Grasser übte eigene gefälschte Unterschrift

Supernervös? KHGs Trauzeuge Walter Meischberger hielt die Treffen mit seinem Freund und Ex-Minister im Tagebuch fest
Wie kam es dazu, dass der Finanzminister übte, seine eigene gefälschte Unterschrift nachzumachen? Der KURIER arbeitet die wichtigsten und kuriosesten Details der Anklage in einer Serie auf.

Der Albtraum – und für Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und die anderen Angeklagten ist es heute wohl einer – beginnt mit einem abgebrochenen Ibiza-Trip.

Wir sind im September 2009. Die Finanzkrise hat Österreich erreicht, im Zuge der Recherchen zur Pleite der Constantia Privatbank stößt ein Journalist auf ein Detail, das ihn stutzig macht: Der heutige KURIER-Redakteur Kid Möchel hat ein Einvernahme-Protokoll in Händen, in dem ein Constantia-Manager zum BUWOG-Kauf sagt, es seien "Rechnungen von zypriotischen Gesellschaften" gestellt worden – von einem "DR Hochegger". Möchel weiß, dass Hochegger ein Spezi von Ex-Finanzministers Karl-Heinz Grasser ist. Er wittert Korruption, versucht Hochegger zu erreichen. Dieser alarmiert Grassers Freund und Trauzeuge Meischberger, der bricht seinen Ibiza-Urlaub ab – und eine der umfangreichsten Korruptionscausen der Zweiten Republik nimmt Fahrt auf.

Denn knapp eine Woche nach dem ersten Anruf erstatten Hochegger und Meischberger Selbstanzeige, und spätestens jetzt arbeitet die Staatsanwaltschaft an einem Fall, der sie sieben Jahren beschäftigen wird und voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2017 zu einer Verhandlung im Großen Schwurgerichtssaal führt: dem BUWOG-Prozess.

156 Terabyte Daten

Die Rahmen-Handlung ist bekannt: 16 Angeklagten, darunter Ex-Finanzminister Grasser, werden Untreue, Beweismittelfälschung und Bestechung vorgeworfen.

156 Terabyte Daten haben die Staatsanwälte gesichtet; sie haben Konten im Ausland geöffnet, Telefone überwacht, Häuser durchsucht, Zeugen vernommen und alles in eine 825-seitige Anklageschrift gegossen.

Dem KURIER liegt das Schriftstück vollständig vor und arbeitet die wichtigsten und kuriosesten Neuigkeiten in einer Serie auf. Dies scheint insofern geboten, als es um eine ungeheuerliche Frage geht: Haben Grasser und seine Spezis einst beschlossen, die Republik sprichwörtlich zu berauben?

Hat also ein früheres Regierungsmitglied geholfen, 60.000 BUWOG-Wohnungen – und damit milliardenschweres Staatseigentum – zu verscherbeln, um sich mit Provisionszahlungen ein steuerfreies Einkommen zu organisieren, das in einem Netz aus ausländischen Treuhandkonten versteckt bleiben sollte?

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Dem ist so; auch Justizministerium und Weisungsrat haben grünes Licht für einen Prozess gegeben.

"Bemühte" Anklage

Die Betroffenen halten scharf dagegen. "Die Anklage ist zweifelsohne bemüht und detailliert und versucht, zwischen unzähligen Fakten eine Klammer zu finden", sagt Meischbergers Anwalt Eduard Salzborn zum KURIER. Das könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die "objektivierbaren Beweise" erhebliche Mängel hätten – und genau das wollen Salzborn und seine Kollegen aufzeigen.

Geht es nach der Justiz, und damit sind wir wieder im Herbst 2009, zeigte sich sehr bald, wie treffsicher die Recherchen von Journalisten und Justiz waren. Denn nur wenige Tage nach dem abgebrochenen Ibiza-Urlaub schrieb ein Berater Grassers via Blackberry an einen Kanzlei-Kumpel: "Habe Donnerstag auf Freitag Nacht mit Meischberger und Grasser verbracht, Ergebnis war Selbstanzeige für Meischi. (…) Würde zum Kauf der Buwog gerne deine strafrechtliche Meinung wissen, les (dazu) die Geschichte vom Sankholkar (Format-Journalist), sie stimmt, Betrug, Amtsmissbrauch, Untreue, eigene Straftatbestände im Vergabeverfahren. Da rollt einiges auf uns zu."

Dass sie erheblichen Erklärungsbedarf haben würden, war Grasser, Meischberger & Co sofort klar. Im Herbst 2009 finden in kürzesten Abständen Krisensitzungen statt, die Meischberger in einem später beschlagnahmten Tagebuch festhält.

Supernervös

"Am Abend wieder lange Sitzung. Es wird klar, dass die Sache noch lange nicht gegessen sein wird. (...) Verträge sind zu ,finden‘ und abzustimmen, etc.", schreibt er etwa am 19. Oktober 2009.

Im Laufe der nächsten Wochen wird sich Grasser von Trauzeuge Meischberger entfremden ("Komisch entwickelt sich die Sache mit KHG. Er hat sich lange nicht gemeldet. Ich höre er ist supernervös"), aber auch annähern (24. November: "Heute habe ich seit langem wieder einmal mit KHG gesprochen. Er ist noch immer etwas paranoid").

Grasser übte eigene gefälschte Unterschrift
Paranoid? Das würde die Justiz wohl nicht sagen. Im Gegenteil: Die Staatsanwälte attestieren dem Ex-Minister "akribische Vorbereitung" auf die erste Einvernahme. Belegen können sie dies unter anderem mit einer Skizze, die sich auf Seite 706 der Anklage findet. Grasser und Vermögensberater Norbert Wicki sollen nachträglich einen Zusatz zu einem Treuhandvertrag gefälscht haben, um die Justiz glauben zu lassen, Grasser habe sich Geld von der Schwiegermutter geborgt. Laut Anklage eine Schutzbehauptung, um die illegale Herkunft des Geldes zu verschleiern. Der Treuhandvertrag hatte einen Schönheitsfehler: Aus Zeitmangel hat Wicki für Grasser unterschrieben. Die Konsequenz: Grasser musste bei der Einvernahme gefasst sein, noch einmal genau so zu unterschreiben. Laut Staatsanwaltschaft trainierte er die von Wicki gefälschte Unterschrift – was ein Schriftstück zeige, das man bei einer Hausdurchsuchung fand (Faksimile). Mit anderen Worten: Der Ex-Minister soll seine "eigene" gefälschte Unterschrift geübt haben.

Lesen Sie im zweiten Teil: Die neuen Belastungszeugen gegen Grasser & Co – und warum diese für die Justiz glaubwürdig sind.

Am 11. September 2009 schickt Grasser-Vertrauter Peter Hochegger ein SMS an seinen Spezi Walter Meischberger – die Medien seien an der BUWOG-Provisionsgeschichte dran. Woraufhin Meischberger, von Freunden „Walli“ genannt, seinen Ibiza-Urlaub abbricht.
Meischbergers Lebensgefährtin schrieb am 14. September in einem eMail: „Walter hatte heute einen wichtigen Termin und wir mussten Hals über Kopf gestern über Mallorca zurückfliegen. Aber wir werden im Herbst nochmals in Ruhe ein paar Tage in Ibiza verbringen. Hoffe ich!!“
Dazu sollte es nie kommen.

Der Journalist, der Meischbergers Urlaub „verpatzte“, war KURIER-Redakteur Kid Möchel, damals Mitarbeiter des Wirtschaftsblatts. Als er im Zuge seiner Recherchen über die Pleite der Constantia Privatbank von den Zahlungen an die zypriotische Gesellschaft von Peter Hochegger erfährt, will er ihn mit den Vorwürfen konfrontieren. Am 10. September kommt es zu einem Telefonat, in dem Hochegger Möchel erklärt, die Überweisung sei ein Erfolgshonorar für den BUWOG-Deal. Hochegger ist klar, die Causa wird brenzlig. Vier Tage später gab es ein Treffen zwischen Meischberger und Hochegger. Darauf folgen die Selbstanzeige von Hochegger und Meischberger – und der Start der BUWOG-Ermittlungen.

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