Höchstrichter fordert "Demokratie-Schub"

Der Präsident des Verfassungsgerichts geht mit den Plänen der Regierung zur Demokratie-Reform hart ins Gericht.

KURIER: Herr Präsident, noch bis Montag läuft ein Volksbegehren, das die direkte Demokratie stärken will. Was halten Sie von der Initiative?

Gerhart Holzinger: Aus meiner Sicht sind die beiden Kern-Forderungen des Volksbegehrens – die Stärkung der Persönlichkeitswahl und der Ausbau der direkten Demokratie – höchst notwendig. Österreich braucht dringend einen Demokratisierungsschub. Die Verdrossenheit ist hoch, die Menschen identifizieren sich ganz offensichtlich nur noch unzureichend mit dem politischen System.

Woran machen Sie das fest?

Protestbewegungen genießen besonderen Zulauf, auch in meinem Bekannten- und Freundeskreis begegnen mir viele, die sagen: Ich weiß nicht, wen ich wählen soll. Der demokratische Wettbewerb der Ideen und Programme fehlt einfach.

Die Regierungsparteien haben darauf mit einem Demokratie-Paket reagiert ...

... und das blieb leider deutlich hinter dem zurück, was man sich noch vor einem Jahr vorgenommen hat. Die Demokratie-Reform ist damit nicht erledigt, und ich sage dazu: Es wäre höchst wünschenswert, dass diese Fragen im bevorstehenden Wahlkampf eine Rolle spielen.

Warum genau missfällt Ihnen der Inhalt des Regierungspakets?

Zum Beispiel wegen der geplanten Veränderungen bei der Vorzugsstimmenwahl. Sie sind ein kleiner Schritt, aber das müsste deutlicher werden. Es geht darum, dass die Beziehung des gewählten Mandatars zum Bürger stärker wird. Da gibt es viele gute Vorschläge – wie etwa in Deutschland.

Sie meinen, es sollte eine Erststimme für einzelne Kandidaten und eine Zweitstimme für eine Partei geben?

So ist es, wobei ich am Prinzip der Verhältniswahl nicht rütteln würde. Persönlichkeitsfördernde Elemente im Wahlrecht müssen stärker werden. Flankierend heißt das, sich bei den Wahlkampfkosten Neues zu überlegen. Die Frage, ob man gewählt wird, darf keine der finanziellen Mittel sein. Es muss Chancengleichheit herrschen.

Zur direkten Demokratie: Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Volksbegehren dürfen nicht länger zahnlos sein. Die Geschichte der Zweiten Republik zeigt, dass es viele Begehren gab, die ernsthafte Forderungen enthielten und große Unterstützung genossen – und dennoch von der Politik schubladisiert worden sind. Auch hier gab es im vergangenen Jahr aussichtsreiche Vorschläge.

Sie sprechen das „Bayerische Modell“ an, wonach die Bevölkerung parallel zum Landtag Gesetze beschließt. Schwächt diese „Volksgesetzgebung“ nicht die Landtage und die Parlamente?

Ich bin nicht der Meinung, dass diese Stärkung der direkten Demokratie zu Lasten der Parlamente geht. Natürlich gibt es viele offene Fragen, aber der von den Menschen geäußerte Wille muss wieder mehr Gewicht bekommen – auch im Hinblick auf weitere Schritte zur Intensivierung der EU-Beziehungen. Durch Staatsverträge alleine kann die europäische Integration auf Dauer nicht funktionieren. Will man das wichtige Projekt Europa weiter bauen, muss man die europäischen Völker bei wichtigen Integrationsschritten direkter einbinden.

Seit vergangenem Montag – und noch bis inklusive kommenden Montag – liegen zwei Volksbegehren in den Magistrats- und Gemeindeämtern auf. Es geht um „Demokratie jetzt!“ der Initiative „MeinOE“ und das „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien“ von der „Initiative gegen Kirchenprivilegien“.

Die vorläufigen Endergebnisse beider Begehren werden bereits am Montagabend vorliegen. Bis Freitagnachmittag zeichnete sich eine geringe Beteiligung der Wähler ab. Ein Rundruf der APA ergab: wenig Interesse der Bevölkerung von Vorarlberg bis St. Pölten, nur aus Wien und dem Burgenland lagen keine Zahlen vor. Der Zuspruch der Bevölkerung dürfte nach aktuellem Stand unter jenem beim Bildungsvolksbegehren liegen, das 2011 von 384.000 Menschen (das sind 6,1 Prozent) unterstützt worden ist. In den meisten Gemeinden lag „Demokratie jetzt!“ leicht vorne.

Anliegen

„Demokratie jetzt!“ fordert mehr direkte Demokratie, ein stärkeres Persönlichkeitswahlrecht sowie den Ausbau der Grund- und Freiheitsrechte. Beim „Kirchenprivilegien“-Volksbegehren geht es um Privilegien der – nicht nur christlichen – Kirchen, um Subventionen und die aus Initiatoren-Sicht mangelhafte Trennung von Kirche und Staat.

Als Angela Merkel im November 2005 das erste Mal als Bundeskanzlerin im deutschen Bundestag sprach, formulierte sie ihr übergeordnetes politisches Ziel so: „Mehr Freiheit wagen.“ Die Abgeordneten verstanden, dass sich die CDU-Politikerin dabei an einem berühmten Satz des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt orientierte. Er hatte 1969 sein Programm so vorgestellt: „Mehr Demokratie wagen.“

Beide Slogans waren gedacht als Antwort auf Verkrustungen des demokratischen Lebens. Ende der 1960er-Jahre war der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg abgeschlossen, vor allem junge Leute wollten mehr, als Sozialpartnerschaft und Wirtschaftswachstum. Die Sozialdemokratie schaffte es damals besser, diese Emotionen aufzunehmen und zu kanalisieren, auch bei uns in Österreich.

Angela Merkel wiederum war nach der Jahrtausendwende mit einem Staat konfrontiert, der alles regelte und vieles kontrollierte. Freilich blieb ihr Ruf nach mehr Freiheit selbst in der eigenen Partei ungehört. Auch Christdemokraten haben sich daran gewöhnt, ihr Wählerklientel beschützend zu betreuen. Mehr Freiheit gehört ja auch nicht zu den grundsätzlichen Forderungen der ÖVP, die stets an ihre Bauern und Beamten denkt, während sich die wachsende Zahl an kleinen Unternehmern in keiner Partei wirklich aufgehoben fühlt.

In einem lebhaften parlamentarischen System gehören Demokratie und Freiheit zusammen. Das macht der Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Gerhart Holzinger, im Interview klar. „Österreich braucht einen Demokratisierungsschub“ sagt er, und er wirbt für ein neues Wahlrecht, das die Freiheit der einzelnen Mandatare eindeutig erhöhen würde. Abgeordnete, die mehr von ihren Wählern als einem Parteivorstand oder einem starken Landeshauptmann abhängig sind, können freier agieren. Ihre Freiheit kann sich nur positiv auf die Gesetzgebung auswirken.

Geldautomat ist keine Antwort auf die Krise

SPÖ und ÖVP haben ihre Geschichte als Großparteien hinter sich. Niemand kann sich vorstellen, dass eine von ihnen wieder eine absolute Mehrheit erhält, wie in den 1960er- und ’70er-Jahren. Aber die Apparate benehmen sich noch immer so, als könnten sie sich das Land aufteilen. Und die Abgeordneten sind zu schwach, das zu ändern, weil sie ja von diesen Apparaten abhängig sind.

Das ist ja die eigentliche Enttäuschung über das Team Stronach. Dort wollten sich Angestellte und Unternehmer engagieren, die sich eben nicht einer Parteimaschine unterwerfen wollten – und sie wurden mit einem Geldautomaten konfrontiert.

Die SPÖ wird auch bei den kommenden Nationalratswahlen auf Frauen und Männer aus der Partei setzen. In der ÖVP hat eben ein Wettrennen begonnen, bei dem Leute aus der Wirtschaft um ein Mandat kämpfen werden. Es sieht aber (noch) nicht danach aus, dass ein neuer Nationalrat wirklich mehr Demokratie wagen will, oder gar mehr Freiheit.

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