Mit Beratung und Hotline gegen Dschihadismus

Ressortübergreifende Initiative: Sebastian Kurz, Johanna Mikl-Leitner, Sophie Karmasin, Gabriele Heinisch-Hosek.
Experten helfen kostenlos und vertraulich.

Wohin soll man sich wenden, wenn man befürchtet, dass ein Jugendlicher im persönlichen Umfeld Kontakt zu radikal-islamischen Kreisen pflegt – oder gar erwägt, nach Syrien zu reisen, um an der Seite der IS-Terroristen zu kämpfen?

Da die Polizei sicher nicht die erste Anlaufstelle für Angehörige mit derlei Sorgen ist, hat die Regierung im Familienministerium eine "Beratungsstelle Extremismus" eingerichtet.

Anrufer können dort telefonisch (0800/202044, montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr) oder per eMail (office@beratungsstelleextremismus.at) anonym ihre Ängste oder Beobachtungen zur Sprache bringen und sich von den bei der Hotline tätigen Experten Rat holen. "Das soziale Umfeld der Betroffenen bemerkt in aller Regel am schnellsten, wenn plötzlich jemand seine religiöse Haltung oder seine gesamte Weltanschauung ändert, sich zunehmend von seinem bisherigen Umfeld ab- und einem radikalem Spektrum zuwendet", erklärte Familienministerin Sophie Karmasin.

Hilfe in fünf Sprachen

Die Beratung (in fünf Sprachen: Deutsch, Türkisch, Englisch, Arabisch und Persisch) ist kostenlos. Bei Bedarf werden mobile Teams eingesetzt, die in Sachen Krisenintervention spezialisiert sind. Auch mit den Familienberatungsstellen in ganz Österreich wird kooperiert. Wenn Gefahr im Verzug ist, können die Behörden eingeschaltet, also die Daten von Betroffenen weitergegeben werden – allerdings nur auf Wunsch bzw. mit Zustimmung des Ratsuchenden, versicherte Karmasin.

Internet durchforsten

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte, "Prävention" spiele im Kampf gegen Extremismus eine "zentrale Rolle". In der Polizei seien daher zum Beispiel 46 Kontaktbeamte geschult worden, an die sich die Mitarbeiter der Beratungsstellen bei Bedarf wenden könnten.

Zudem werde ab Dezember im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ein "Single Point of Contact" eingerichtet, "um radikale Inhalte" im Internet "zu identifizieren".

Online-Propaganda des IS, die entdeckt wird, werde Google oder YouTube gemeldet, "damit die Inhalte gelöscht werden können", erläuterte die Innenministerin.

Im Unterrichtsressort wurde ein Info-Folder zum Thema "Jugendliche und Extremismus" entwickelt – und an alle Schulen verschickt. Für Lehrer wurde eine eigene Hotline eingerichtet, schilderte Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek.

Vorverurteilungen

Das Außenamt hat in Kooperation mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft einen Info-Folder für Muslime herausgebracht, schilderte Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz. Er gab aber auch zu bedenken: "In Österreich leben 600.000 Muslime. Die Masse hat mit dem IS-Terror nichts am Hut." Es dürfe nicht vorverurteilt werden.

Anlässlich der Razzien am vergangenen Freitag haben "Im Zentrum" auf ORF 2 am Sonntagabend Politiker und Experten über die Radikalisierung von Jugendlichen in Österreich diskutiert. Einmal mehr lobte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gleich zu Beginn den Großeinsatz in Wien, Graz und Linz, bei dem 14 verdächtige Personen festgenommen wurden

Sie sei stolz auf Staatsanwaltschaft, Ermittler und Einsatzkräfte, so Mikl-Leitner. Zwei Zugänge seien ihrer Ansicht nach im Kampf gegen radikalisierte Muslime wichtig: Repression, wie besagter Einsatz, und Prävention.

Streitfrage Datensammlung

Konrad Kogler, der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit in Österreich, sagte, dass es einerseits eine gesellschaftliche Debatte brauche, andererseits aber eine staatliche Grenzziehung, welchen Werten man sich verbunden fühle und welchen nicht mehr. Dem Staatsschutz seien "in den letzten Monaten jedoch im großen Ausmaß Möglichkeiten genommen worden", so Kogler in Anspielung auf neue Bestimmungen im Bereich des Datenschutzes.

"Diese Gruppierungen benutzen massiv Neue Medien und die Frage ist, ob wir diese Daten nachverfolgen können." Von Vorteil wären Verbindungsdaten, etwa von Telefonaten. Derzeit dürfen Daten neun Monate gesammelt werden. Wenn nach dieser Zeit bei verdächtigen Personen keine Beweise für kriminelles Verhalten gefunden werden können, müssen sämtliche Daten gelöscht werden.

Vakuum

Auch der Grüne Bundesrat Efgani Dönmez sprach sich in der Diskussion für "Adaptionen" im Datenschutz aus. Als weiteren Brennpunkt nannte er das Asylsystem Österreichs. Der Betreuungsschlüssel im Asylwesen (1:170) sei aus seiner Sicht als Sozialarbeiter "nicht mal Verwaltung." Dadurch entstehe ein Vakuum für Menschen aus Tschetschenien, Afghanistan und anderen Ländern. Außerdem sei Österreich "ein Hinterland, ein Sumpf" für Moscheen und Vereine, die durch Einflüsse aus dem Ausland radikalisiert würden.

Besonders die Finanzierung von muslimischen Gemeinden, Vereinen und Moscheen aus Ländern wie Saudi Arabien ist laut den Experten ein Problem. Das gehe schon auf die Zeit zurück, als die ersten Gastarbeiter nach Österreich kamen, meinte die Journalistin Christa Zöchling ("profil"). Diese hätten nichts vorgefunden, wo sie sich treffen und religiös betätigen konnten. Moscheen entstanden mit Geldern aus dem Ausland, wodurch eine Politisierung und Radikalisierung des Islam möglich wurde. Auch würden muslimische Gemeinden keinerlei Förderungen erhalten wie etwa die katholische Kirche, wodurch sie auf diese Gelder und Spenden angewiesen seien. Hier benötige es eine Debatte darüber, welche Rolle Religion in unserer Gesellschaft insgesamt spiele.

Islamgesetz

Mikl-Leitner verwies auf das neue Islamgesetz, das derzeit von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) in Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden ausgearbeitet wird und im Bereich der Finanzierung "Unabhängigkeit" von ausländischen Geldern vorsehe.

Bis Dienstag soll geklärt werden, ob die am Freitag im Zuge des Großeinsatzes festgenommenen Personen in Untersuchungshaft kommen. Innenministerin Mikl-Leitner zeigte sich zuversichtlich, dass die Beweislage dafür ausreiche. Wenn nicht würden die Personen auch nach ihrer Freilassung weiterhin unter Beobachtung des Staatsschutzes bleiben.

Kommentare