Streit um Wiens Gastpatienten: "Tabubruch im Gesundheitswesen“

An sich ist Peter McDonald, Vorsitzender des Dachverbands der Sozialversicherungsträger, eher nicht für markige Wortmeldungen bekannt. Geht es um den aktuellen Streit um die Kosten für die Gastpatienten in Wiens Spitälern, legt aber auch er seine Zurückhaltung ab. „Unsere österreichweit Krankenversicherten haben ihre Beiträge in der Erwartung eingezahlt, dass sie die notwendige Versorgung nicht nur beim niedergelassenen Arzt, sondern auch im Spital bekommen, unabhängig davon, wo sie wohnen. Als Anwalt unserer Versicherten kann ich die von der Wiener Stadtregierung vertretene ‚Wiener-zuerst-Mentalität‘ so nicht hinnehmen“, sagt er zum KURIER. „Sie erinnert ein wenig an die America-First-Bewegung des US-Präsidenten.“
Wie berichtet, kritisiert die Stadt Wien seit langem, dass die ihr zugewiesenen Zusatz-Mittel für die Versorgung von Gastpatienten aus den anderen Bundesländern längst nicht mehr ausreichen würden. Im vergangenen Jahr musste man bereits mehr als 610 Millionen Euro aus dem Landesbudget zuschießen.
Deshalb hat Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zuletzt einmal mehr laut über getrennte Wartelisten für Wiener und auswärtige Patienten nachgedacht – und damit scharfe Reaktionen aus den hauptbetroffenen Ländern (Niederösterreich und Burgenland) geerntet.
Tatsächlich werden bereits jetzt Patienten aus diesen Bundesländern in Wiener Spitälern aufgefordert, sich lieber daheim behandeln zu lassen. Patientenanwälte sind mit zahlreichen Beschwerden von verärgerten Patienten konfrontiert.

Peter McDonald
„Ein solches Vorgehen entspräche einem Tabubruch im österreichischen Gesundheitswesen. Obendrein halte ich es auch für rechtlich bedenklich“, sagt McDonald.
Er verweist darauf, dass die Sozialversicherungen einen Pauschalbetrag an die Wiener Spitäler für Leistungen für ihre österreichweit Versicherten überweisen. Dieser sei ohnehin schon deutlich höher, als es der Bevölkerungszahl der Bundeshauptstadt entsprechen würde.
Zwei Milliarden für Wien
Zur Erklärung: An sich ist die Finanzierung der Spitäler Ländersache. Allerdings steuert die Versicherung beinahe die Hälfte zu Österreichs Spitalsfonds hinzu. 2025 sind es mehr als acht Milliarden Euro. Wien bekommt davon etwas mehr als zwei Milliarden Euro, was einem Anteil von mehr als 25 Prozent entspricht im Gegensatz zur Bevölkerungszahl der Bundeshauptstadt mit knapp 22 Prozent (siehe Grafik).

Er verweist noch auf einen anderen Aspekt: Viele Menschen würden nach Wien einpendeln und dort Steuern, Gebühren und Sozialversicherung bezahlen. Ihnen könne man schwer erklären, warum sie nicht in einem Wiener Spital behandelt werden sollen.
Für McDonald sei es völlig unverständlich, dass man innerösterreichische Grenzmauern im Gesundheitswesen ausbauen möchte und sich in kleinteiligen Streitereien verzettelt anstatt diese niederzureißen.
„Vielmehr geht es um die Frage: Wie stellen wir unser Gesundheitssystem angesichts des künftig weiter enorm wachsenden Anteils älterer Menschen und des medizinischen Fortschritts auf?“ Ziel sollte eigentlich eine bundesweite, entpolitisierte Planung der Versorgung in den Spitälern und im niedergelassenen Bereich sein, wobei weniger Sozialversichertengelder in Spitäler fließen sollten, damit letzterer deutlich ausgebaut werden könne.
Ostregion
Dass Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nun eine gemeinsame Spitals- und Gesundheitsplanung für die drei Bundesländer der Ostregion fordert, sei ein richtiger erster Schritt, so McDonald. Wobei: Solche Kooperationen seien im Österreichischen Strukturplan Gesundheit bereits vorgesehen. „Allerdings müssen sie mit Leben erfüllt werden.“
Ludwig lädt zum Gipfel
Ludwig bekräftigt unterdessen seinen Appell an NÖ und das Burgenland. Die Einladungen an seine Amtskollegen Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Hans Peter Doskozil (SPÖ) zu einem Gesundheitsgipfel für die Ostregion seien schon ergangen, heißt es im Ludwig-Büro. Auch zahlreiche Experten sollen eingebunden werden.
Geht es nach Ludwig, soll das Thema in der ersten Oktober-Hälfte auch auf die Agenda der Arbeitsgruppe Gesundheit im Rahmen des „Reformpartnerschaft“-Prozesses zwischen Bund und Ländern gehoben werden. Er will es zudem bei der Landeshauptleute-Konferenz im November ansprechen.
„Die Diskussion der letzten Tage hat gezeigt, dass wir uns in der Kernfrage alle einig sind: Das Wohl der Patienten in unseren Bundesländern steht selbstverständlich an oberster Stelle – unabhängig davon, wo sie wohnen“, so Ludwig zum KURIER. „Ich bin überzeugt, dass die überregionale Gesundheitsplanung ein Konzept ist, das in ganz Österreich dafür sorgen kann, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern.“
Mit Wohlwollen ortet man im Wiener Rathaus, dass man auch in Westösterreich der Idee von grenzübergreifenden Versorgungsregionen etwas abgewinnen kann.
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