Was fragt man einen Hochrechner, wenn man die Chance hat, ihn anlässlich der heutigen Wahl zu interviewen? Natürlich: „Wie wird es denn ausgehen?“
Mildes Lächeln, prompte Antwort: „Das sage ich Ihnen am Wahltag um 17:05 Uhr. Ich nehme mich absichtlich raus und versuche, Meinungsumfragen möglichst nicht wahrzunehmen. Stimmungsbilder schon, aber die Zahlen interessieren mich kaum, weil mich das möglicherweise voreingenommen gegenüber den eigenen Berechnungen und Prognosen machen würde“, sagt Erich Neuwirth.
Der Mathematiker und Statistiker „brauche ein Tabula-rasa-Gehirn“, wie er es nennt.
Neuwirth, Jahrgang 1948, ist so etwas wie das Urgestein der Hochrechnung und Pionier der Wählerstromanalyse. Denn anlässlich der Nationalratswahl 1983 präsentierte der ORF seinen staunenden Zuschauern die erste eineinhalb Minuten lange Wählerstromanalyse: Erstellt hatte sie Neuwirth, damals Universitätsassistent am Institut für Statistik und Informatik. Kernbotschaft: „Während die SPÖ Stimmen an die FPÖ verlor, konnte die ÖVP Stimmen von der FPÖ gewinnen. Der ÖVP gelang es weiters im Unterschied zur SPÖ, 50.000 Nichtwähler zu mobilisieren.“
Angefangen hatte alles in den 1960er-Jahren. Damals wurde der Journalist Walter Cronkite mit der Präsentation der ersten Hochrechnungen in den USA berühmt. Überhaupt: Hochrechnungen?„Das war eine Idee, die gleichzeitig mit der Entwicklung der Computer aufgetaucht ist“, erinnert sich Neuwirth. „Gerhart Bruckmann war der erste in Österreich, der erkannt hat, was Statistik gemeinsam mit Computern leisten kann: Eine Hochrechnung live zu machen, während noch die Ergebnisse hereinkommen.“
Als der junge Erich 1966 maturierte, hat Prof. Bruckmann im Fernsehen genau das gemacht „und ich war unglaublich beeindruckt“. Ein Jahr später studierte er bereits Mathematik und Statistik – und war bei Bruckmann angestellt. „Einmal habe ich ihn gefragt ,Darf ich mitgehen?’ und habe mich ordentlich genug aufgeführt, dass er das nächste Mal von sich aus meinte: ,Bitte mitkommen und helfen!’ Ich bin also hineingerutscht.“ Als Bruckmann 1986 für den Nationalrat kandidierte, rückte Neuwirth in die erste Reihe.
Mit einer vielfältigeren Parteien-Landschaft wurde das Geschäft der Hochrechner immer schwieriger: „Jene Modelle, die in der Frühzeit hervorragend gepasst haben, haben nicht mehr ganz funktioniert.“ Neuwirth musste verfeinern, nachschärfen, verbessern.
Bis 1996 machte er jede Hochrechnung im ORF. Besonders gerne erinnert sich der Hobbymusiker und Komponist an die Bundespräsidentenwahl 1992: „Während des ganzen Abends musste ich meine Zahlen kein einziges Mal ändern. Nur die Schwankungsbreite wurde geringer. Das war die beste Hochrechnung, die ich je hatte.“ Heute sagt er: „War auch Glück dabei.“
Und: „Natürlich braucht man immer Glück, denn um 17 Uhr hat man keine einzige Wiener Stimme. Und Wien ist bekanntlich anders. Man muss mit G’spür und Erfahrung überlegen, wie man Wählerströme aus anderen Bundesländer auf Wien so übertragen kann, dass es halbwegs sinnvoll ist.“
Übrigens: Wenn Sie diese Zeilen lesen, wird sich der Hochrechner mit seinem MacBook Pro Richtung Studio (heute macht er für Servus TV die Hochrechnungen) aufgemacht haben. Seit 1992 braucht er nicht mehr als einen PC für sein Rechenkunststück. – Was für eine Veränderung zu den Anfängen. „Damals war der Rechner mehrere Kästen groß.“
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