Ist die Warnung vor 150.000 Zuwanderern berechtigt?

27 Berufe sind derzeit vom Sozialministerium als Mangelberufe deklariert
Mit der Kritik an geplanten Änderungen bei der Mangelberufsliste besetzt die SPÖ eine bisherige blaue Domäne. Ein Faktencheck zu Zuwanderung und Arbeitsmarktpolitik.

[Update: SPÖ erklärt den Hintergrund ihrer Schätzung, Red.]

Die SPÖ übte am Wochenende erneut Kritik an der Zuwanderungspolitik der neuen Bundesregierung und besetzte damit eine bisherige FPÖ-Domäne. Durch eine geplante Regionalisierung und damit Ausweitung der Mangelberufsliste würden bis 2022 laut Darstellung der nunmehrigen Oppositionspartei bis zu 150.000 zusätzliche Zuwanderer ins Land geholt, weshalb die SPÖ zusätzlichen Lohndruck und einen Verdrängungswettbewerb fürchtet.

Im FPÖ-geführten Sozialministerium wies man die Kritik zurück. Die jüngste Ausweitung der Liste gehe ohnehin noch auf die im Dezember verabschiedete Fachkräfteverordnung des damaligen SPÖ-Sozialministers Alois Stöger zurück. Und eine Neuregelung gebe es noch nicht.

Fakt ist: Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es für manche Berufe einfach zu wenige Bewerber, viele Stellen bleiben unbesetzt. Aus diesem Grund gibt es die Möglichkeit, Fachkräfte aus Nicht–EU-Ländern mittels Rot-Weiß-Rot-Karte anzuwerben. Der große Ansturm ist bisher ausgeblieben, eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes birgt aber gewisse Risiken.

Die wichtigsten Fragen & Antworten:

  • Welche Rechnung hat die SPÖ angestellt?

AMS und Arbeiterkammer gaben auf Nachfrage an, keine offiziellen Berechnungen zu diesem Thema zu haben. Die SPÖ erläuterte dem KURIER, man habe sich auf eine interne Schätzung von nicht näher genannten AMS-Experten bezogen. Demnach wurde unter Berücksichtigung der derzeit offenen Stellen ein zusätzlicher Zuzug von 15.000 bis 17.000 Fachkräften pro Jahr aus Drittstaaten geschätzt, falls die Mangelberufsliste nach AMS-Bezirken regionalisiert wird. Diese Zahl wurde mit dem Faktor 1,6 für Familiennachzug multipliziert. Dazu kämen laut der SPÖ-Schätzung jährlich rund 600 zusätzliche Saisonkräfte.

  • Was ist dran an diesen Prognosen?

Aus den bisherigen Erfahrungen hielt sich der Ansturm aus Drittländern in Grenzen. Käme der Koch oder anderes Küchenpersonal auf die Liste, hätte dies aber eine gewisse Sogwirkung, da die Qualifikationen hier nicht so spezifisch sind wie im technischen Bereich. Eine seriöse Schätzung ist jedoch nicht möglich, da der Bedarf regional schwankt und stark von der Konjunktur- und Arbeitsmarktentwicklung abhängt. Schon jetzt ist es möglich, Fachkräfte in der gesamten EU zu rekrutieren. Im Tourismus beispielsweise könnten durchaus Tausende Jobs mit Nicht-EU-Bürgern besetzt werden, allerdings liegt die Ausländer-Quote in einigen Regionen ohnehin schon bei 50 Prozent.

  • Was ist überhaupt ein Mangelberuf?

Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es für manche Berufe zu wenige Bewerber, viele Stellen bleiben unbesetzt. Aus diesem Grund gibt es seit 2011 die Möglichkeit, Fachkräfte aus Nicht–EU-Ländern mittels Rot-Weiß-Rot-Karte anzuwerben. Was ein Mangelberuf ist, entscheidet das AMS: Wenn in einem bestimmten Beruf auf eine ausgeschriebene Stelle weniger als 1,5 Arbeitssuchende kommen, so besteht Fachkräftemangel. Für Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter von der Arbeiterkammer (AK) ist es nicht die Kernfrage, wieviele Drittstaatsangehörige letztlich angezogen werden. Wichtig sei die Art und Weise, wie Fachkräfte festgelegt werden. Mitter plädiert für ein differenzierteres Modell analog zu Deutschland. Dort würden mehr Faktoren herangezogen: Bleiben Stellen länger offen als branchenüblich? Werden genug Lehrlinge ausgebildet? Entwickelt sich die Entlohnung deutlich nach oben?

  • Wie entsteht die Mangelberufsliste?

Das Sozialministerium legt jedes Jahr per Fachkräfte-Verordnung die Liste fest. Für das Jahr 2017 wurden elf Berufe in die Liste aufgenommen, für 2018 sind es 27. Seit Jahren unverändert befinden sich darauf diverse Metaller-Berufe oder technische Qualifikationen. Neu hinzu kamen heuer Kfz-Techniker (Details dazu hier).

Die Liste aller neuen Mangelberufe finden Sie weiter unten.

  • Welche Qualifikation muss ein Nicht-EU-Bürger vorweisen können?

Er muss eine abgeschlossene Berufsausbildung im Mangelberuf vorweisen und ein konkretes Arbeitsplatzangebot haben. Dann kann diese Person mittels Rot-Weiß-Rot-Karte für maximal zwei Jahre beschäftigt werden. Im Vorjahr waren das laut Sozialministerium 292 Personen in Mangelberufen.

  • Warum ist der Koch kein Mangelberuf?

Im personalintensiven Tourismus herrscht saisonbedingt eine hohe Fluktuation. Im Westen Österreichs können viele offene Stellen nicht besetzt werden, österreichweit gibt es jedoch mehr arbeitslose Köche als offene Stellen. Laut AMS können 95 Prozent aller ausgeschriebenen Koch-Stellen binnen drei Monaten besetzt werden. Der Mangel an Küchenpersonal ist daher vor allem ein temporäres und regionales Rekrutierungsproblem.

  • Warum lassen sich regionale Unterschiede nicht einfach ausgleichen?

AK-Experte Mitter sieht bei der überregionalen Vermittlung von Arbeitskräften folgendes Kernproblem: Geht zum Beispiel ein arbeitsloser Koch aus Wien auf Saison nach Tirol, müsse er womöglich mit einem KV-Lohn in der Gastronomie für 2-3 Monate zwei Haushälte finanzieren. "Dass der Ansturm dann nicht gerade überbordend ist, darf niemanden wundern", sagt Mitter. Er nennt "dauerhafte und gut entlohnte Beschäftigung" als wesentlichsten Faktor, um Arbeitskräfte aus dem Inland anzuziehen.

  • Welche Änderung bezüglich Mangelberufsliste plant die Regierung konkret?

Die neue Regierung will zusätzlich auch den regionalen Bedarf an Arbeitskräften sowie auch Stelleninserate von Online- und Printmedien berücksichtigen. Wie die Regionen konkret definiert werden sollen ist noch unklar, eventuell nach Bezirken. Die Regierung kommt damit einem Wunsch der Wirtschaftskammer nach, die sich für eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes für Fachkräfte ausspricht.

Die jüngste Ausweitung der Mangelberufsliste wurde noch von SPÖ-Sozialminister Alois Stöger verabschiedet und am 15. Dezember 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Bisher schon und weiterhin auf der Liste:

  1. Fräser
  2. Techniker mit höherer Ausbildung (Ing.) für Maschinenbau
  3. Schwarzdecker
  4. Dreher
  5. Techniker mit höherer Ausbildung (Ing.) für Datenverarbeitung
  6. Techniker mit höherer Ausbildung (Ing.) für Starkstromtechnik
  7. Diplomingenieur für Maschinenbau
  8. Dachdecker
  9. Sonstige Techniker für Starkstromtechnik
  10. Diplomingenieur für Starkstromtechnik
  11. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger, die ihre im Nostrifikationsbescheid des Landeshauptmannes vorgeschriebene Ergänzungsausbildung bis Ende 2017 begonnen haben

Neu in der Liste:

  1. Landmaschinenbauer
  2. Werkzeug-, Schnitt- und Stanzenmacher
  3. Diplomingenieure für Datenverarbeitung
  4. Techniker mit höherer Ausbildung soweit nicht anderweitig eingeordnet
  5. Schweißer, Schneidbrenner
  6. Sonstige Techniker für Maschinenbau
  7. Elektroinstallateure, -Monteure
  8. Bautischler
  9. Diplomingenieure für Schwachstrom- und Nachrichtentechnik
  10. Sonstige Spengler
  11. Betonbauer
  12. Zimmerer
  13. Sonstige Spengler
  14. Platten-, Fliesenleger
  15. Kraftfahrzeugmechaniker
  16. Rohrinstallateure, -monteure

Das sind insgesamt also 27 Berufe.

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