Glawischnigs GRAS: Der mit dem meisten Sitzfleisch gewinnt
Stellen Sie sich vor, Sie wollen im Freundeskreis ein Abendessen organisieren. Zwei Freunde möchten Italienisch essen, drei andere wollen Sushi, und einer hat einen Gusto auf Schnitzel. Anstatt den überstimmten Schnitzel-Liebhaber in ein Sushi-Lokal zu schleifen, diskutiert die Runde so lange, bis alle von einem Lokal überzeugt sind. Oder bis die Schnitzel- und die Pasta-Fraktion kapitulieren. Im schlimmsten Fall hat bis dahin das Restaurant zu.
So funktioniert das „ Konsensprinzip“ bei den Grünen Alternativen Studenten (GRAS) - jener Studentenfraktion, die offiziell von der Grünen Bundespartei und Parteichefin Eva Glawischnig unterstützt wird.
Das Prinzip der Einstimmigkeit gibt es übrigens auch bei den Amish-Gemeinschaft in den USA: Da wird nur dann eine Telefonzelle aufgestellt, wenn alle Dorfbewohner eine wollen – und das wird dann als technologischer Durchbruch gefeiert.
"Mühsam" und "frustrierend"
Das Konsensprinzip sei „die reinste Form der Demokratie“, jede Stimme werde ernstgenommen, sagen eingefleischte GRASler. „Mühsam“, „lähmend“, „frustrierend“, sagen manch andere, die mit ihnen in der Hochschülerschaft zusammenarbeiten.
„Es gibt inhaltlich große Schnittmengen, aber wir unterscheiden uns deutlich in der Exekution unserer Vorhaben“, sagt etwa Hannah Lutz, VSStÖ-Spitzenkandidatin für die ÖH-Wahl im Mai – und lässt nur leise durchklingen, was sie meint: Während die GRAS-Leute noch diskutieren, denken andere Fraktionen schon an die Umsetzung.
Laut kritisieren möchte sie den Koalitionspartner nicht – der Vierer-Pakt der „Studentenregierung“ aus der stimmenstärksten GRAS, dem VSStÖ, der FLÖ (Fachschaftslisten) und der FEST (Fraktion Engagierter Studierender) hält immerhin seit 2011.
Die AG (Aktionsgemeinschaft) tut sich aus der Opposition heraus schon leichter. „Die Ideologie wird bei der GRAS oft über die Interessen der Studenten gestellt“, sagt AG-Spitzenkandidatin Silvia Grohmann, die aus der Praxis erzählen kann: Im Vorjahr wurde eine Arbeitsgruppe zum Thema Studententicket einberufen. „Die GRAS hat sich aber geweigert, sich mit der RFS (Ring Freiheitlicher Studierender) an einen Tisch zu setzen. Anstatt über das dringend notwendige Studententicket zu sprechen, ist es nur mehr darum gegangen, ob wir die Freiheitlichen ausschließen“, schildert Grohmann im KURIER-Gespräch.
Zwang zur Einstimmigkeit
Die überbordende Diskussionskultur der GRAS kennt auch Flora Petrik, Vorsitzende der Jungen Grünen, die von der Bundespartei vor die Tür gesetzt wurden. Die Bildungswissenschaftsstudentin war 2015 bei der GRAS. „Sie stimmen sogar darüber ab, ob jemand aus ihren Reihen zu einer Podiumsdiskussion gehen darf“, erzählt Petrik, die das Modell demokratiepolitisch für bedenklich hält: „In Wahrheit gewinnt der, der das meiste Sitzfleisch hat. Einzelne trauen sich irgendwann nicht mehr, eine abweichende Meinung zu äußern, weil sie nicht auffallen wollen.“
Sigi Maurer, ehemals ÖH-Vorsitzende der GRAS und derzeit Nationalratsabgeordnete, kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Ich habe mit dieser Diskussionskultur sehr gute Erfahrungen gemacht und finde sie immer noch besser als Kampfabstimmungen.“ Das Konsensprinzip sei bei vielen linken Gruppierungen Usus.
Ob sie sich dieses Modell auch beim Grünen Klub vorstellen könnte? "Wir treffen viele Entscheidungen nach diesem Prinzip, auch wenn wir es nicht so benennen. Es bedeutet nur, dass man Dinge ausdiskutiert und eine Lösung findet, mit der alle glücklich sind. Wenn das zu nichts führt, kann man immer noch mittels Handzeichen abstimmen", erklärt Maurer.
"Zwei-Klassen-Demokratie"
Eine weitere Eigenheit der GRAS sind die FLIT-Plena. Die Gruppe aus Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuellen (FLIT) stimmt in einem eigenen Plenum ab, und geht mit ihrer Entscheidung dann zu den anderen ins Plenum. Ihr Votum wiegt unterm Strich deshalb schwerer, weil wieder das Konsensprinzip greift. „Wenn die FLIT-Leute rote Kugelschreiber wollen, werden rote bestellt“, beschreibt Petrik das Prinzip, das sie „Zwei-Klassen-Demokratie“ nennt.
Bei der GRAS herrscht außerdem Basisdemokratie: Eine oder einen Vorsitzenden gibt es nicht, die Hierarchie ist flach. Weil man für die ÖH-Wahl aber ein Oberhaupt benennen muss, geht Marita Gasteiger als Spitzenkandidatin ins Rennen.
Wegen dieser Strukturen ist es im Vorjahr zu einem Bruch gekommen. Die Linzer und die Grazer lösten sich vom Bundesverband und gründeten die „Grünen Studierenden“. Freilich ist auch die Abspaltung nach dem Konsensprinzip entschieden worden.
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