UNO-Expertin warnt: "Hitze ist ein stiller Killer"

Verheerende Waldbrände rund um Athen waren der persönliche Wendepunkt, warum Eleni Myrivili sich bei der Klimakrise der Aufklärung und dem Schutz verschrieben hat. Nun ist sie UN-Hitzebeauftragte.
KURIER: Warum braucht es eine UN-Hitzebeauftragte?
Eleni Myrivili: Ich habe in Athen begonnen, wo ich als stellvertretende Bürgermeisterin und später als erste Hitzebeauftragte Europas gearbeitet habe. Dort habe ich schnell gelernt, wie zerstörerisch Hitze sein kann: Sie bedroht die Gesundheit, verringert die Produktivität, belastet Stromnetze und Wasserversorgung und gefährdet sogar die Ernährungssicherheit. Lange Zeit war das Thema völlig unterschätzt – auch weil man Hitze nicht sieht. Ab 2019 habe ich beschlossen, mich ausschließlich diesem Problem zu widmen. Heute versuche ich als UN-Hitzebeauftragte, Städte weltweit zu unterstützen.
Sie sind wegen Waldbränden auf dieses Thema gestoßen?
Ja, mein persönlicher Wendepunkt war der Sommer 2007, als in Griechenland riesige Waldflächen verbrannten. Ich saß wie viele andere tagelang fassungslos vor dem Fernseher. Niemand sagte, was die Menschen tun sollten, wie sie sich organisieren oder schützen können. Da wurde mir klar, dass es in Griechenland keine wirksame Prävention gab. Wir investierten in Löschflugzeuge, aber nicht in Vorbeugung. Diese Hilflosigkeit und die offensichtliche Verbindung zum Klimawandel haben mich damals aufgerüttelt – und letztlich in die Politik gebracht.
Und was ist Ihr Zugang?
Meine Arbeit hat drei Säulen: Erstens geht es um Bewusstsein. Ich übersetze wissenschaftliche Daten in eine Sprache, die Politiker, Medien und auch besonders gefährdete Gruppen verstehen. Zweitens: Schutz. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen während einer Hitzewelle nicht sterben und Systeme nicht kollabieren. Und drittens: Umgestaltung. Wir müssen unsere Städte neu denken, umbauen und widerstandsfähig machen, wenn sie auch in den kommenden Jahrzehnten noch lebenswert sein sollen.
Ist das wirklich nötig? Hitzewellen hat es früher auch gegeben.
Ja, das stimmt. Aber die Dimension ist heute eine andere. Früher kamen Hitzewellen vielleicht alle acht oder zehn Jahre, dauerten wenige Tage und blieben bei 35 Grad. Heute erleben wir sie fast jeden Sommer mehrfach, sie dauern länger und erreichen Spitzen von fast 40 Grad. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, und Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Städte verstärken diesen Trend noch, weil Asphalt und Beton die Hitze speichern. Deshalb sind Hitzewellen heute viel gefährlicher als noch vor einer Generation.
Woran sterben Menschen bei einer Hitzewelle?
Das perfide ist: In den Statistiken steht selten „Hitze“. Stattdessen sehen wir Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenversagen, Kreislauferkrankungen. Auch Diabetespatienten leiden stärker, und psychische Leiden verschärfen sich. Wir beobachten mehr Suizide und auch mehr Gewalt in Phasen großer Hitze. All das macht Hitze zu einem „stillen Killer“ – sie bricht wie ein unsichtbarer Geist über eine Stadt herein und sucht sich die Schwächsten. Die wahren Opferzahlen kennen wir oft erst Monate später, wenn Ministerien oder Wissenschafter die Übersterblichkeit berechnen. Allein im Sommer 2022 starben in Europa mehr als 60.000 Menschen an der Hitze, ich denke, es waren in Wahrheit viel mehr.
Trifft Hitze die Menschen in den Städten im gleichen Maß?
Hitze trifft vor allem jene, die wenig haben. Wer reich ist, kann die Klimaanlage aufdrehen oder in ein kühles Haus aufs Land flüchten. Wer arm ist, lebt oft in schlecht isolierten Wohnungen ohne Kühlung. Dazu kommen ältere Menschen, Kranke, Kinder und schwangere Frauen – sie sind besonders verletzlich. In vielen Städten müssen gerade Frauen als Hauptverantwortliche für Pflege und Familie mit extremer Belastung umgehen. Hitze legt soziale Unterschiede gnadenlos offen: Sie zeigt, wer geschützt ist und wer nicht, und sie verschärft bestehende Ungleichheiten.
Also was sollen Städte konkret tun? Grüne und blaue Infrastruktur – was soll das sein?
Zwei Werkzeuge sind entscheidend: Wissen und Natur. Wissen heißt Frühwarnsysteme – damit Menschen rechtzeitig informiert sind, Wasser trinken, körperliche Anstrengung meiden oder kühle Orte aufsuchen. Natur heißt: Grüne und blaue Infrastruktur schaffen. Grün bedeutet Bäume, Parks, begrünte Dächer. Blau bedeutet Wasserflächen, Brunnen, Bäche. Am effektivsten ist die Kombination: Bäume entlang von Wasserläufen, die Verdunstung fördern, spenden Schatten und senken nachweislich die Temperaturen. Studien zeigen, dass sich die hitzebedingte Sterblichkeit um ein Drittel reduzieren lässt, wenn Städte ihre Baumkronenfläche um 30 Prozent erhöhen. Das ist enorm.
Medellín in Kolumbien und Singapur haben das Thema sehr gut in den Griff bekommen. Wie sieht das dort aus?
Singapur hat über Jahrzehnte systematisch auf Begrünung gesetzt und gleichzeitig das Wasser genutzt: Flüsse wurden renaturiert, Windströme gelenkt. So ist die Stadt trotz tropischen Klimas vergleichsweise erträglich. Medellín wiederum hat ein Netz aus grünen und blauen Korridoren geschaffen, das die Stadt mit den Bergen verbindet. Begrünte Straßen, Flussläufe, Fußgängerzonen – alles miteinander verknüpft, dazu Seilbahnen in die Hügel. Das hat die Lebensqualität enorm verbessert. Beide Beispiele zeigen: Mit politischem Willen ist radikale Ökologisierung möglich – nicht ein paar Bäume hier und da, sondern eine Neugestaltung ganzer Städte.
Neu ist die Sorge in einigen Weltregionen über die Kombination Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit. Was ist daran so gefährlich?
Weil unser wichtigster Kühlmechanismus – das Schwitzen – bei hoher Luftfeuchtigkeit versagt. Wenn der Schweiß nicht verdunstet, kann der Körper sich nicht mehr kühlen. Schon ab Temperaturen über 35 Grad mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit kann der Mensch schon nach wenigen Stunden überhitzen – und sterben. Besonders gefährdet sind tropische Regionen: Teile Südostasiens, Indiens, der Sahelzone, Südamerikas oder des Nahen Ostens. Dort leben Milliarden Menschen, viele in schlecht gebauten Häusern. Für sie wird die Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit lebensgefährlich – und es fehlen oft die Ressourcen, um sich zu schützen.

Und was sind die Pläne der UNO gegen diese feuchte Hitze?
Globale Patentlösungen gibt es noch nicht. Klar ist: Selbst wenn wir morgen alle Treibhausgas-Emissionen stoppen würden, bliebe die Hitze auf Jahrzehnte. Deshalb müssen Anpassung und Resilienz massiv gestärkt werden. Entwicklungsbanken und internationale Fonds beginnen, Resilienz-Kriterien in ihre Investitionen einzubauen – vom Straßenbau über die Energieversorgung bis zur Stadtplanung. Bei Klimagipfel in Dubai wurde ein „Global Cooling Pledge“ gestartet: Ziel ist es, Kühlungstechnologien zu entwickeln, die ohne klimaschädliche Emissionen auskommen. Aber entscheidend ist: Städte sind die Akteure, die am schnellsten handeln können. Dort entstehen die Innovationen, dort wird entschieden, ob Menschen künftig überleben können.
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