"Warte oder bezahle": Schieflage im österreichischen Gesundheitssystem
Es ist eines der ambitioniertesten Projekte der Bundesregierung: Im Rahmen der „Reformpartnerschaft“ soll das Gesundheitssystem komplett neu aufgestellt werden. Das Kompetenzenwirrwarr bei Planung, Steuerung und Finanzierung soll verschwinden, die Versorgung damit effizienter und kostengünstiger werden. Wie vielschichtig die Schwächen im heimischen Gesundheitssystem sind, zeigt das Österreich-Kapitel der aktuellen Studie „State of Health in the EU“ (LINK) auf, die in einer Kooperation der EU-Kommission mit der OECD entstand. Die wichtigsten Erkenntnisse daraus:
Hohe Ausgaben
2023 beliefen sich die Gesundheitsausgaben in Österreich laut OECD-Bericht auf 11,2 Prozent des BIP. Damit liegt das Land nur unwesentlich über dem EU-Schnitt von zehn Prozent. Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei der Berechnung der Ausgaben pro Kopf (siehe Grafik): Mit 4.901 Euro rangiert hier Österreich 28% über dem EU-Schnitt (3.832 Euro). Damit liegt das Land EU-weit auf Platz zwei, nur Deutschland hat noch höhere Pro-Kopf-Ausgaben.
Die OECD streicht auch hervor, was heimische Gesundheitsexperten seit Jahren bemängeln: Nach wie vor liegt der Fokus der Ausgaben sehr stark beim Spitalsbereich, der knapp 32 Prozent der Kosten ausmacht. Im EU-Schnitt sind es nur 28 Prozent.
Was auffällt, ist der trotz hoher öffentlicher Finanzmittel im Ländervergleich sehr hohe Anteil an privaten Gesundheitsausgaben. Er liegt 49,2% über dem EU-Schnitt.
Zwei-Klassen-Medizin
Die OECD ortet in Österreich folglich immer stärkere Tendenzen zur Zwei-Klassen-Medizin. Zwar ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung dank einer stark ausgeprägten öffentlichen Krankenversicherung vergleichsweise gut. Aufgrund der stagnierenden Zahl der Kassenärzte bei gleichzeitigem Boom der Privatmedizin, entsteht für die Patienten zunehmend ein Dilemma, das in den Worten des Berichts „warte oder bezahle“ lautet. Sprich: Wer rasch eine Behandlung haben will, muss in die eigene Tasche greifen.
Ungleichheiten
Wenn es um die Ärztedichte geht, gibt es in Österreich erhebliche Unterschiede. Bei einem bundesweiten Schnitt von 553 Medizinern pro 100.000 Einwohnern, ist der Spitzenreiter Wien (705), während Oberösterreich das Schlusslicht bildet (446). Die Zahl der Spitalsbetten pro Kopf ging in den vergangenen fünf Jahren um neun Prozent zurück, was auch der Forderung von Experten entspricht. Damit liegt man aber immer noch rund 30 Prozent über dem EU-Schnitt.
Der Großteil der Österreicherinnen und Österreicher blickt nicht optimistisch in Zukunft. Laut KURIER-Regionalumfrage in Zusammenarbeit mit OGM, bei der mehr als 22.000 Menschen mitmachten, sehen sogar 57 Prozent pessimistisch in die nächsten fünf Jahre.
Das größte Sorgenkind: Die Gesundheitsversorgung. Bei der Frage, welche drei Punkte den Befragten am meisten Sorgen bereiten, wurde die Gesundheitsversorgung am öftesten genannt. Auf Platz zwei und drei folgten Migration und Spaltung der Gesellschaft. Auch wenn der Blick in die Zukunft düster ist, ist die aktuelle Zufriedenheit hoch. 70 Prozent vertrauen darauf, „im Krankheitsfall in meinem Bezirk gut versorgt zu sein“. In Wien ist das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung mit 79 Prozent weit über dem Durchschnitt.
Mit 81 Prozent kann nur Vorarlberg einen noch höheren Wert aufweisen. Im Burgenland liegt sie bei lediglich 66 Prozent. Dort setzt Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) auf einen nicht unumstrittenen Ausbau der Spitalversorgung. Der Vertrauenswert in NÖ ist mit 64 Prozent allerdings noch niedriger.
Ein Blick auf die Bundesländerkarte zeigt übrigens große regionale Unterschiede bei den Zukunftssorgen. Während die Oberösterreicher besonders sorgenvoll auf die wirtschaftliche Entwicklung im Land blicken, wird das Thema Kriminalität nirgendwo sonst so häufig genannt wie in Wien.
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Lebenserwartung
Mit 82,3 Jahren erreichte die Lebenserwartung der Österreicher im Jahr 2024 einen neuen Höchstwert. Der bisherige wurde mit 82 Jahren 2019 und damit kurz vor der Covid-Pandemie erreicht. Danach sank sie zeitweilig auf 81,3 Jahren ab. Laut OECD hätten sich die meisten EU-Länder rascher von diesem pandemiebedingten Rückgang erholt. Nach wie vor besteht ein großer geschlechtsspezifischer Unterschied bei der Lebenserwartung in Österreich. Bei Frauen liegt sie bei 84,5 Jahren, Männer leben viereinhalb Jahre kürzer. Höher gebildete Männer leben mehr als sechs Jahre länger als jene mit einem geringen Bildungsstatus. Innerhalb der EU bewegt sich die Lebenserwartung zwischen 84,1 Jahren (Italien, Schweden) und 75,9 Jahren (Bulgarien).
Vorsorge
In der Behandlung bestehender Erkrankungen liefert das heimische Gesundheitssystem gute Ergebnisse, lautet der OECD-Befund. „Vorsorge bleibt aber ein Schwachpunkt“, heißt es im Bericht. In Zahlen übersetzt: Bei der Sterblichkeit im Zusammenhang mit behandelbaren Erkrankungen lag Österreich 2022 23 Prozent unter dem EU-Schnitt. Bei jener betreffend vermeidbarer Erkrankungen rangierte das Land lediglich leicht darunter. Vor allem im Vergleich mit Westeuropa liegt Österreich hier schlecht. Dies wiederum hängt mit dem vergleichsweise hohen Alkohol- und Tabakkonsum zusammen. Auch bei der Rate der übergewichtigen Erwachsenen lag man 2022 mit 17,4 Prozent um drei Prozentpunkte über dem EU-Schnitt. Seit 2017 stieg die Rate in Österreich um 18 Prozent an – und damit stärker als in jedem anderen EU-Land.
Durchwachsen sieht Österreichs Bilanz beim Thema Impfen aus. Mit einer Influenza-Durchimpfungsrate von 24 Prozent bei den Über-65-Jährigen gehört man EU-weit zu den Hinterbänklern. Negativ erwähnt die OECD auch den Masern-Ausbruch von 2024 mit der für Europa vergleichsweise hohen Zahl an 542 Fällen. Positiv hervorgehoben wird die jüngste Einführung der Gratis-Impfungen gegen Influenza und HPV.
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