"Gerechtes Steuersystem ist Pflicht für Regierung"
KURIER: Herr Bundespräsident, es gibt EU-Wahlen, das Interesse daran ist gering. Warum?
Heinz Fischer: Daher werbe ich für eine höhere Wahlbeteiligung, etwa bei Lehrlingen, Schülerinnen und Schülern und bei vielen Gelegenheiten (siehe unten). Wenn man die Menschen richtig anspricht und ihnen ins Gesicht schaut, kann man Interesse wecken. Man muss den Menschen auch sagen, dass das neu gewählte Europa-Parlament das bisher wichtigste sein wird. Wenn jemand mehr Demokratie in Europa will, ist es logisch, auf die Zusammensetzung des Parlaments Einfluss zu nehmen. Das ist meine Botschaft.
Laut Umfragen dürften bis zu 30 Prozent Rechtspopulisten sowie Rechts- und Linksextreme ins Parlament einziehen. Eine Gefahr?
30 Prozent sind sicher zu hoch gegriffen. Ich lehne links- oder rechtsextreme Positionen und auch einen Nationalismus ab, der das eigene Volk, die eigene "Rasse" und egoistische Interessen für höherwertig hält und auf Menschen anderer Nationalität oder Religion herabblickt. Es gibt eine politisch pluralistische Spannbreite, mit der ein Demokrat richtig umgehen muss.
In Österreich nehmen rassistische, antisemitische Attacken zu, wie Schmierereien in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zeigen. Warum ist das so?
Ich sage aus voller Überzeugung, dass Antisemitismus in Österreich nicht zunimmt. Ich lasse mir diese Überzeugung durch einzelnen Schmierereien, die ich schärfstens verurteile, nicht rauben. Selbst im Gespräch mit Israels Präsidenten war ich nicht damit konfrontiert, dass Antisemitismus in Österreich zunimmt. Antisemitismus ist in Österreich ein auf wenige Unverbesserliche reduziertes Phänomen.
Sie sind Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Kann das Heer mit den Budgetkürzungen seinen Aufgaben nachkommen?
Ja. Die Sparmaßnahmen sind schmerzlich. Die Einsparungen sind aber keine Dauersituation. Die allerwichtigsten Investitionen werden getätigt. Einsätze bei Katastrophen und im Ausland sind nicht gefährdet.
Der Widerstand gegen die Steuerbelastung wächst. Der Chef des Pensionistenverbandes, Karl Blecha, sowie der ÖGB wollen sofort eine Reform. Sie auch?
Bis vor Kurzem gab es sehr großen Unmut über das Budgetloch, die Hypo-Bank und die Korruption. Diesen Schutt müssen wir wegräumen. Auch ein gerechtes Steuersystem ist eine Pflichtaufgabe für die Regierung in dieser Legislaturperiode. Man darf die Regierung aber nicht tadeln, wenn sie das Ziel eines Defizitabbaus nicht aufgibt. Daraus leitet sich der Zeitplan ab. Es ist vernünftig, das Jahr 2014 zu verwenden, um sich auf den Inhalt einer Steuerreform vorzubereiten. Es gibt zum Beispiel ein hohes Maß an Konsens, dass der Eingangssteuersatz niedriger werden soll.
Das heißt, es dauert länger, bis es eine Steuerreform gibt?
Wann und wie die Steuerreform in Kraft tritt, ob in Etappen oder in einem Stück, darüber muss verhandelt werden. Auch darüber, wie viel an Gegenfinanzierung notwendig ist, um die Steuerreform zu realisieren und gleichzeitig am Defizitabbau festzuhalten.
Die Gewerkschaft will die Reform ab 2015 und droht sonst mit Kampfmaßnahmen.
Der Bundespräsident muss kein Datum für eine Steuerreform nennen und auch nicht die Sichtweise einer Interessensvertretung teilen. Ich verkenne aber nicht, dass das Steuersystem dringend reformbedürftig ist.
Reformbedarf gibt es auch in der Verwaltung.
Ich ordne Österreich unter die bestentwickelten EU-Staaten ein mit eindeutigen Stärken und einigen unübersehbaren Schwächen. Auf der Haben-Seite der Koalition steht die politische Stabilität. Auf der Soll-Seite liegt das Faktum, dass zwei unterschiedliche Parteien unterschiedliche Sichtweisen und Interessen haben, auch wenn sie kooperationswillig sind, was beim Kanzler und Vizekanzler zweifellos der Fall ist. Ich muss aber zum Beispiel darauf drängen, dass man bei der Verwaltung, der Wissenschaft und bei den Ländern doppelte Anstrengungen unternehmen muss, um wichtige Ziele zu verwirklichen.
Kein Tag vergeht in der Bildungspolitik ohne Pannen. Was sagen Sie zur Performance der zuständigen Ministerin?
Ich habe in diesen Tagen ein langes Gespräch mit Frau Heinisch-Hosek geführt. Sie hat es bestimmt nicht leicht. Ich habe aber gesehen, mit welcher Entschlossenheit sie sich bemüht. Sie ist sich der Probleme bewusst und will Lösungen. Beim bifie hat sie Konsequenzen gezogen. Die Klientel der Lehrerschaft ist ja nicht gerade die einfachste.
Hermann-Gebauer-Straße, Wien-Donaustadt: Dort, wo normalerweise hauptsächlich Lkw aus- und einfahren, bleibt eine schwarze Limousine stehen. Aus dem blank polierten Wagen steigt ein Mann aus, den die meisten nur aus dem Fernsehen kennen. Bundespräsident Heinz Fischer besucht das Bombardier-Werk. "Hallo", "Grüß Gott". Zum flott frisierten Vertriebsleiter sagt das Staatsoberhaupt: "Darf ich Ihnen eine Bürste schenken?" Gelächter im Führungsteam. Der Angesprochene grinst verschämt.
Aufmerksamer Zuhörer
Dann wird’s ernst. An Apfelsaft nippend lauscht Fischer den Erzählungen von Bombardier Transportation-Geschäftsführer Germar Wacker. Er erfährt, dass es im Wiener Werk 650 Mitarbeiter gibt; dass jährlich 70 Niedrigflur-Bahnen ausgeliefert werden; dass 80 Prozent exportiert werden. Sogar die australische Stadt Melbourne hat Züge bestellt.
Doch Fischer ist nicht nur hier, um sich über den florierenden Betrieb zu informieren. Er ist primär gekommen, um mit den jüngsten Mitarbeitern über die EU zu reden: "Das ist eine Premiere. In einer Fabrikshalle habe ich noch nie diskutiert."
Der Anlass dafür ist die EU-Wahl am kommenden Sonntag. Das Staatsoberhaupt möchte möglichst viele Bürger dazu bringen, zu den Urnen zu gehen. Gerade die Jungen kneifen gerne. Das hat eine OGM-Umfrage für den KURIER kürzlich bestätigt. Nur jeder Dritte unter Dreißigjährige will bei der EU-Wahl sein Kreuzerl machen.
Deftige Ausdrücke
Fischer redet den rund 40 Lehrlingen und Ex-Lehrlingen im Bombardier-Werk ins Gewissen ("Nicht wählen zu gehen ist unklug. Ihr hättet noch deftigere Ausdrücke dafür, aber ich muss mich ein bisserl gewählt ausdrücken"). Mitbestimmung sei wichtig, jede einzelne Stimme zähle gleich viel.
Aber der 75-jährige Spitzenpolitiker erzählt der Werksjugend auch von den beiden Weltkriegen mit den zig-Millionen Toten; und, dass danach der Grundstein für die heutige EU gelegt wurde, "weil das nicht noch einmal passieren darf".
Die jungen Leute hören aufmerksam zu. Keiner spielt mit dem Handy. Keiner redet – bis Fischer sagt: "Ich mache jetzt Pause" – und seine Zuhörer animiert, ihm Fragen zu stellen.
Elektro-Energietechniker Bernhard verwickelt den Präsidenten gleich in eine intensive Diskussion über die Ukraine und Russland. "Was ist, wenn wir die Ukraine aufnehmen. Das bringt ja genau nichts", befindet der 21-Jährige. Fischer kontert: "Die Ukraine hat gar kein Beitrittsgesuch gestellt." Bernhard entgegnet: "Aber es ist ihnen doch von der EU angeboten worden." Der Präsident klärt auf: "Es ist ein Assoziationsvertrag angeboten worden. Das ist ein Vertrag für eine Zusammenarbeit, nicht für eine Vollmitgliedschaft."
Künftige Mitglieder
Der 21-jährige Philipp will wissen, was getan wird, damit "Situationen wie in Griechenland nicht mehr vorkommen". Fischer berichtet von genaueren Kontrollen für Staaten und Banken, von Frühwarnsystemen und Rettungsschirmen.
Industriekauffrau Sabrina (23) interessiert, welche Länder noch der EU beitreten werden. "Ich glaube, dass Montenegro gute Chancen hat, das nächste Land zu sein. Im Juni wird grünes Licht für Verhandlungen mit Albanien gegeben." Und auch Serbien sei als zentrales Land auf dem Westbalkan potenzielles EU-Mitglied, erklärt Fischer. Schwieriger sei die Sache mit Mazedonien ("hat einen Streit mit Griechenland") und dem Kosovo ("ist noch nicht von allen EU-Staaten anerkannt").
Aber nicht alle Fragen haben mit der EU zu tun. Die jungen Menschen haben auch andere Sorgen und Ängste. "Wird gewährleistet, dass Sparmaßnahmen nicht zulasten der Bildung gehen?", fragt etwa Mechatronik-Lehrling Andreas (17).
Fischer atmet durch – und antwortet: "Man ist versucht zu sagen: Selbstverständlich. Aber ich will nicht ja sagen und dann gilt das Ja vielleicht nicht. Ich kann aber sagen, dass Bildung und Schulen Investitionen in die Zukunft sind. Und wenn gespart wird, dann darf als letztes bei der Bildung gespart werden."
Andreas nickt, als wolle er sagen: "Ich verstehe, Sie können uns nichts versprechen."
Simone (20) beschäftigt, ob Österreichs Wasser privatisiert werden könnte. Fischer beruhigt: "Niemand kann uns dazu zwingen. Uns kann auch niemand dazu zwingen, die Neutralität aufzugeben."
Potenzielle Wähler
Dann ist die Zeit schon bald um. Fischer wird eine Miniatur-Bahn überreicht. Die jungen Bombardierler werden noch gefragt, wer von ihnen am 25. Mai zur EU-Wahl gehen wird. Fast alle zeigen auf. Fischer frohlockt: "Super! Das ist eine mehr als 90-prozentige Wahlbeteiligung."
Ehe er Richtung Ausgang marschiert, ermahnt er seine Zuhörer aber nochmals: "Ihr wisst eh: Was man verspricht, muss man auch halten. Ok? So jetzt Mahlzeit!"
Die Lehrlinge schmunzeln. "Er war lockerer als ich erwartet habe", sagt ein Bursch. Melanie (23) gibt zu: "Ich hätte ihn mir strenger vorgestellt. Er ist ein total netter Mann."
Das dürfte sich auch Christian Diewald gedacht haben. Denn ehe Fischer wieder in seinen Dienstwagen steigt, lässt er sich vom Vertriebsleiter mit der Stehfrisur noch Name und Adresse geben. Der Bundespräsident will dem Bombardier-Manager eine Haarbürste schicken – er hat’s ja versprochen.
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