"Wir machen das seit 15 Jahren so"

Zu früh sortiert, geöffnet, ausgezählt: Nicht erlaubt, aber in der Praxis üblich, sagen einige Wahlleiter.
Auszählung wäre im gesetzlichen Rahmen nicht machbar, rechtfertigen Wahlleiter ihre Fehler.

Briefwahlkuverts vorher aufschlitzen, damit es am Montag ab 9 Uhr schneller geht? Kein Problem, schließlich schauen wir ja nicht hinein.

Ein Wahlleiter, der mit Hilfskräften die Stimmzettel auszählt? Es bleibt uns ja nichts anderes übrig, wenn die Beisitzer schwänzen!

Schon am Sonntagabend mit der Auszählung beginnen? Muss sein, sonst werden wir nicht rechtzeitig fertig!

Und dann ein Protokoll unterschreiben und bestätigen, dass alles korrekt abgelaufen ist? Na, es wird schon passen.

So oder so ähnlich werden sich Bezirkswahlleiter und Beisitzer ab Montag auf die Fragen der Verfassungsrichter verantworten, wenn sie als Zeugen einvernommen werden. Die FPÖ nennt sie in ihrer Anfechtungsschrift im Zusammenhang mit angeblichen Gesetzeswidrigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen bei der Bundespräsidenten-Stichwahl.

Die Zahl ist mittlerweile auf spektakuläre 90 Zeugen angewachsen und kann, so ein Sprecher des Verfassungsgerichtshofes, noch weiter steigen: "Die Prüfung ist noch im Gange."

Beisitzer schwänzten

Auf KURIER-Anfrage erklären einige, dass sie quasi gezwungen seien, das Gesetz zu brechen – sonst hätte es auch Montagabend noch kein Wahlergebnis gegeben.

Villach-Land war eine der ersten Bezirkswahlbehörden, die vom Innenministerium wegen Unregelmäßigkeiten angezeigt wurden. "Dann soll mir der Minister aber erklären: Wie sollen wir das sonst schaffen? Das Gesetz ist so nicht durchführbar", zeigt sich Bezirkshauptmann Bernd Riepan verärgert. 4300 Wahlkarten gab es in seinem mittelgroßen Bezirk, dafür waren ein Wahlleiter und acht Beisitzer zuständig. "Es war für alle in Ordnung, schon am Sonntag zu auszählen." Was die Beisitzer der politischen Parteien übrigens den zehn Helfern überlassen hätten. Die Kommission sei erst am Montag vollzählig anwesend gewesen, als der Großteil schon erledigt war. "Wir machen das seit 15 Jahren so", sagt Riepan.

Ein Beamter der Bezirkswahlbehörde Innsbruck-Land schildert dem KURIER ein ähnliches Dilemma: Sie hätten zwar regulär um 9 Uhr begonnen, nur sei keines der Kommissionsmitglieder erschienen. Die 14.000 Briefwahlkarten habe man nur mit Beamten als Helfer geschafft. Die Kommission sei am Nachmittag gekommen, habe die Möglichkeit bekommen, alles zu kontrollieren, und unterschrieb dann brav das Protokoll – "auch der FPÖ-Beisitzer", betont der Beamte, der anonym bleiben möchte. "Wir verstehen alle nicht, wie die sich jetzt aufregen können."

Experte kritisiert BMI

Verfassungsjurist Theo Öhlinger kennt kein Pardon: "Das alles würde jemandem – rein theoretisch – die Gelegenheit geben, Stimmen zu verfälschen oder zu unterdrücken. Man muss jede Fehlerquelle ausschließen können." Dafür gebe es ja die Kommission: Damit einer dem anderen auf die Finger schaut. Dass Hilfskräfte in der Not einspringen mussten, lässt Öhlinger aber gelten: "Da muss man sagen: Es geht nicht anders."

Er kritisiert auch das Innenministerium (BMI): "Die tun so, als wäre das alles neu. Ich bin überzeugt, dass es diese Probleme schon früher gab, und sie werden immer schlimmer, je mehr Briefwähler es gibt. Die Probleme wurden jetzt nur deshalb bekannt, weil die Wahl so knapp ausgegangen ist."

Wahlwiederholung oder nicht? Urteil des Experten Öhlinger: "Wenn ich das schon wüsste, bräuchte man ja keine 90 Zeugen befragen."

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