"Sind besorgt über die Aufrüstung Russlands"
Hans Peter Doskozil ist der erste Verteidigungsminister Österreichs, der die NATO besucht. Heute, Mittwoch, trifft er NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
KURIER: Herr Generalsekretär, was erwarten Sie sich von einem Verteidigungsminister eines neutralen Landes?
Jens Stoltenberg: Ich freue mich über den Besuch, Österreich ist ein wichtiger und sehr kompetenter Partner der Allianz. Wir haben eine starke partnerschaftliche Beziehung, wir respektieren, dass Österreich neutral ist.
Was macht Österreich zu einem so wichtigen Partner?
Österreich ist der größte Truppensteller in der NATO-geführten KFOR-Mission im Kosovo. Seit Jahren gibt es gemeinsame Trainings. Österreich arbeitet aktiv an der Verbesserung der Kooperationsfähigkeit seiner Streitkräfte mit anderen Partner- und NATO-Staaten. Bei der Cyber-Sicherheit kooperieren wir auf einem sehr hohen Niveau, ebenso beim Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten, wo Österreich eine führende Rolle spielt, wie auch beim NATO-Ausbildungsprogramm mit Serbien.
Sie verlangen eine engere Kooperation zwischen NATO und EU. Was heißt das?
Das ist ein Schlüssel für die Sicherheit im Osten und im Süden. NATO und EU ergänzen sich. 22 EU-Staaten sind auch NATO-Mitglieder. Wir haben eine gemeinsame Haltung gegenüber Russland und modernen Bedrohungen (z. B. Terrorismus, Anm.). In der Ägäis arbeiten NATO und EU zusammen. Das gilt auch für Afghanistan und den Kosovo. Beim NATO-Gipfel in Warschau im Juli planen wir eine gemeinsame Erklärung, wie wir besser auf künftige Krisen und Bedrohungen reagieren können. All dies trägt zu mehr Sicherheit der Bürger bei. Ein starkes Europa ist gut für die NATO, und eine starke NATO ist gut für Europa.
Die NATO bekämpft Schlepper in der Ägäis. Gibt es ähnliche Operationen auch vor Nordafrika?
Der Einsatz in der Ägäis zeigt, dass wir schnell reagieren und gut mit der EU zusammenarbeiten. Wir unterbinden die illegale Migration und den Menschenschmuggel. UN-Zahlen zeigen, dass die Flüchtlingsankünfte im April um 90 Prozent zurückgegangen sind. Im Mittelmeer sind wir bereits mit der Mission "Endeavour" aktiv, ein Artikel 5-Einsatz (Beistandspflicht, Anm.) gegen Terrorismus, der nach 9/11 ausgelöst wurde. Die Operation soll nicht mehr unter diesem Artikel fortgeführt werden, das neue Mandat wird beim NATO-Gipfel beschlossen.
Die NATO-Doktrin gegen Russland ist Abschreckung. Stationiert die NATO noch mehr Truppen und Waffen in Osteuropa?
Russland hat durch sein aggressives Verhalten gegenüber der Ukraine und Verletzung internationalen Rechts eine neue Realität geschaffen. Die NATO hat einen doppelten Ansatz: Abschreckung und Dialog. Das ist kein Widerspruch. Dieser Ansatz ist die beste Grundlage für ein politisches Engagement mit Russland. Unsere Botschaft an Russland ist klar: Wir wollen keinen neuen Kalten Krieg. Der Kalte Krieg ist Geschichte, und er soll auch Geschichte bleiben.
Kann der Dialog mit Moskau überhaupt funktionieren?
Bei starken Spannungen bekommen Dialog, Vorhersehbarkeit und Transparenz einen neuen Stellenwert. Wir halten den Kommunikationskanal mit Russland offen, sind aber besorgt über die militärische Aufrüstung Russlands von Kaliningrad über die Krim bis nach Syrien und ins östliche Mittelmeer. Diese Militär-Konzentration gilt es zu berücksichtigen. Deswegen baut die Allianz ihre multinationale Präsenz im Osten aus. Unsere Strategen haben Vorschläge für die Rotation einiger Bataillone in der Region gemacht. Die Zahl und die Einsatzorte werden beim NATO-Gipfel entschieden.
Wie groß ist das Risiko, mit der Stationierung neuer Truppen in Osteuropa eine Spirale der Aufrüstung auszulösen?
Wir suchen keine Konfrontation. Wir sind defensiv, immer bereit, unsere Verbündeten gegen jede Art von Bedrohung zu verteidigen. Russlands verstärkte militärische Aktivitäten und spontane Manöver wirken destabilisierend. Die praktische Kooperation mit Russland liegt auf Eis, es gibt den Dialog, wie der NATO-Russland-Rat zeigt. Es braucht militärische Transparenz im Euro-Atlantischen Raum, um das gegenseitige Risiko zu beschränken. Das "Wiener Dokument" über die Kontrolle konventioneller Waffen wird erneuert. Wir schicken einen Beamten zur OSZE nach Wien, um das NATO-Engagement in der OSZE zu vertiefen. Wir erwarten von allen Partnern, auch Russland, mehr Transparenz.
"Abschreckung", ein Begriff, der lange Jahre in den Archiven des Kalten Krieges endgelagert zu sein schien. Doch in wenigen Wochen, bei ihrem Gipfel in Warschau, will die NATO eben diesen Begriff wieder aktivieren. Die Zeiten, wo man in Osteuropa quasi auf gegenseitiges Vertrauen mit Russland setzte, sind vorbei – und das hat nun nicht nur politische, sondern auch ganz konkret militärische Konsequenzen. Die Allianz rüstet in Osteuropa auf und demonstriert gerade in jenen Mitgliedsstaaten, die direkt an Russland und das, was dieses Russland als seine Einflusssphäre versteht, grenzen, Verteidigungsbereitschaft. Vor allem Polen und die baltischen Republiken, Lettland, Estland und Litauen, die einhellig vor ihrer wachsenden Bedrohung durch Russland warnen, werden mit Waffen und Truppen versorgt. Hier geht es weniger um große Truppenstärken als um kleine, aber dafür sofort einsetzbare Eliteeinheiten, die rasch auf eine mögliche Krise reagieren können. So bekommen die drei Baltenrepubliken jeweils zwischen 300 und 1000 zusätzliche Soldaten, die von einem westlichen NATO-Land organisiert und befehligt werden. So wird etwa Deutschland diesen Verband in Litauen übernehmen. Dazu kommen Kampfjets, die ebenfalls in den Ländern stationiert werden und verstärkt den Luftraum patrouillieren.
In Tagen einsatzbereit
Kern des neuen NATO-Konzepts für Osteuropa aber soll eine neue superschnelle Eingreiftruppe sein ("very high readiness task force"). 5000 Soldaten, gemeinsam mit den dazugehörigen Luftstreitkräften und Marineeinheiten sollen innerhalb weniger Tage in allen NATO-Ländern Ostmitteleuropas einsatzbereit sein. Ein Teil dieser Truppe soll in Polen stationiert, der Rest in den Heimatländern quasi sofort abrufbereit sein. Kommandozentrale wird das polnische Stettin in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze. Eine politische Gratwanderung für die NATO, verletzt sie doch gültige Abkommen mit Russland, in denen die Stationierung größerer Truppeneinheiten in Osteuropa untersagt ist.
Moskau rüstet auf
Entsprechend empört ist auch die Reaktion aus dem Kreml. Dort reagiert man auf die NATO-Verstärkungen seinerseits ebenfalls mit Aufrüstung. So werden insgesamt drei russische Divisionen in den Westen und Süden des Landes, also an die Schwarzmeerküste verlegt, insgesamt 15.000 Mann, die auch modernste Waffen zur Verfügung haben sollen. Auf beiden Seiten haben Drohgebärden die Suche nach einem friedlichen Miteinander abgelöst. Auch der US-Raketenabwehrschild, seit Jahren Streitthema mit Russland, wird endgültig realisiert. In Rumänien werden die ersten Raketenbatterien zur Abwehr von Mittelstreckenraketen installiert. Auch politisch ist die NATO um unfreundliche Gesten nicht verlegen. Vor zwei Wochen wurde das kleine Balkanland Montenegro offiziell Mitglied der Allianz. Dort hat man zwar nur eine militärisch irrelevante 2000-Mann-Armee, doch für eine Provokation Russlands, das seit Monaten gegen den Beitritt protestiert hatte, genügt das allemal. In Russland hat man im Ausgleich sofort neue Manöver in unmittelbarer Nähe seiner Westgrenze angekündigt.
(von Konrad Kramar)
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