Grüne-IV: "Bei Bildung fast deckungsgleich"

Streitgespräch mit Klubobfrau und Bundessprecherin der Grünen, Eva Glawischnig und Georg Kapsch, Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung. Hotel Triest , 02.09.2013.
Grünen-Chefin und Industriellenvereinigungs-Chef verbindet mehr als das Schul-Thema.

Bereits im Sommer zeichnete sich eine kleine Urlaubs-Romanze zwischen der ÖVP und den Grünen ab. Nach mehr als einjährigen Verhandlungen mit Vertretern der Industriellenvereinigung haben die Grünen erarbeitet, was sie in den großen politischen Themen trennt, aber erstmals auch formuliert, was sie verbindet. Der KURIER traf dazu Grünen-Chefin Glawischnig und IV-Präsident Kapsch zum Streitgespräch.

KURIER: Herr Präsident, wenn die Grünen in die Regierung kommen, müsste nicht dann der Industrie-Standort Österreich zusperren?

Georg Kapsch: (lacht) Zusperren werden wir sicherlich nicht. Die Diskussionen wären aber härter als sie es heute sind.

Eva Glawischnig: Zusperren? Mittlerweile sitzen die Grünen in fünf Landesregierungen, auch in Oberösterreich, dem Land der Stahlindustrie. Dort gibt es auch nicht täglich Krisensitzungen, nur weil wir mitregieren.

Warum der Dialog zwischen Grünen und IV?

Eva Glawischnig: Normalerweise setzen wir uns als Oppositionspartei mehr mit der Regierung auseinander als mit Interessensverbänden. Wir haben aber bemerkt, dass das ein Defizit ist. Wir finden es einfach sehr hilfreich, sich über Sichtweisen austauschen zu können.

Georg Kapsch: Grundsätzlich sprechen wir mit allen Parteien. Uns interessiert am Ende aber nur die Sache selbst, das heißt: Wie entwickelt sich die Gesellschaft weiter, wie die verschiedenen Politikfelder, wie entwickelt sich der Standort Österreich?

Über den Wirtschaftsstandort wurde ja zuletzt viel geredet.

Eva Glawischnig:Ja, mit unterschiedlichem Stil. Der wichtigste Standortfaktor hat uns aber gefehlt – die Bildungspolitik. Die Bildungspolitik ist der Schlüssel zur Zukunft, da haben wir viel Aufholbedarf.

Sprechen wir über Bildung: Ist die IV da nicht näher bei den Grünen als bei der ÖVP?

Georg Kapsch: Bei gewissen Themen sind wir mit keiner Partei konform, aber ich werde das sicher nicht differenzieren. Wir haben ein Bildungskonzept und dieses ist in weiten Teilen deckungsgleich mit den Ideen der Grünen.

Eva Glawischnig: Bei der Bildung sind wir uns sicher sehr nahe gekommen und das ist wichtig. Wir stehen zur gemeinsamen Schule und finden, dass ganztägige Schulformen sinnvoller sind als Unterricht von 8 bis 12 Uhr mit anschließendem Hort.

Georg Kapsch: Auch in unserem Programm steht die Ganztagsschule. Für uns muss sie aber verschränkt konzipiert werden, das heißt Unterricht am Vormittag und am Nachmittag. Es darf nicht wie jetzt eine Aufbewahrung der Schüler am Nachmittag sein.

Grünes Kernthema ist der Umweltschutz. Gab es da Konsens?

Georg Kapsch: Die Industrie ist kein Umweltmuffel – ganz im Gegenteil. Wir haben in den letzten 20 Jahren in Europa sehr viel getan, aber das war global gesehen sehr einseitig. Deshalb müssen wir umdenken, sonst vertreiben wir die Industrie aus Europa und verlieren viele Arbeitsplätze. Und Green Technologies sind sicher nett, aber ich glaube nicht, dass wir damit alles bewältigen können.

Eva Glawischnig: Den Punkt sehe ich nicht so, gerade die Green Technologies sind nicht einfach nur nett, sondern da liegt viel Potenzial. In Oberösterreich machen diese Technologien schon fünf Prozent der Wirtschaftsleistung aus.

Dafür müsste es Konsens beim Thema Zuwanderung geben?

Eva Glawischnig: Ja, der Konsens bei dieser Frage hat ja bereits für viel Überraschung gesorgt. Es gibt aber noch einiges zu tun. Derzeit haben wir noch eine zu hohe Einkommensgrenze, Probleme bei der Anerkennung von Qualifikationen und auch beim Familiennachzug. Das alles ist sehr wichtig für den Standort Österreich. Du bekommst keine qualifizierten Fachkräfte, wenn die Familien nicht nachziehen dürfen.

Georg Kapsch: Da haben wir bestimmt Gemeinsamkeiten. Es geht ja speziell bei den Hochqualifizierten um die Arbeitserlaubnis für den Partner oder die Partnerin. Ich würde nie in ein Land ziehen, wenn meine Frau in diesem Land keine Arbeitserlaubnis bekommt.

Und wie schaut es beim Thema Steuern aus?

Georg Kapsch: Die derzeit höchsten Arbeitszusatzkosten in ganz Europa sind ein extremer Standortnachteil, die müssen gesenkt werden. Unser Ziel ist die Abgabenquote von weit über 42 Prozent auf rund 38 Prozent zu senken. Ein Teil des Geldes könnte durch eine Pensionsreform aufgebracht werden.

Eva Glawischnig: Ehrlicherweise ist insbesondere wegen des Hypo-Debakels derzeit für große Steuersenkungen kein Spielraum, auch wenn manche Parteien das versprechen.

Frau Glawischnig, befürchten sie nicht, dass sich Stammwähler abwenden könnten aufgrund Ihrer Avancen mit der IV?

Eva Glawischnig: Ich glaube aus diesem Alter sind wir schon längst draußen. Wir sind doch beide an der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich interessiert und dazu ist ein Dialog zwischen Industriellenvereinigung und Grünen wichtig.

Und sind jetzt die Grünen regierungsfähig, Herr Präsident?

Georg Kapsch: (schmunzelt) Wir werden und müssen mit jeder Partei sprechen, die an der Regierung beteiligt ist. Mit den Grünen setzen wir uns aber sehr gerne zusammen. Es gibt hier viel Konsens – aber bei manchen Themen werden wir uns in aller Entschiedenheit wehren.

Mag. Georg Kapsch, geb. 1959, studierte Betriebswirtschaft und trat nach Abschluss des Studiums ins Familienunternehmen ein. Seit 1989 sitzt er im Vorstand der Kapsch-Gruppe und seit 2001 ist er auch dessen Vorsitzender. Der Wiener war von 2008 bis 2012 Präsident der Industriellenvereinigung (IV) Wien und hat seit Juni 2012 den Vorsitz bei der bundesweiten IV. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, geb. 1969, studierte Rechtswissenschaften in Graz und erlangte mit ihrer Arbeit über die Probleme der grenznahen Atomkraftwerke ihr Doktorat. 2008 übernahm die gebürtige Kärntnerin den Parteivorsitz der Grünen und tritt bei der kommenden Nationalratswahl als Spitzenkandidatin der Partei an. Sie ist Mutter von zwei Söhnen und mit dem Fernsehmoderator Volker Piesczek verheiratet.

Kommentare