Gerald Loacker: "Wenn die Boomer weg sind, ist es zu spät"

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Wie der ehemalige Neos-Sozialsprecher über die türkis-rot-pinke Pensionsreform denkt, wie er die Regierungsperformance der Neos bewertet – und warum es ihn derzeit nicht in die Politik zieht.

Er hat die Politik vor bald einem Jahr verlassen – also bevor die Neos erstmals Teil einer Bundesregierung wurden: Gerald Loacker, ehemals pinker Sozialsprecher. Rund ein Jahr nach seinem politischen Karriereende ist der Vorarlberger im Entgeltmanagement tätig.

Am Tresen der Milchbar, dem gehaltvollen innenpolitischen Podcast des KURIER, spricht Loacker über die türkis-rot-pinke Pensionsreform, die Regierungsperformance der Neos und desinteressierte Abgeordnete. Seine wichtigsten Aussagen:

Die Regierung behauptet, die größte Pensionsreform seit 20 Jahren geschafft zu haben. Stimmt das?

„Das kann man auch anders sehen“, sagt Loacker. 2013 sei die Möglichkeit abgeschafft worden, mit 60 Jahren in Pension zu gehen. „Das war von der finanziellen Wirkung und vom Signal her schon der größere Punch.“

Haben sich die Neos bei den Pensionen also nicht ausreichend durchgesetzt?

Mit der Teilpension, von den Neos jahrelang gefordert, sei jedenfalls ein Systemwechsel eingeleitet worden. „Die Reformen, die jetzt beschlossen worden sind, verschaffen dem System eine kleine Verschnaufpause.“ Aber: „Wenn keine weiteren Schritte folgten, wird das, was beschlossen wurde, nirgends hinreichen.“ Bei vielen anderen Punkten habe sich jedenfalls die SPÖ durchgesetzt, „weil sich in der Substanz wenig getan hat und das ist ja das Ziel der Sozialdemokraten“.

Sozialministerin Korinna Schumann (SPÖ) geht davon aus, dass 10.000 Menschen pro Jahr in Teilpension gehen – und die Regierung so bis 2029 1,3 Milliarden Euro einspart. Ist das realistisch?

In Österreich gehen jährlich rund 100.000 Menschen in Pension. Nur für jene, die vor 65 Jahren in Pension gehen, also rund 25.000 bis 30.000 Menschen, sei die Teilpension besonders spannend, meint Loacker. 10.000 halte er jedenfalls für eine „optimistische Annahme“. Denn derartige Modelle würden ein paar Jahre Zeit benötigen, um akzeptiert zu werden.

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Soll das Pensionsantrittsalter angehoben werden?

„Ich glaube, wichtige politische Player haben sich so sehr einzementiert, dass diese Diskussion nicht gewinnbar ist“, sagt Loacker. Er plädiert weiterhin für einen längeren Pensionskorridor wie in Schweden, der sich an der Lebenserwartung orientiert: „Dann kommt natürlich weniger heraus, wenn ich die Leistung früher in Anspruch nehme.“ Klar sei: Die 1973 Geborenen leben zwei Jahre länger als die 1963er. Sie beziehen also zwei Jahre länger Pension – und darauf müsse man reagieren: „Sonst findet jedes Jahr indirekt eine Pensionserhöhung statt, weil ich um gleich viele Beitragseuros zusätzliche Pensionsmonate einkaufe.“ Derzeit seien die Österreicher im Schnitt 22,5 Jahre in Pension. Das, was sie ins Pensionssystem eingezahlt haben, sei nach 12,8 Jahren aufgebraucht. „Diese Rechnung geht sich hinten und vorne nicht aus.“

Reichen die Einsparungen durch die Pensionsreform nicht, soll ein Nachhaltigkeitsmechanismus die Politik ab 2030 zu Maßnahmen zwingen. Dieser war ein Wunsch der Neos. Ist er gut geregelt?

Loacker verneint: Es sei nicht geregelt, was passiere, wenn keine Maßnahmen gesetzt würden. Und ab 2031 gebe es auch keinen gesetzlich vorgegebenen Pfad mehr. Kurzum: „Das heißt für mich in Kenntnis der politischen Realitäten in Österreich: Es wird nichts passieren.“

Ist auch eine nachhaltige Pensionsreform absehbar?

Wenn, dann müsste Druck von außen kommen, etwa von der EU-Kommission, so Loacker. In Österreich gebe es jedenfalls keine politische Mehrheit für eine substanzielle Reform: „Ich sehe die Kraft der österreichischen Innenpolitik nicht, die notwendigen Schritte zu setzen.“ In Wirklichkeit sei es ohnehin zu spät, die Babyboomer-Generation gehe in den kommenden Jahren in Pension: „Wenn die Boomer weg vom Arbeitsmarkt sind, dann ist es zu spät. Und dieses Zeitfenster versäumt die aktuelle Regierung gerade.“ Und wenn man im System nachkorrigiert, Pensionen unter der Inflationsrate anhebt? „Das hat die Regierung Schüssel ein paar Jahre gemacht. Wie es ihr politisch ergangen ist, kann man nachlesen.“ (Sie wurde abgewählt, Anm.)

War die fehlende Aussicht auf Reformen ein Mitgrund für den Abschied aus der Politik?

Es habe eine ganze Reihe von Gründen gegeben, sagt Loacker: „Nach elf Jahren in diesem Geschäft hat man auch viel Energie gebraucht. Da tut es gut, einen anderen Weg einzuschlagen. Natürlich war mangelnde Aussicht auf Erfolge ein Teil der Entscheidung.“ Diese habe er jedenfalls reiflich überlegt und sei damit „sehr rund“.

Geben die Neos in der Regierung eine gute Figur ab?

„Die Umfragen sprechen dafür, dass die Wähler sehr zufrieden sind mit dem, was das Team da bietet.“

Laufen die Neos Gefahr, mit Zugeständnissen wie bei der Pensionsreform, einen Teil ihrer Identität zu verlieren?

Es werde darauf ankommen, bei der nächsten Wahl „gut zu erzählen, was der Beitrag von Neos war“, meint Loacker: „Aber niemand hat eine bessere Wahlkämpferin als die Neos mit Beate Meinl-Reisinger und daher glaube ich, das wird sicher gelingen.“ Spekulationen über eine neue Neos-Spitze will er nicht kommentieren.

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Soll Teilzeitarbeit weniger attraktiv werden, wie zuletzt von Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer oder NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) gefordert?

In der Debatte werde viel mit Ressentiments, aber wenig mit Zahlen gearbeitet, meint Loacker. Er vermisse konkrete Vorschläge. Zum Beispiel? „Laut einer WIFO-Berechnung wäre es sinnvoller, bestimmte steuerliche Beträge ans Arbeitszeitausmaß anzupassen. Dann wäre jede Arbeitsstunde gleich viel wert. In der Form nimmt das aber kein Politiker auf.“ Derzeit belohne Österreichs System jedenfalls Teilzeit, da man auch bei 15 Wochenstunden Arbeitszeit eine volle Krankenversicherung bekomme. „Wenn Frau Mikl-Leitner und Herr Hattmannsdorfer das ändern wollen, dann sollen Sie es bitte auch sagen. Ich kann dem etwas abgewinnen.“ Loacker verweist auf die Schweiz, wo die Krankenversicherung pro Kopf immer gleich viel kostet.

Ist für Sie eine Rückkehr in die Politik vorstellbar?

Im Gegensatz zu 2013, bei seinem Einstieg in die Politik, „zieht es mich nicht hin“, sagt Loacker. Mühsam sei im Polit-Alltag, dass Abgeordnete häufig über wenig Sachwissen verfügten. Loacker berichtet von einem einprägsamen Vorfall, der in einem nicht öffentlichen Ausschuss stattgefunden habe: „Ein Vertreter einer Regierungsfraktion liest einen Abänderungsantrag vor und bekommt von der Opposition Fragen dazu gestellt.“ Dessen Antwort sei gewesen: „So genau habe ich das nicht gelesen. Man hat mir das hingelegt, es wird schon seine Richtigkeit haben.“

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