Gottfried Helnwein: "Über Erbärmlichkeit der Ibiza-Posse erstaunt"

Der österreichische Maler Gottfried Helnwein im kurier.at-Gespräch
Der erfolgreiche Künstler rechnet mit der Ibiza-Affäre, der EU und der Sozialdemokratie ab.

Auch wenn er seit mehr als 20 Jahren in Irland lebt, sieht sich Künstler Gottfried Helnwein nach wie vor als Österreicher. Dieser Tage weilt er in Wien, weil Helnwein für die Premiere des ImPuls-Tanz-Festivals das Bühnenbild für Johann Kresniks Tanztheater „Macbeth“ gestaltet hat. Es ist eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 1988, die heute nicht aktueller sein könnte. Damals gab es den Skandal rund um den korrupten CDU-Politiker Uwe Barschel, der tot in der Badewanne gefunden wurde.

KURIER: Herr Helnwein, Sie haben für Johann Kresniks Tanztheater Macbeth das Bühnenbild gestaltet. Was reizt Sie an dieser Arbeit?

Gottfried Helnwein: Johann Kresniks Tanztheater Macbeth ist eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 1988 anlässlich seines 80. Geburtstag. Bevor ich Kresniks Angebot damals annahm, wollte mich Peter Zadek schon mehrmals überreden, ein Bühnenbild zu gestalten. Ich habe immer abgelehnt, weil ich dachte, das ist nichts für mich. Erst Kresnik hat mich überzeugt, weil er mir ein völlig anderes Verständnis und eine andere Vorstellung für die Bühne gab. Er überzeugte mich, dass sie ein erweiterter Raum sein konnte, für das, was ich durch meine Bildern ausdrücken wollte. Das Stück stellt den Prototypen des machtbesessenen korrupten Politikers dar. Es ist erstaunlich wie präzise und zeitlos Shakespeares Analyse ist. Sie ist heute im 21. Jahrhundert genau so aktuell wie vor 500 Jahren, wie 1988 während der Uwe Barschel-Affäre und wie 2019 anlässlich der Schmierenkomödie in Ibiza.

Sie kommen gerade aus Florida. Wird der Ibiza-Skandal in den USA wahrgenommen? Gottfried Helnwein: In den USA wird Österreich in den Medien kaum wahrgenommen, aber das Ibiza-Video hat es wieder einmal geschafft, Österreich in die Headlines zu bringen, wie zuvor Waldheim, Haider und Fritzl. Ich frage mich zwar, wie jemand noch über das Faktum erstaunt sein kann, dass Politik und Macht kaum von Korruption und Machtmissbrauch zu trennen sind. Was für mich hingegen wirklich erstaunt ist die Banalität, Erbärmlichkeit und Lächerlichkeit dieser Posse in Ibiza. Irgendwie ist es ja frustrierend für einen Künstler, zu sehen dass auch die absurdeste Fiktion niemals die Wirklichkeit übertreffen kann.

Als Folge wurde Sebastian Kurz als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik abgewählt. Hätten Sie sich so einen Akt in Österreich vorstellen können, wo jahrzehntelang alles auf Konsens ausgelegt war?

Wenn man sich ein bisschen mit Politik und Geschichte beschäftigt, kann man sich alles vorstellen. Es sind schon erstaunlichere Dinge passiert. Vielleicht war es eine gute Entscheidung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, für die Übergangszeit eine Frau als Kanzlerin einzusetzen, um ein bisschen Ruhe in die aufgeregte, machtbesessene Männerwelt zu bringen.

Strache hat über 44.000 Vorzugsstimmen bei der EU-Wahl bekommen. Wie erklären Sie sich dieses Ergebnis?

Es war ein wirklich Bravourstück, wie sich die Schurken, schlagartig zu den Opfern einer Verschwörung verwandelt haben. Sobald die Österreicher das Gefühl haben, dass Druck vom Ausland kommt, wenn sie den Eindruck haben, irgendjemand wolle sie manipulieren, sich gegen sie verschwören, werden sie sperrig und reagieren widerspenstig und irrational. Das war auch schon bei Kurt Waldheim so. Aber die wirklichen Ursachen liegen wahrscheinlich tiefer. Seit Jahren gibt es in der westlichen Welt eine große Abwanderung von den traditionellen sogenannten bürgerlichen Parteien, die in ihrer Selbstgefälligkeit die Probleme und Herausforderungen in dieser Zeit der Globalisierung, des Umbruchs aller Werte, verschlafen haben. Die Wähler fühlen verraten und im Stich gelassen und wenden sich populistischen Parteien zu.

Künstler sagt man gerne nach, dass sie Linke sind. Die Sozialdemokratie steckt in der Krise. Warum?

Ich denke, die gesamte Linke steckt in einer existenziellen Krise. Man sollte es ruhig einmal klar und deutlich aussprechen: der Kapitalismus hat den endgültigen und totalen Sieg errungen. Noch niemals war das Missverhältnis zwischen Arm und Reich so groß wie heute, noch nie war das gesamte Kapital und die Macht in den Händen so weniger. Darüber hinaus steht dieser monopolistischen Elite das erste mal in der Geschichte eine Technologie zur Verfügung, die es ihr erlaubt, weltweit, jeden einzelnen total zu überwachen und zu kontrollieren. Wir befinden uns inmitten einer Dystopie, die alle Vorstellungen Orwells und Huxley bei weitem übersteigen, ausgestattet mit einer so raffinierten Propaganda, die Göbbels wie einen Neandertaler aussehen lassen. Die traditionellen Begriffe von links und rechts sind vollkommen aufgeweicht und bedeutungslos geworden. Sehen Sie sich doch die USA an: Hier hat sich das Kartell der Milliardäre wie Jeff Bezos, Mark Zuckerberg, Bill Gates und Warren Buffett in einem beispiellosen propagandistischen Coup die gesamte Linke, beziehungsweise die „Liberals“, wie sie hier heißen, unter den Nagel gerissen. Die Verlierer dieses Systems, die Ärmsten und Ausgebeuteten, die hier teilweise unter dem Niveau der sogenannten Dritten Welt leben, werden als die Rechten bezeichnet und wählen Donald Trump. Wenn die gerechtere Verteilung des Kapitals, jemals das eigentliche Anliegen der Linken Bewegung war, ist sie in der Realität krachend gescheitert. Alexis Tsipras und Janis Varoufakis waren wahrscheinlich die letzten, die den Aufstand gegen das Diktat der internationalen Banker gewagt haben und ihrem Land die Würde zurückgeben wollten. Wie dieser Versuch ausgegangen wissen wir.

Die Sozialdemokratie setzt auf die falschen Themen?

Die neue Pseudo-Linke hat den ursprünglichen Kampf für mehr soziale Gerechtigkeit gegen „Political Correctness“ eingetauscht, ein willkürliches Regelwerk, das uns vorschreibt wie wir zu kommunizieren haben, welche Worte wir verwenden dürfen, und welche verboten sind. Es gibt eine totale Inflation der Begriffe „Nazi“ und „Rassist“, die jedem um die Ohren fliegen, der sich nicht brav an das Diktat der selbst ernannten Moralisten hält.

Sie leben in Irland. Der Brexit ist dort allgegenwärtig. Wie ist die Stimmung?

Ich habe den Eindruck, dass die Iren besorgt sind, aber vielleicht überschätzen sie die Gefahr. Warum sollte es nicht, auch nach einem Brexit, für Großbritannien und Irland möglich sein, den Grenzverkehr durch Sonderverträge zu regeln?

Historiker und Politiker sind sich einig, dass uns gerade dieses EU-Konstrukt mehr als 70 Jahre lang Frieden gebracht hat ...

Mein Gott, was für ein Schwachsinn. Die Wahrheit ist, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine totale Ernüchterung eingetreten ist, und die Nachkriegsgenerationen ganz einfach die Nase voll hatten von den Kriegen und anderen Blödheiten ihrer Eltern. Ich kenne niemanden in meiner Generation oder der meiner Kinder, der Frankreich überfallen und besetzen will. Und das hat nicht das geringste mit den Typen in Brüssel zu tun, die mit Lobbyisten der großen Konzerne zusammensitzen und sich um unsere Zukunft sorgen. Ex-Kanzler Franz Vranitzky hat einmal gesagt hat, dass die EU ein Bündnis aus Bankern und Schuldnern sei, und das trifft es schon eher, denke ich.

Sie können nachvollziehen, warum die Briten für den Brexit gestimmt haben?

Es gibt ja auch viele Briten, die gegen den Brexit sind. Das sind die Gewinner dieses Systems, die Reichen, Erfolgreichen, die Celebrities, die Banker, die Elite. Aber es gibt auch Verlierer dieses Systems, und die scheinen in der Mehrheit zu sein. Nur um ein Beispiel zu nennen: In England wie in Irland sind die gesamten Fischereirechte an ausländische Konzerne verkauft worden, und seitdem werden die Gewässer von riesigen schwimmenden Fabriken leergefischt. Die Fischer, die seit vielen Generationen hier leben, haben ihre Existenzgrundlage verloren. Oder ein weiteres Beispiel in Irland: die Manager der Anglo Irish Bank haben es geschafft, 60 Milliarden verschwinden zu lassen, in einem Land mit nur vier Millionen Einwohnern. Aber anstatt den gesamten Vorstand und die Bankenaufsicht verhaften zu lassen und eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen, hat sich der Ministerpräsident lieber entschieden, das ganze Land in den Bankrott zu stürzen und die Iren und deren Kinder und Kindeskinder die Rechnung bezahlen zu lassen.

Auch ein Grund, warum die  Volksparteien immer weniger Wähler haben? 

Es sieht schon so aus, als hätten die Wähler die Nase voll. Und das erklärt wahrscheinlich den Erfolg der sogenannten Rechtspopulisten bei den älteren Wählern und die Attraktion der Grünen und Umweltbewegungen bei den jüngeren Generationen.

Kommentare