Größte Auswahl, geringste Wahlbeteiligung
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Elf Listen – so viele wie noch nie – standen in Tirol am Sonntag zur Auswahl. Dennoch haben nur 60 Prozent der Bürger – so wenige wie noch nie – im heiligen Land ihre Stimme abgegeben.
Wie passt das zusammen? Auf den ersten Blick gar nicht, meint Politologe Fritz Plasser: „Das ist ein Paradoxon.“ Die sinkende Wahlbeteiligung – ein internationaler Trend – sei jedenfalls ein Zeichen eines Protests und ein Hinweis auf ein „generalisiertes Misstrauen in politische Akteure aufgrund von Fehlverhalten, Skandalen und Korruption“, erläutert der Experte. In Tirol – es war die niedrigste Wahlbeteiligung bei Nationalrats- oder Landtagswahlen seit 1945 – sei „offensichtlich auch ein breites Portfolio nicht attraktiv genug gewesen“, um enttäuschte Menschen zu den Urnen zu bringen.
Ein weiterer Grund, warum so wenige wählen gegangen sind, ist das Alter. „Die Bevölkerungszusammensetzung ist in Tirol und Vorarlberg jünger als in den übrigen Bundesländern“, sagt Plasser. Jüngere Wähler sind eher Wechselwähler und „haben eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligungsdisziplin“.
Lassen sich aus Tirol Schlüsse für Salzburg ziehen, wo am kommenden Sonntag gewählt wird? Die beiden Länder seien nicht vergleichbar, Plasser traut sich dennoch eine Prognose zu: Aufgrund des Finanzskandals sei auch in Salzburg „mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer erhöhten Wahlenthaltung zu rechnen“.
Schub durch Umfragen
Warum haben sich die Meinungsforscher in Tirol so schwergetan? In den meisten Umfragen lag die ÖVP bei 35 Prozent oder darunter. Der Absturz blieb aus. Die Volkspartei erreichte 39,6 Prozent.
OGM-Chef Wolfgang Bachmayer meint, dass die schlechten Umfragen den Schwarzen letztlich geholfen haben: „Die prognostizierte Niederlage hat eine Mobilisierung der Funktionäre und Wähler bewirkt.“
Branchenkollegen wie Peter Hajek befinden, dass Günther Platters Warnung vor „italienischen Verhältnissen“ der ÖVP „einen Schub“ gebracht habe. Plasser sieht mehrere Gründe für die teils daneben liegenden Umfragen: Die von der ÖVP abgespaltenen Gruppen; keine Erfahrungswerte mit Stronach in Tirol; die Liste Fritz, die „de facto implodiert“ sei. Sie hatte zuletzt 18 Prozent. Frontmann Dinkhauser trat diesmal nicht mehr an, die Partei verlor zwei Drittel ihrer Wähler.
Auch die niedrige Wahlbeteiligung erschwert die Arbeit der Meinungsforscher. 10 bis 15 Prozent der Bürger, die sagen, dass sie wählen gehen werden, tun das letztlich nicht, erklärt Plasser. Hinzu kommt die steigende Zahl an Wechselwählern und „Late-Decidern“ (sie entscheiden erst kurz vor der Wahl, wo sie ihr Kreuzerl machen).
Bachmayer, der in Tirol keine Umfrage gemacht hat, sieht auch qualitative Mängel: „Bedenkliche Stichprobengrößen und Online-Umfragen.“ Wenn nur 200 Menschen interviewt werden, könne kein seriöses Ergebnis erzielt werden. „Und Bei Online-Umfragen erreichst Du ältere und weniger gebildete Menschen nicht.“ Die ÖVP hat beispielsweise aber gerade bei den Älteren gepunktet.
Kommentare