Insider packen aus: Willkür und Schlamperei im Asylwesen

Laut den Vorwürfen sollen einige Asylwerber ihren Schutzstatus durch schwammige Begründungen oder Absprachen bekommen haben.
Absprachen mit Anwälten, schwammige Begründungen, Willkür – Insider berichten dem KURIER von schwerwiegenden Missständen.

Ist es Schlamperei? Ist es personelle Überforderung? Ist es Willkür? Ob beabsichtigt oder nicht, eines scheint klar zu sein: Laut Insidern, die dem KURIER Auskunft gaben, scheint einiges unrund zu laufen in Österreichs Asylwesen. Es geht um fragwürdige Beziehungen zwischen Anwälten und Richtern, fragwürdige positive Asylentscheidungen und anscheinend versagende Kontrollmechanismen zwischen den Instanzen.

Unverständnis

Ein Beispiel – in einem in erster Instanz zunächst abgelehnten Asylantrag eines Afghanen heißt es da etwa von der zweiten Instanz: „Etwaige Unstimmigkeiten und Ungenauigkeiten werden auf die gesetzten Prioritäten und Wertigkeiten der afghanischen Kultur sowie seines Alters zurückgeführt“, liest Herbert (Name der Redaktion bekannt) aus einer Rechtsmittelentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ( BVwG) vor und schüttelt den Kopf. „Ein Asylwerber aus Afghanistan erzählt in der Erstinstanz eindeutig die Unwahrheit und wird abgewiesen. Er geht in die nächste Instanz und erhält Asylstatus, weil ,Unstimmigkeiten‘ mit der afghanischen Kultur vereinbar seien“, sagt er gegenüber dem KURIER.

Herbert arbeitet für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), der ersten Instanz für Asylverfahren in Österreich – und versteht die Welt nicht mehr. Mehr als 25 Asylanträge im Monat sollte jeder BFA-Mitarbeiter erledigen – bei etwas mehr als 20 Arbeitstagen eine schwierige Aufgabe, „sofern man seine Arbeit gründlich erledigen will“, fügt Herbert hinzu.

Ein klassischer Tag im BFA beginnt mit der Einvernahme eines Asylwerbers – dieses Gespräch kann laut Herbert zwischen eineinhalb und acht Stunden dauern: „Es gibt die Geflüchteten, bei denen ein plausibler Fluchtgrund und meistens eine plausible Fluchtgeschichte vorliegt. Da geht es ziemlich schnell. Dann gibt es Menschen, die sich immer wieder in massive Widersprüche verstricken, wo ein langes Gespräch nötig ist.“

Ein effektives Mittel, um zu überprüfen, ob die Angaben des Asylwerbers korrekt sind, sind Fragen über die Topografie seines angegebenen Heimatdorfes: „Es gibt Asylwerber, die sich zwar als praktizierende Muslime bezeichnen, aber dann nicht einmal wissen, wie sie zu Hause zur Moschee finden“, sagt Herbert. Anhand der Einvernahme und weiterer Recherchen über das Herkunftsland trifft Herbert seine Entscheidung: „Grundsätzlich habe ich zu entscheiden, ob die Person Asyl, Subsidiären Schutz, einen Aufenthaltstitel erhält (siehe Grafik unten)“, sagt er.

Wird ein Asylantrag abgewiesen, hat die Person die Möglichkeit, beim BVwG Beschwerde einzureichen. In dieser zweiten Instanz werden die Fälle neu aufgerollt und neu entschieden. Eine dieser Entscheidungen ist jene, die Herbert vorgelesen hat. „So etwas frustriert ungemein“, sagt Herbert und fährt fort: „Eigentlich wäre vorgesehen, dass ein Vertreter des BFA bei seiner Beschwerde-Verhandlung dabei ist.“ Das wird aber laut KURIER-Informanten praktisch nie gemacht. Problematisch sei das vor allem, da das BFA in diesen Verfahren die staatlichen Interessen vertreten solle – und das sei in vielen Fällen nicht gegeben.

„Es ist wohl nachvollziehbar, dass das BFA bei rund 155.000 Asylanträgen in den letzten drei Jahren als Asylbehörde in erster Linie damit beschäftigt war, Asylentscheidungen zu treffen“, sagt BFA-Direktor Wolfgang Taucher auf KURIER-Nachfrage und nennt es „schlicht falsch“, dass keine BFA-Mitarbeiter bei Verhandlungen anwesend wären. Dies sei von der „Besonderheit des Einzelfalles, strategischen Überlegungen und – nicht zuletzt – auch von den personellen Ressourcen abhängig“.

Absprachen?

Insider sind davon sehr irritiert, da laut ihnen bestimmte Richter während der Verhandlung Absprachen mit den Anwälten der Asylwerber treffen.

Legt beispielsweise ein Asylwerber Beschwerde gegen einen negativen Asylbescheid ein, kommt es vor, dass dessen Anwälte die Beschwerde zurückziehen, wenn der Asylwerber im Gegenzug einen Aufenthaltstitel erhält. Bei gewissen Richtern sollen auffallend oft die Beschwerden zurückgezogen und Aufenthaltstitel erteilt worden sein – offensichtlich um sich aufwendige Ermittlungen zur Asylsache zu ersparen. Diese Absprachen sind für Juristen hoch problematisch und könnten durch die Anwesenheit eines BFA-Vertreters verhindert werden. Auf die Frage, ob ihm diese fragwürdige Praxis mancher Richter nicht aufgefallen sei, hieß es aus dem Büro von BVwG-Präsident Harald Perl: „Aus der höchstgerichtlichen Judikatur sind dem BVwG keine Entscheidungen bekannt, im Rahmen derer ein derartiges Vorbringen enthüllt wurde.“

Fälle „liegen gelassen“?

Problematisch sei auch die lange Dauer einiger Verfahren, wobei auch hier von Insidern vermutet wird, dass bestimmte Richter die Fälle regelrecht „liegen“ lassen, um dann Aufenthaltstitel erteilen zu können.

Hat ein Asylwerber keinen Anspruch auf Asyl, weil er keine Fluchtgründe hat, kommt es durch einen längeren Aufenthalt in Österreich zu einer „Aufenthaltsverfestigung“. Das BFA hätte in diesen Fällen die Möglichkeit, eine Beschleunigung der Verfahren zu erreichen, indem es einen sogenannten „Fristsetzungsantrag“ stellt – das BVwG wäre dann gezwungen, innerhalb einer bestimmten Frist zu entscheiden.

In den letzten vier Jahren nach Schaffung des BVwG wurde aber vom BFA noch kein einziger Fristsetzungsantrag eingebracht.

Interne Order?

Vor allem die Machtlosigkeit gegenüber den Entscheidungen des BVwG frustriert Herbert. „Bei einigen Entscheidungen kann ich nur noch Willkür oder Schlimmeres vermuten“, sagt Herbert. „Fakt ist, es gibt Richter, die eindeutig eine Agenda zu verfolgen scheinen und Asylwerbern mit mitunter fadenscheinigen Argumenten Asylrecht zusprechen“, sagt er. Von Richtern des BVwG wird berichtet, dass Perl die interne Order gegeben habe, „Stricherln“ zu produzieren und damit in so vielen Fällen wie möglich positiv zu entscheiden. „Richter/innen üben ihre Tätigkeit unabhängig und weisungsfrei aus. Jegliche Einflussnahme auf die Rechtsprechung ist daher ausgeschlossen“, sagt Perl – dies gelte auch für die vorgeworfenen Absprachen.

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