WKO-Präsident: "Der Staat ist zu fett - und das spüren alle"

WKO-Präsident Harald Mahrer
Für Harald Mahrer ist die Staatsquote von 56,3 Prozent zu hoch. In der Verwaltung will er sparen "Wir brauchen diese Kontrolleure nicht" - an der Inflation sei auch die Regierung schuld.

Der Wirtschaftskammerpräsident verhandelte die Dreierkoaltion von ÖVP, SPÖ und Neos mit. An den Pensionserhöhungen übt er Kritik. Diese müsse sich die Politik ebenso gefallen lassen wie den Vorwurf, "der aufgeblähte Staat kostet Wohlstand". Den Verhandlern der Kollektivverträge will er hingegen nichts ausrichten. 

KURIER: 36.000 Arbeitsplätze gibt es seit der Rezession nicht mehr, allein durch Lenzing kommen in zwei Jahren 600 dazu, das Budgetdefizit steigt von 4,8 auf 5,3 Prozent. Wie schlecht geht es der Wirtschaft?

Harald Mahrer: Die Lage ist ernst. Alle Anzeichen in den vergangenen Jahren gingen in diese Richtung, auch wenn manche gesagt haben, man dramatisiere, es richte sich wieder von selbst. Doch es richtet sich nicht mehr von selbst! Wir müssen die heißen Eisen angreifen.

Was ist das heiße Eisen?

Es gilt in der Ökonomie immer drei Grundsätze zu beachten. Erstens: Mittel sind immer knapp. Zweitens: Es gibt immer Zielkonflikte – das heißt, man kann nicht alles machen. Und Drittens: Ein aufgeblähter Staat kostet Wohlstand. Das heißteste Eisen und die Wahrheit ist: Wir haben zu viel Staat. Die Republik hat zugelassen, dass die Staatsquote bei 56,3 Prozent liegt und uns damit alle Wohlstand kostet. Zu viel Staat nimmt uns Bewegungsspielraum, den wir brauchen.

Die letzten Regierungen – vor allem die letzten und von der ÖVP geführten – haben durch die Gießkannenpolitik genau diesen Spielraum genommen.

WKO-Präsident: "Der Staat ist zu fett - und das spüren alle"

Harald Mahrer und Karl Nehammer bei gemeinsamer PK im August 2024

Man muss zwei Dinge unterscheiden: Temporäre notwendige Hilfen, die nach der Pandemie ausgelaufen sind, in einer Zeit, in der die öffentliche Hand entschieden hat, den privaten Händen zu verbieten, ihre Geschäfte aufzumachen. Das ist etwas ganz anderes als langfristig gewachsene Strukturen, die den Staat überdimensional riesig gemacht haben. 

Der Staat greift auch jetzt und permanent ein. Die Bundesimmobiliengesellschaft musste eine Milliarde Euro wertberichtigen, weil die ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung einen Mietpreisdeckel eingeführt hat, der sich natürlich auch auf die BIG auswirkt.

Ich bin ja auch der Meinung, dass Markteingriffe der vollkommen falsche Weg sind. Die ganze Zeit als Staat in den Markt hineinzuregieren, das funktioniert nicht, weil es meist teurer ist und weniger Planungssicherheit mit sich bringt. Das Schlimmste ist, dass sich in den letzten Jahren die Auflagen so multipliziert haben, dass seitens des Staates immer mehr Kontrolleure geschaffen und der Staat dadurch immer teurer wurde. Auf der anderen Seite belastet das die Unternehmer, die immer mehr Menschen brauchen, um diese Auflagen zu erfüllen. So habe ich einen doppelt negativen Effekt. Der Staat ist zu fett – das spüren alle.

Wo muss der Staat abspecken?

Überall dort, wo er nicht produktiv ist. Aber nicht bei Kindergärten, im Gesundheits- oder Pflegewesen. Um dort weiter finanzieren zu können, müssen wir bei unsinnigen Vorschriften abspecken und auch sagen: Ich brauche diese Stellen nicht. Das ist eine harte Ansage, aber sie ist notwendig.

Wir brauchen weniger oder keine Beamte?

Wir brauchen diese Kontrolleure nicht. Ich spreche von Menschen, die Tag und Nacht nichts anderes machen, als für Bürger neue Vorschriften zu erfinden und sich damit selbst eine Existenzberechtigung schaffen. Das hat jetzt schleichend über die letzten zwei Jahrzehnte um sich gegriffen und jetzt müssen wir „Stopp" sagen, damit wir Freiräume schaffen für Menschen, die wir in Kindergärten, Schulen und im Gesundheitswesen brauchen.

Andreas Babler, Christian Stocker und Beate Meinl-Reisinger bei einer Pressekonferenz.

Die Dreierkoalition - SPÖ-Chef Andreas Babler, ÖVP-Chef Christian Stocker, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger

Sie wollen, dass sich Verwaltungsbeamte umschulen lassen?

Wir haben eine Pensionierungswelle – Stichwort Babyboomer – vor uns. Wir haben die Möglichkeit durch neue Technologien, Einsatz von Software und KI Prozesse zu automatisieren und einfacher zu machen – das schafft Spielräume. Diesem Modernisierungs- und Generationenwechsel muss sich die Verwaltung tabulos stellen. Sie hat eine Vorbildwirkung und muss zeigen, dass sie auch bei sich selbst sparen kann, damit wir wieder in Zukunft investieren können.

Wenn Sie so einen Vorschlag haben, müssen Sie Zahlen im Kopf haben, um wie viele Menschen es sich handelt.

Es ist ein mittelfristiges Programm, das heute begonnen werden muss. Das betrifft nicht nur den Bund, sondern auch Länder und Gemeinden. Ich möchte niemandem Vorschriften machen, Politiker werden gewählt, um zu entscheiden. Ich möchte nur nicht, dass ständig Nebelgranaten geworfen und Ablenkungsmanöver versucht werden, um den privaten Bereich ins Scheinwerferlicht zu rücken, während im staatlichen Bereich immer neue Ideen erfunden werden, wie man sich weiter aufblähen kann. Es ist Zeit für einen Kurswechsel.

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Wissen die Regierungsverantwortlichen, was Sie gerade skizzieren?

Auf Basis der Regierungsverhandlungen wissen es alle. Und wenn jemand unwissend tut, dann würde er uns alle anlügen. Alle Zahlen liegen am Tisch. Von den Ministerien über die Landesräte bis zu den Bürgermeistern wissen alle um die Pensionierungswellen. Die Geschichte ist nur: Haben Sie das Rückgrat jetzt zu handeln?

Die Beamtengehaltsverhandlungen laufen wieder. Die Metaller haben unter der Inflation abgeschlossen. Was bedeutet das für die künftigen KV-Verhandlungen?

Unsere Branchenkollegen wissen am besten, was notwendig ist. Ich vermute, dass die Einigung, die wir gesehen haben, einen guten Grund hatte.

Das heißt unter der Inflation?

Ich rede keiner Branche hinein, die wissen selbst, was sie zu tun haben. Es gibt einen großen Unterschied zwischen öffentlichem Reden und Geschrei und der Faktenlage dahinter. Es gibt viele Wirtschaftsbereiche, denen es nicht gut geht. Sie brauchen positive Ergebnisse, um investieren zu können, damit es sie in Zukunft überhaupt noch gibt. Man kann den Faktor der gestiegenen Arbeitskosten, der extrem hohen Energiekosten und der Bürokratiekosten nicht vom Tisch wischen. 

Bei genau den genannten Kostentreibern kommt immer wieder der Ruf nach staatlichen Eingriffen. 

Wir müssen zwischen staatlichen Entscheidungen und Eingriffen unterscheiden. Ein Eingriff findet statt, wenn der Staat etwas macht, das direkt Auswirkungen auf ein privates Marktsegment hat. Eine nicht maßvolle Lohnpolitik bei öffentlichen Gehältern, ein nicht maßvoller Abschluss bei Pensionen oder eine nicht maßvolle Erhöhung von Gebühren und Abgaben führen nicht direkt, sondern nur indirekt zu einem Effekt im privaten Bereich. Also wenn ich die Führerscheingebühr eine Zeit lang nicht erhöhe und dann - wie im August - um 48,8 Prozent anhebe, die Reisepassgebühr um 47,6, die Stromkosten im Vergleich zum Vorjahresmonat um 37,2 Prozent steigen, die Anmeldung des Pkws um 30,4, die Wassergebühr bei den Fixkosten um 11,2 und bei den laufenden Kosten um 8,1 angehoben wird, dann hat das natürlich einen Inflationseffekt und einen Folgeeffekt auf den privaten Sektor. Der Staat hat hier eine Verantwortung und wenn er nicht maßvoll vorgeht, haben wir ein Problem. 

Der Staat treibt also die Preis-Lohn- oder Lohn-Preis-Spirale?

Anders gesagt: Es gibt in Österreich einen Staat-Privat-Dominoeffekt, über den müssten wir reden. Das ist das eigentliche Grundproblem! Wenn ich mich für große Erhöhungen entscheide, dann darf ich mich nicht wundern, wenn sie Auswirkungen auf den Markt haben. Es geht um die Staat-Privat-Kettenreaktion und nicht um eine Lohn-Preis-Spirale.

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Finanzminister Markus Marterbauer

Dann müssten Sie sich mit Ihren Parteikollegen, Kanzler Stocker und Wirtschaftsminister Hattmannsdorfer, und SPÖ-Finanzminister Marterbauer an einen Tisch setzen.

Es wird seit den Regierungsverhandlungen gesprochen! Ich habe nur das Gefühl, dass die Botschaft, die der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Knill und ich seit bald zwei Jahren verkünden, noch nicht überall angekommen ist. Wir brauchen Partnerschaften auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene und Prioritäten. Ich würde mir wünschen, dass wir in zehn Jahren weiterhin allen älteren Menschen in dem Land jegliche topmedizinische Gesundheitsversorgung bieten können. Ich würde mir auch wünschen, dass wir in 5 bis 10 Jahren ein Top-Kindergartensystem und ein Top Schulsystem haben.

Aber?
Ich kann nur verteilen und im öffentlichen Bereich etwas finanzieren, was ich vorher erwirtschaftet habe. Wenn wir das wollen, dann müssen wir bei einer schrumpfenden aktiven Erwerbsbevölkerung alle ein bisschen mehr tun, vielleicht auch ein bisschen länger arbeiten. Gleichzeitig muss der Staat schlanker werden, weil wir Spielräume bei den Kosten schaffen müssen. Und wir müssen den Menschen erklären, wofür es gut ist: Es ist für Top-Bildung für die Jungen und damit für deren Zukunft und es ist für ein gutes Leben und eine Top-Gesundheitsversorgung und Pflege im Alter. 

Apropos Alter: Sie sprechen immer davon, dass längeres Arbeiten sich lohnen soll. Die aktuellen Pensionserhöhungen konterkarieren Ihr Mantra, denn wer mehr und länger arbeitet, der bekommt deshalb nicht mehr. 

Ich sage auch nicht, dass das klug ist, denn es widerspricht dem Versicherungsprinzip. Diese Kritik muss sich die Politik gefallen lassen. 

In Zeiten, da alle sparen sollen oder müssen, haben Sie das WKO-Generalsekretariat vergrößert. Zudem sprechen Ihre Kritiker immer wieder von Zwangsmitgliedschaften und -beiträgen …

Es geht um die Gesamtkosten einer Struktur. Wir waren die Allerersten, die vor dem Beginn der Hochinflationslohnverhandlungen vor zwei Jahren unsere Beiträge zum Teil massiv gesenkt haben. Auch, um nach innen und nach außen ein Signal zu senden. Das hätte ich gerne bei anderen öffentlichen Institutionen gesehen. Man darf das also nicht an der Anzahl von Einzelpersonen in einem Führungsgremium festmachen, sondern muss es an den Gesamtkosten der Organisation messen. Ein Beispiel: Wir eröffnen international AußenwirtschaftsCenter dort, wo sie für unsere Unternehmen echten Mehrwert schaffen und schließen sie konsequent, wenn ein Markt sie nicht mehr benötigt. Das ist genau das, was ich mir von der öffentlichen Hand erwarte: effizienter zu werden.

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