Karl-Heinz Grasser: "Ich habe Hoffnung auf ein faires Urteil"
Es musste erst der Ibiza-Skandal passieren und die Corona-Pandemie ausbrechen, damit Karl-Heinz Grasser aus dem medialen Rampenlicht verschwand. Ein gutes Jahrzehnt lang war die skandalumwitterte Privatisierung der rund 60.000 Bundeswohnungen omnipräsent. Mehr als 25.000 Artikel erschienen über die Causa bis 2017, die am 19. September 2009 – also vor mittlerweile elf Jahren – öffentlich ihren Lauf nahm. Nach acht Jahren der Ermittlungen startete vor 1.028 Tagen der Prozess – und in zwei Wochen soll nun endlich das Urteil im Grasser-Prozess fallen. Durch die Corona-Krise ist das lang erwartete Urteil fast in Vergessenheit geraten.
Im einzigen Interview vor der Urteilsverkündung erzählt der Ex-Finanzminister, wie er den Monsterprozess erlebt hat.
KURIER: Herr Grasser, welches Gefühl dominiert 14 Tage vor der Urteilsverkündung: Erleichterung, dass die Causa endlich zu einem Ende kommt – oder die Anspannung vor dem Urteil?
Karl-Heinz Grasser: Es sind drei Gefühle, die spürbar sind. Es ist die Freude, dass die Causa zu Ende geht. Ich hätte mir nie erwartet, dass etwas so lange dauern kann. Andererseits steigt die Anspannung vor dem Urteil. Allerdings stimmt mich der Verlauf des Beweisverfahrens optimistisch. Was dazu kommt, ist eine Erschöpfung. Denn wir sind im zwölften Jahr eines Martyriums. Das geht mit einer enormen Belastung für meine Familie einher, mit schlaflosen Nächten, mit der Vernichtung meiner wirtschaftlichen Existenz.
BUWOG-Angeklagter Karl-Heinz Grasser im Interview
Wenn Sie optimistisch gestimmt sind: Rechnen Sie eher mit einem Freispruch?
Es steht mir nicht zu, irgendwas vorwegzunehmen. Aber wenn ich sehe, was in der Anklageschrift steht und was nach 162 Verhandlungstagen und mehr als 100 Zeugenaussagen am Tisch liegt, dann muss ich feststellen, dass hier eine eindeutige Falsifikation der Staatsanwaltschaft vorliegt.
Die Staatsanwaltschaft hat einen Kriminalroman geschrieben. Sie hat behauptet, es gab einen Tatplan. Es gab keinen Tatplan, das ist umfassend diskutiert und belegt worden. Die Staatsanwaltschaft behauptet, ich hätte die Vergabe der Bundeswohnungen manipuliert. Es waren so viele Zeugen da, die bestätigt haben, dass der Verkauf transparent, korrekt und zum Vorteil für die Republik war.
Es gibt eine alte Juristenweisheit: Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Sind Sie auf das Worst-Case-Szenario vorbereitet?
Nein, bin ich nicht, weil ich weiß, dass ich unschuldig bin. Wenn man weiß, dass man nichts angestellt hat, dann betrachtet man diese elf Jahre als Strafe, mit der ich nie gerechnet habe.
Glauben Sie, dass der Name Grasser jemals eine Rehabilitation erfahren wird? Wird es nicht immer heißen: Nachweisen konnte man es dem KHG vielleicht nicht, aber den Tipp hat er Walter Meischberger trotzdem gegeben ...
Zuerst möchte ich festhalten: Ich habe Walter Meischberger keinen Tipp gegeben. Es dauert lange, bis man sich einen guten Namen aufbaut, aber dieser ist schnell zerstört. Bei mir ist quasi der Panzer drübergefahren. Aber ich habe einen deutlichen Stimmungswandel bemerkt. Am Anfang gab es eine enorme Vorverurteilung, und es war viel Hass da. Viele haben gesagt, der Grasser ist schuldig. Jetzt, nach elf Jahren, sagen viele: Wenn es nach so vielen Jahren keine Beweise, keine Belege, keine Zeugen gibt, dann war es wahrscheinlich politische Rache. Und letztlich war es die Abrechnung für die schwarz-blaue Wenderegierung.
Trauen Sie sich heute schon, an ein Leben nach dem Urteil zu denken?
Das Schöffengericht hat ein langes und gründliches Verfahren ermöglicht. Die Vorsitzende Marion Hohenecker hat viele Dinge zum Vorschein gebracht, die die Staatsanwaltschaft nicht wissen wollte. Die Richterin musste jetzt – elf Jahre nach Beginn der Ermittlungen – per Beschluss neue Unterlagen von der CA Immo anfordern, die die Staatsanwaltschaft nie interessiert hat. Wenn ich mir das Verfahren ansehe, dann habe ich die Hoffnung auf ein objektives und faires Urteil. Mein Wissen, dass ich unschuldig bin, paart sich mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit. Mein Leben beginnt dann hoffentlich wieder.
Nehmen Sie eine Auszeit, wo Sie einfach nur entspannen wollen?
Da kommt sicher eine Geistige Leere nach dieser Marathon-Anspannung. Diese Leere, die dann einsetzt, muss man zulassen und danach muss man sein Leben neu ordnen.
Sie haben mehr als 2,5 Millionen Euro an Prozesskosten. Abgesehen davon, dass Ihre Ehefrau außergewöhnlich wohlhabend ist: Wie finanziert man das?
Ich musste alles, was ich hatte, verkaufen. Die Wohnung in Wien, die Seeliegenschaft am Wörthersee. Ich musste alles, was ich mir aufgebaut hatte, liquidieren, um diese Kosten für Anwälte, Gutachten, Steuerberater und auch meine Lebensführung bezahlen zu können.
Die Gretchenfrage ist, ob Sie Walter Meischberger den Tipp gegeben haben, dass die Immofinanz für die Buwog-Privatisierung mehr als 960 Millionen Euro bieten soll. Diese Woche haben Sie im Prozess festgehalten, dass es 100 Informationsträger gab, die die Bietersummen kannten. Ist es in einem Indizienprozess nicht wahrscheinlicher, dass die Richterin sagt, eine lebensnahe Betrachtung lasse keinen anderen Rückschluss zu, als dass Sie den Tipp gegeben haben?
Ich glaube an einen funktionierenden Rechtsstaat, und da müssen Zeugen, die unter Wahrheitspflicht aussagen, und auch Fakten vor Gericht gehört werden. In der Anklage steht, dass nur Karl-Heinz-Grasser die Information weitergegeben haben kann. Und dann steht drinnen, ich solle die Information zwischen 4. und 7. Juni 2004 weitergegeben haben. Vor Gericht ist man nun draufgekommen, dass ich die Bietersummen selbst erst am 7. Juni erfahren habe und es etwa 100 Informationsträger gegeben hat. So verhält es sich auch mit dem falschen Geständnis von Peter Hochegger, das vom Banker des Walter Meischberger als Zeuge unter Wahrheitspflicht widerlegt wurde. Auch das von der Staatsanwalt mir angedichtete Konto hat seit 2001 immer Walter Meischberger gehört. Er hat dort über viele Jahre Einzahlungen getätigt, Verfügungen vorgenommen. Deswegen war ich schockiert, wie man mir einfach sein Konto zuschreiben kann. Alle Bankmitarbeiter, die Meischberger viele Jahre betreut haben, haben als Zeugen ausgesagt, dass es sich immer um ein Konto von Meischberger gehandelt hat.
Peter Hochegger belastet Sie mit dem Geständnis, gleichzeitig bestreitet er vehement, dass er dem Belastungszeugen Willibald Berner den „Tatplan“ geschildert hätte. Also „belastet“ und „entlastet“ Hochegger gleichzeitig. Wie interpretieren Sie diese Taktik?
Es passt zu Peter Hochegger. Er verfolgt eine klare Win-win-Strategie, und das Win-win soll auf der Seite von Peter Hochegger sein. So sehr ich charakterlich verurteile, was er tut, kann ich seine Taktik menschlich nachvollziehen. Ich habe die Bilder noch im Kopf, als er vor Gericht in Handschellen vorgeführt, verurteilt wurde und im Gefängnis war. Das waren wahrscheinlich so schockierende Erlebnisse für ihn, dass er das nie wieder erleben will, und das treibt sein Handeln an. Aber was hat Hochegger ausgesagt? Dass ihm der Banker von Walter Meischberger im September 2005 auf einem Zettel die Aufteilung der drei Konten samt Kontonamen und Kontonummern verraten hätte. Wir konnten belegen, dass zwei dieser drei Konten im September 2005 noch gar nicht eröffnet waren, sondern erst im Oktober und Dezember 2005 eröffnet wurden und die Kontonummern in der Bank fortlaufend vergeben werden. Es hatte diese Konten im September 2005 noch nicht gegeben, deswegen hat es diesen Vorfall auch nicht gegeben, was der Banker auch unter Wahrheitspflicht ausgesagt hat. Hochegger ist Beschuldigter, kann vor Gericht lügen, und er lügt ganz offensichtlich. Ich habe Hochegger mehrfach der Lüge überführt und konnte das ausführlich vor Gericht darlegen.
Zwei Belastungszeugen der Anklage sind bei ihrer Version geblieben. Da gibt es Ihren Ex-Kabinettsmitarbeiter Michael Ramprecht, der von einem „abgekarteten Spiel“ spricht und Willibald Berner, der der Staatsanwaltschaft den „Tatplan“ verraten hat. Kann man das einfach so vom Tisch wischen und denken, diese Aussagen hätten kein Gewicht für das Urteil?
Das muss das Gericht beurteilen. Ich habe aber länger mit meinen Anwälten besprochen, ob wir ein aussagepsychologisches Gutachten über Ramprecht machen lassen sollen. Jeder, der Ramprecht im Gerichtssaal erlebt hat, erkannte, dass der Mensch mit sich nicht im Reinen ist und viele Probleme hat, um es vorsichtig auszudrücken. Dazukommt, dass weder Berner noch Ramprecht eine eigene Wahrnehmung haben. Denn Ramprecht sagt, er hätte Informationen von Ernst-Karl Plech bekommen, die er so und so deuten würde. Aber hat Ramprecht eigene Wahrnehmungen? Nein, hat er nicht. Berner sagt wiederum, Hochegger hätte ihm vom Tatplan erzählt. Das streitet sogar Hochegger ab. Und ich sage dazu: Die Staatsanwaltschaft hat gegen mich mehrere Verfahren geführt: Telekom, Privatisierung Dorotheum, Post-Privatisierung, Novomatic, Eurofighter, die Vergabe an Lehman Brothers, und es gab sogar ein Verfahren wegen meiner Hochzeit in Weißenkirchen – alle Verfahren mussten eingestellt werden. All diese Verfahren gehen auf Anzeigen von Abgeordneten der Grünen zurück. Unterstützt wurden sie von Walter Geyer, ehemaliger Grüner und vor elf Jahren Leiter der Korruptionsstaatsanwaltschaft. So hat das alles gegen mich begonnen.
Auf dem Mandarin-Konto vermengen sich das Schwiegermutter-Geld und Geld vom berühmten Konto 400.815. Ist das ein Zufall zu viel?
Diese Behauptung der Staatsanwaltschaft, dass es eine Vermischung der Gelder von mir und Walter Meischberger gebe, ist definitiv falsch. Der Vermögensberater hat das Geld meiner Familie gesondert veranlagt und lange, bevor die Causa Buwog verfolgt wurde, auf ein Schweizer Konto weiterüberwiesen.
Die CA-Immo war der unterlegene Bieter bei der Buwog-Privatisierung und klagt die Republik nun auf 1,9 Milliarden Euro Schadenersatz. Sie wurden von der Finanzprokuratur um Kooperation gebeten. Hat Sie das überrascht?
Ich finde die Klage der CA-Immo über 1,9 Milliarden komplett absurd. Die Staatsanwaltschaft klagt mich an, und dann gibt es den Anwalt der Republik, das ist die Finanzprokuratur. Und diese verteidigt nun die Republik gegen die CA-Immo. Dadurch haben wir Aktenzugang bekommen und haben gesehen, was die Finanzprokuratur, die das ganze Verfahren im Gerichtssaal mitverfolgt hat, geschrieben hat. Und das ist spannend: Nach 145 Verhandlungstagen kommt die Finanzprokuratur zu dem Schluss, dass die Schuld des Herrn Grasser keineswegs erwiesen ist. Im Gegenteil, sie zählt eine ganze Reihe von Fakten auf, die belegen, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft falsch sind. Das ist schon sehr interessant, wenn der Anwalt der Republik ebenso davon überzeugt ist, dass die Staatsanwaltschaft unrecht hat. Ich kann nur noch einmal betonen: Die Vergabe war korrekt.
Am 22. Oktober, wenige Tage nach dem Urteil, haben Sie Ihren 15. Hochzeitstag. Die ersten 15 Jahren waren schwierig. Was wünschen Sie sich für die nächsten 15 Jahre?
Einerseits habe ich das Glück, dass die ersten 15 Jahre privat genauso verlaufen sind, wie ich es mir erträumt habe. Der Superstar dieser 15 Jahre ist meine Frau. Von 2009 bis jetzt sind viele Jahre an Problemen, die sie mit ausgestanden hat und wo sie in jeder Phase hinter mir gestanden ist. Ich glaube, dass das in einer schnelllebigen Zeit wie der unseren alles andere als selbstverständlich ist. Noch dazu, wenn man aus einer Familie mit vielen Möglichkeiten kommt. Die nächsten 15 Jahren möchte ich familiär weiter so leben wie jetzt – das ist mein Traum. Wirtschaftlich hoffe ich, dass ich wieder eine neue Existenz aufbauen kann.
Wie belastend waren die elf Jahre?
Es war sehr belastend. Es gab viele Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte. Denn man hat meine Familie in die Causa involviert. Ich glaube, die Staatsanwaltschaft hat die 500.000 Euro meiner Schwiegermutter nur in den Akt genommen, weil es so ein plakatives Thema ist, das jeden interessiert. Da kann jeder mitreden. Faktum ist, dass die 500.000 Euro nicht aus der Buwog-Provision stammen. Das steht auch in der Anklageschrift. Die vielen Headlines in dieser Frage waren immer Erschütterungen und Einschläge zu Hause, weil eine Familie, die gerne diskret ist, nicht kriminalisierende Headlines über ihre privaten Transaktionen lesen will.
Wie erklärt man der Tochter, dass man Hauptangeklagter im größten Wirtschaftsprozess der Zweiten Republik ist?
Mit meiner Tochter darüber zu sprechen, war ganz wichtig, aber leider Gottes muss ich sagen: Sie ist damit aufgewachsen. Sie war zwei Jahre alt, als die Ermittlungen starteten. Heute ist sie 13 Jahre alt und ein junges Fräulein. Sie hat jede Phase miterlebt. Das ist sicher meine schwerste Belastung. Ich konnte es nicht verhindern, dass auch meine Tochter hier durch muss. Denn jeder wesentliche Akt schlug in der Zeitung oder im TV auf. Das hat mich an diesem Verfahren besonders belastet. Denn zu diesen Akten, die in den Medien landeten, bekamen weder ich noch mein Anwalt Einsicht. Wenn permanent neue Akten auftauchen, musst du dich ständig in der Familie erklären. Bei meiner Frau, bei meinen Kindern, bei meinen betagten Eltern. Das ist das, was ein Staatsanwalt nicht sieht. Ich hoffe sehr, dass Lehren aus diesem Verfahren gezogen werden. Es ist ein Musterbeispiel für ein jederzeit öffentliches Verfahren, das es in einem Rechtsstaat nicht geben darf. Es braucht zeitliche Limits. Länger als drei Jahre dürfen Ermittlungen nicht dauern. Alles andere ist unmenschlich.
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