstgebildeten. Die ÖVP verlor Beamte, Angestellte, Höchstgebildete und Frauen. Die FPÖ gewann bei Frauen, Angestellten, Beamten und Pensionisten. Die Grünen gewannen nochmals in der obersten Bildungsschicht (Matura/Universität) hinzu. Auch die Neos sind eine Partei der Gebildeten.

Stammwähler SPÖ und ÖVP haben einen reinen Stammwähler-Wahlkampf gemacht. Ulram: „Das Angebot an die mobilen Wähler wurde vernachlässigt. Wenn SPÖ und ÖVP so weitermachen, ist es absehbar, dass ihre Mehrheit weg ist.“ Wie im Jahre Schnee ist die SPÖ immer noch die Partei der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und die ÖVP die der regelmäßigen Kirchgänger (Grafik).

Der Einstand der Neos sei „beachtlich“, meint Ulram. Der Politikforscher glaubt, dass sich das österreichische Parteiensystem gerade wieder in einer Phase der Neuordnung befinde. Ulram: „Aber wohin die Entwicklung führen wird, ist noch nicht absehbar. Das zeigt sich noch nicht deutlich genug.“

Neos retteten SPÖ

Ulram sagt, ohne die Neos hätte die ÖVP „zumindest auf Augenhöhe mit der SPÖ abgeschnitten.“ Soll heißen: die SPÖ verdankt ihren ersten Platz und den Kanzlerposten möglicherweise den Neos.

Tatsächlich sind vier von zehn Neos-Stimmen von der ÖVP gekommen, besonders deutlich war das in Wien zu sehen: In den innerstädtischen Bezirken, wo die Neos zweistellige Prozentsätze einfuhren, hat die ÖVP besonders viel verloren. In den Außenbezirken, wo die Neos weniger Zulauf hatten, konnte sich die ÖVP halten.

An die Neos verloren haben auch die Grünen. Ulram: „Die Grünen vergessen gern darauf, dass ein Drittel ihrer Wähler wirtschaftsliberal ist. Diese Wähler sind alle weg, besonders wegen der Wiener Grünen.“

Interessant ist die Grundstimmung, in der diese Nationalratswahl stattfand. Noch nie haben so viele Bürger der Politik häufiges und substanzielles Versagen attestiert wie jetzt. Ulram: „Das ist eine Folge der Kombination von Stillstand und Korruption.“

47 Prozent der befragten Wähler halten die Politiker für Dauerversager. Dazu kommen noch die Nichtwähler, die gar nicht befragt wurden – in Summe also mehr als die Hälfte der Bürger.

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