Gewesslers Experten stellen Brunner Fragen – per Brief

Es ist das EU-Ziel: Bis 2027 sollen sämtliche Mitgliedsstaaten aus russischem Gas aussteigen. Österreich fällt das schwer. Im März bezog man mit 78 Prozent anteilsmäßig so viel Erdgas aus Russland, wie vor Kriegsbeginn. Russisches Gas ist wieder billig. Und: Die teilstaatliche OMV hat langfristige Verträge mit der russischen Gazprom bis 2040. Hält sich Österreich etwa nicht an den EU-Plan?
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat das definitiv vor und überraschte die ÖVP vor zwei Wochen mit einem Ausstiegsplan, erstellt von zwei Energieexperten: Walter Boltz, Ex-Vorstand der E-Control und Ex-OMV-Direktor Gerhard Roiss. Die beiden – Boltz berät das Klimaschutzministerium (BMK) in Energiefragen – haben ihre Vorschläge nun noch einmal Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) per Brief erläutert. Im Schreiben, das dem KURIER vorliegt, betonen sie, dass sie ihre Vorschläge unabhängig vom BMK erarbeitet hätten.
Skeptische Reaktion
Weiter: Um das EU-Ziel einzuhalten, seien Markteingriffe nötig. So soll die OMV-Gashandelstochter OGMT zeitlich befristet ins Eigentum der staatlichen ÖBAG übergehen. Damit hätte der Staat erfahrenes Personal, um eine neue Gas-Strategie umzusetzen.
Das Finanzministerium reagiert auf KURIER-Anfrage – wie schon im Dezember und vor zwei Wochen – skeptisch auf diesen Vorschlag. Die ÖBAG habe klargestellt, dass es nicht zweckmäßig sei, als Marktteilnehmer aufzutreten. „Probateste Maßnahme“ sei eine Gaskoordinierungsstelle.
Mehrere Detailfragen
Boltz und Roiss sehen das anders. Sie formulieren im Brief noch mehrere Detailfragen an Brunner. Etwa, wie Österreich seine gespeicherten Gasmengen weiter erhöhen könnte – ohne das Bundesbudget zu belasten. Oder: Wer die benötigten Transportkapazitäten aus Norwegen oder italienischen Flüssiggas-Terminals reserviere. Etwa die OMV? Diese Kapazitäten seien nämlich erforderlich, um Österreichs Versorgung – ohne russischem Gas – zu sichern.
Und: Sollte die russische Liefermenge kurzfristig entfallen, benötige Österreich sechs Milliarden Kubikmeter Gas. Boltz und Roiss fragen unter anderem: Wer schließt die dafür nötigen Optionsverträge mit Norwegen und Italien ab?
Minister Brunner hat den Brief noch noch nicht beantwortet.
Sehr geehrter Herr BM Brunner,
Wir wurden vor wenigen Wochen von Fr. BM Gewessler ersucht einen Vorschlag zu erarbeiten, wie Österreich mittelfristig geordnet aus der Belieferung mit russischem Erdgas aussteigen
kann, ohne dabei die Versorgungssicherheit zu gefährden, oder die Kosten für die österreichischen Gaskunden zu stark zu erhöhen.
Wir waren auch mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern zu diesem Thema vor ca. einem Jahr in Gesprächen, und daher erlauben wir uns in diesem Schreiben Ihnen unsere Sicht darzulegen
und die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen und Entscheidungen aufzuzeigen.
Wir haben unseren Vorschlag am Freitag letzter Woche übergeben und auch in der Folge öffentlich präsentiert. Festzuhalten ist, dass es sich ausschließlich um Vorschläge von unserer Seite handelt, das BMK die empfohlenen Maßnahmen noch nicht im Einzelnen geprüft hat, und auch keinerlei Einfluss auf die inhaltlichen Arbeiten genommen hat. Wir haben uns auch bewusst in dieser Phase auf die, aus unserer Sicht sachlich gebotenen Maßnahmen fokussiert, ohne im Detail zu prüfen ob und in welcher Form diese politisch umsetzbar oder „akzeptabel“ sind. Wir sehen das vorgestellte Expertenpapier also als Startpunkt für eine breite, öffentliche Debatte über die notwendigen Maßnahmen und Schritte.
Mit diesem Konzept wollen wir einen Beitrag zur Versorgungssicherheit mit Gas in Österreich leisten, und dazu beitragen, dass Österreich in Zukunft nicht mehr in gleichem Maße von Russland oder anderen Gaslieferanten erpressbar ist, wie dies in der Vergangenheit der Fall war.
Auch sind wir beide überzeugt, dass es hoch an der Zeit ist, jetzt konkrete Maßnahmen zu setzen, weil sonst der Marktanteil russischen Gases in Österreich rasch wieder Vor-Krisenniveau erreichen wird. Damit würde Österreich die EU und nationalen Ziele für die Erreichung der Unabhängigkeit von russischem Erdgaslieferungen verfehlen und das Risiko zukünftiger Lieferunterbrechungen bewusst in Kauf nehmen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen beinhalten temporäre, aber zum Teil massive Eingriffe in den Markt, die allerdings unserer Überzeugung nach durch die speziellen Rahmenbedingungen gerechtfertigt sind.
Wir sind mit einem Marktversagen und politischer Erpressung durch Russland konfrontiert. Dies erfordert starke und effektive Gegenmaßnehmen und klare Zuordnung von Verantwortungen und Zuständigkeiten dafür. Um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen, bedarf es darüber hinaus fachlich qualifizierter Mitarbeiter und finanziell und organisatorisch leistungsfähiger Institutionen.
Unsere Vorschläge umfassen Maßnahmen zu den weiter unten angeführten Bereichen. Nachdem es bei der ÖBAG ja bereits Überlegungen dazu gegeben hat, wollten wir Sie ersuchen die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zu unterstützen oder, allenfalls vorhandene, bessere Alternativen aufzuzeigen und zu erläutern. Zu diesem Zweck haben wir zu den vier Themenfeldern jene Fragen formuliert, die uns bei unseren Vorschlägen geleitet haben.
Erhöhung der für österreichische Endkunden eingespeicherten Gasmengen auf ca. 60% des Jahresverbrauches,
Wir sind überzeugt, dass die vorgelegten Vorschläge dazu führen würden, dass sich die zu Winterbeginn für österreichische Kunden gespeicherten Gasmengen auf ca. 60% des Jahresverbrauches erhöhen würden. Unser Vorschlag beinhaltet die Verteilung der Lasten auf Stromerzeuger, Lieferanten und industrielle Großverbraucher. Von Seiten des Bundesbudgets wären nur geringe Unterstützungen erforderlich. Grundsätzlich waren die folgenden Fragen für uns maßgeblich:
• Wie kann man die gespeicherten Gasmengen noch erhöhen, ohne das Bundesbudget durch die Erhöhung der strategischen Speichermengen zu belasten?
• Wer könnte für die Einspeicherung verantwortlich gemacht werden?
• Wer sollte dafür bezahlen und das Preisrisiko tragen?
• Gibt es kostengünstigere Alternativen als die von uns vorgeschlagenen?
Zur Sicherung von Transportkapazitäten für Gas nach Österreich und zum raschen Ausbau der erforderlichen Infrastruktur
Um ohne russische Gaslieferungen die Versorgungssicherheit in Österreich zu gewährleisten, ist es erforderlich, rechtzeitig die Transportkapazitäten für Gas aus dem Norden und aus dem
Süden für die Nutzung durch österreichische Kunden zu sichern. Relevante Fragen sind:
• Wer reserviert wann die für die Versorgung mit nicht-russischem Gas erforderlichen Transportkapazitäten (ca. 3,5 BCM von Norden über die WAG; 3 BCM von italienischen LNG Terminals und TAG) für die Gasjahre 23/24; 24/25; 25/26. Wird die OMV auch für das kommenden Gasjahr ausreichende Transportkapazitäten buchen?
• Wer trägt das finanzielle Risiko für diese Buchungen?
• Wer kann den Wiederverkauf am Sekundärmarkt optimal abwickeln?
• Wie kann der WAG-Ausbau beschleunigt werden?
• Wer bucht die erforderlichen LNG-Kapazitäten auf italienischen Terminals?
• Wer bucht die LNG-Kapazitäten am 2. LNG-Terminal in Greifswald?
Zur gesicherten Verfügbarkeit von nicht-russischen Gasmengen
Um sicherzustellen, dass Österreich bei Entfall der russischen Lieferungen kurzfristig auf andere Gasmenge im Umfang von ca. 6 BCM zugreifen kann, empfehlen wir den Abschluss von Optionsverträgen für diese Gasmengen. Zur Steigerung der Versorgungssicherheit sollte dies zu jeweils 50% vom Norden und vom Süden erfolgen.
• Wer schließt Optionsverträge mit OMV für norwegische Gasmengen für die Gasjahre 2023/24; 2024/25; 2025/26 ab. Und zwar für ca. 3,5 BCM pro Jahr.
• Wer schließt Optionsverträge mit Unternehmen ab, die Gas über Italien nach Österreich liefern können. (jeweils bis zu 3 BCM/Jahr für 3 Jahre)
• Wie lässt sich sicherstellen, dass österreichische Endkunden die Möglichkeit zur Beschaffung nicht-russischen Gases über die gemeinsame EU-Beschaffung nutzen? Würden Sie z.B. eine der folgenden Maßnahmen unterstützen?
o gesetzliche Verpflichtung zum Bezug eines bestimmten Anteils über die EUPlattform
o Anreizsystem für Unternehmen, die über die EU-Plattform beschaffen
• Wer kann allenfalls LNG-Mengen für die Lieferung nach Greifswald beschaffen?
Wir würden es begrüßen, wenn wir zeitnah in einen Dialog zu den obigen Fragen eintreten könnten.
Für Rückfragen stehe wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
DI Walter Boltz, Dr. Gerhard Roiss
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