Zur Jahrtausendwende zog er für die SPÖ ins Europaparlament, als zeitkritischer Buchautor („Die Globalisierungsfalle“, „Game over“) hat er sich einen Namen – im Interview für Schau-TV übte Hans-Peter Martin scharfe Kritiker an der Sozialdemokratie in ihrem gegenwärtigen Zustand.
KURIER: ÖVP und Grüne verhandeln eine Koalition, die SPÖ kommt nur noch mit Interna in die Medien – ist die ehemalige Kanzlerpartei endgültig abgemeldet? Hans-Peter Martin: Endgültig weiß ich nicht, aber sicher schon seit längerer Zeit. Die Sozialdemokratie hat aber tragischerweise nicht nur in Österreich Probleme, sondern europaweit. Der Hauptgrund ist: Sie ist weder personell noch strukturell mit der Zeit gegangen.
Wenn ich einen Gusenbauer habe, einen Schröder, einen Sigmar Gabriel, einen Christian Kern, die in dem Moment davon laufen, wo sie Verantwortung abgeben, zur Gegenseite, zum Großkapital und für sehr problematische Leute arbeiten, dann drückt das bei jeder Wahl auf das Wahlergebnis. Zweitens: Die SPÖ ist eine Sekte, da drehen sich alle Fragen nur um interne Personalfragen. Und drittens:
Wenn man sich nicht öffnet, wenn man nicht versteht, dass die soziale Frage eigentlich wichtig ist, aber immer so tut, als ob man das nur im roten Milieu lösen könne, ist man zum Scheitern verurteilt. Und ich sage: Das ist auch gut so.
Warum eigentlich, Hans-Peter Martin
Pamela Rendi-Wagner ist nicht davon gelaufen. Ist sie die Person, die die SPÖ in der Opposition wieder nach vorne bringen kann?
Sie ist nicht die Person, die das machen kann. Man muss ihre Biografie anschauen: Wo ist da die Glaubwürdigkeit? Da hat sie etwas gemeinsam mit Martin Schulz – der hat wie ein großer Blütenstrauß Menschen fasziniert in Deutschland, bis man draufgekommen ist, dass da nicht viel dahinter ist. Bei Rendi-Wagner ist das wieder Bobo-Milieu, ist das wieder angelernt. Das kann nicht funktionieren. Wenn ich an einem Herren Drozda festhalte, der mit dem Porsche vorfährt, dann sind das dramatisch falsche Signale an einen essenziellen Teil der Wählerschaft, aber ehrlich: So ist die rote Partie.
Sind der Sozialdemokratie die Themen abhanden gekommen und der Wähler sucht sie woanders?
Ich sehe es ganz anders: Es gäbe ein Zeitfenster. Frustrierte Menschen, die sich nicht ernst genommen gefühlt haben von der wirtschaftlichen, der politischen, der journalistischen Elite, haben sich irrtümlich den Rechtsnationalen zugewendet. Aber viele davon sind noch keineswegs verloren für einen Weg der Mitte – und jawohl, die soziale Frage bewegt sie, das Thema Wohnen, das Thema der sozialen Ungleichheit, der wirtschaftliche Abschwung. Da plädiere ich massiv auch für einen Generationenwechsel, diese Häupl-Blase, die Faymann-Partie, die gehören alle weg. Es gehören junge Leute her.
Im Moment ist die Ökologie das Thema der Stunde und die Grünen wachsen – wo bleibt da für die Sozialdemokratie als „zweite“ linke Kraft der Platz?
Der Zahltag kommt auch für die Grünen. Man wünscht sich den Einklang mit der Natur. Aber wenn’s darum geht, wirklich Maßnahmen zu setzen, werden auch die Grünen Probleme bekommen, wenn sie es nicht sozial verträglich machen. Da bleibt sehr wohl Platz für dieses soziale Korrektiv. Aber im Moment wünsche ich mir ein Abdanken dieser Sozialdemokratie, und das sage ich als sozialer Demokrat.
Grüne und Bürgerliche, Ökologie und Wirtschaft – kann das zusammen gehen?
Davon bin ich überzeugt. Wenn beide Seiten sich bewegen. Aufgeschlossene ökonomische Führungspersönlichkeiten sehen große Chancen in der modernen Technologie, in der Reduktion von CO2 – es braucht klare Leitlinien, die sie nicht erdrücken und die Konkurrenzfähigkeit erhalten. Auch in der Migrationsfrage ist etwas möglich, da haben sich viele Grüne verlaufen, da werden sich die Grünen auch bewegen müssen. Das Tolle ist: Ich habe mein letztes Buch „Game over“ genannt, und ich habe unterschätzt, wie viele junge Leute da sind und wie sehr das ökologische Thema zieht. Das ist eine Riesenchance, auch gegen die Rechtsnationalisten.
Das ganze Interview können Sie ab 18.35 Uhr auf "Schau-TV" sehen.
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