Was muss passieren, damit sich die Lage bessert?
Mollena Williams-Haas: Wirkliche Besserung kann es nur geben, wenn die Mehrheit der Menschen in den USA aufsteht und sagt, dass man da nicht mehr mitmacht. Aber ich sehe nicht, dass so etwas passiert – trotz der „Black Lives Matter“-Bewegung. Ich erkenne zwar, dass manche verstehen, dass Rassismus ein Problem ist. Aber für die meisten Amerikaner ist das ein Problem von Einzelnen und kein nationales. Nach dem Bürgerkrieg während des Wiederaufbaus des Landes wurden Gesetze erlassen, um unschuldige Aktivitäten von Schwarzen zu kriminalisieren, damit sie für Sklavenarbeit in den Gefängnissen benutzt werden konnten. Gesetze gegen Herumlungern, Jaywalking (Überqueren einer Straße ohne Beachtung der Verkehrsregeln, Anm.) und Widerstand gegen die Staatsgewalt wurden geschaffen, um willkürlich Einzelne herauspicken zu können.
Georg Friedrich Haas: Ich hoffe auf einen allmählichen Wandel: Dass sich langfristig die Humanität durchsetzt.
Warum gibt es gerade mit Polizisten so oft Probleme?
Mollena Williams-Haas: Es sind nicht „gerade die Polizisten“, es ist die amerikanische Gesellschaft als Ganzes. Die Polizei ist der Knackpunkt, weil sie die Macht über Leben und Tod, Freiheit oder Gefangenschaft hat. Ein rassistischer Chef im Berufsleben kann mir eine Anstellung verweigern. Ein rassistischer Polizist kann mir meine Freiheit und sogar mein Leben nehmen. Die Polizei bildet ein unabhängiges System. Wenn es Probleme gibt, überprüft sie sich selbst. Es gibt keine unabhängige Kontrolle von außen. Unter Obama hat es ein paar Ansätze gegeben, das zu ändern, und Polizeigewalt wurde teilweise überprüft. Aber es gibt nach wie vor keine Stelle, bei der diese Daten zusammen laufen. Das bleibt also alles im Verborgenen.
Hat sich die Lage während der Amtszeit von Präsident Trump verschlechtert?
Mollena Williams-Haas: Rassismus wurde unter Trump wieder hoffähig. Er war immer schon da – und blieb.
Georg Friedrich Haas: Trump hat die Polizei ja wörtlich ermutigt, Gewalt anzuwenden.
Mollena Williams-Haas: Und dann kommt es zu solchen Fällen wie jenem mit dem schwarzen Mädchen Ma’Khia Bryant. Sie wurde von einem Polizisten erschossen, nur weil sie ein Messer hatte. Sie hatte aber keinen Polizisten bedroht, sie wurde von anderen Menschen auf der Straße bedroht und hat selbst die Polizei gerufen. Mit dem Ergebnis, dass sie tot ist.
Georg Friedrich Haas: Wir hoffen sehr, dass es mit Joe Biden zumindest etwas besser wird. Allerdings: Die Mehrheit der weißen Männer hat Trump gewählt. Sogar die Mehrheit der weißen Frauen. Dass uns die mögliche Katastrophe einer zweiten Amtszeit Trumps erspart geblieben ist, verdanken wir den Millionen von schwarzen und indigenen Menschen, die trotz aller Widrigkeiten zur Wahl gegangen sind. In wohlhabenden weißen Gegenden ist Wählen kein Problem: Man geht ins Wahllokal und ist nach fünf Minuten fertig. In ärmeren Gegenden müssen die Menschen stundenlang in der Schlange anstehen, bis sie wählen können. Es ist unfassbar: Die Konservativen wissen, dass sie zahlenmäßig unterlegen sind. Und versuchen daher, durch Manipulationen die Mehrheitsverhältnisse umzudrehen – dabei immer im Rahmen der von ihnen selbst erlassenen Gesetze bleibend, alle diese Manipulationen sind „legal“.
Mollena Williams-Haas: Wir sind eine repräsentative Demokratie und keine direkte. Wir können nur hoffen, dass die Menschen, die gewählt wurden, das Richtige machen. Rassismus liegt leider in der DNA dieses Landes. Es wurde gebaut für weiße Männer, damit sie Sklaven halten konnten.
Wie erleben Sie selbst Rassismus im Alltag?
Mollena Williams-Haas: Das ist so, als würden Sie einen Menschen, der im Rollstuhl fährt, fragen, wie er/sie die Behinderung im Alltag erlebt. Unsere „Behinderung“ existiert aber nicht wegen einer bestimmten körperlichen Disposition, sondern weil diejenigen, die an der Macht sind, kein Mitgefühl für alle ihre Bürgerinnen und Bürger haben.
Georg Friedrich Haas: Wenn wir in Österreich sind, spüren wir, wie tief Rassismus in der Gesellschaft verankert ist. Man starrt uns an, als würde ich Hand in Hand mit einem Marsmenschen gehen. Meine Frau verlässt nach Möglichkeit nicht das Haus, um sich die konstante Demütigung zu sparen.
Mollena Williams-Haas: Wenn wir in Wien sind, ist das Problem geringer. Ich glaube zwar nicht, dass es da im Schnitt weniger Rassisten gibt, aber die Leute sind daran gewöhnt, Menschen unterschiedlicher Hautfarbe zu sehen. Da wird es mit der Zeit ermüdend, diese immer anzustarren.
Georg Friedrich Haas: Aber wenn man in Graz oder in Salzburg ist, wird es schon unbequemer.
Mollena Williams-Haas: Ich erinnere mich, wie wir in einem Landgasthaus essen wollten. Georg hat gefragt, ob es noch offen hat. Dann hieß es ja, also haben wir das Auto abgesperrt und betraten das Lokal. Als mich der Wirt sah, rief er uns zu: Wir haben geschlossen. Georg wurde wütend und wollte mit diesem Mann streiten – aber ich wollte nur gehen. In einem solchen Lokal lassen wir kein Geld.
Georg Friedrich Haas: Einer meiner Lieblingsorte in Österreich ist der Markt am Kaiser-Josef-Platz in Graz. Bei unserem ersten Besuch schlug ich Mollena vor, dort alleine einzukaufen. Bei einigen Ständen wurde sie systematisch übergangen.
Und wie ist das in den USA?
Mollena Williams-Haas: Dort hatte ich viele schreckliche Erfahrungen, bis hin zu sexuellen Übergriffen durch Polizisten, in den frühen 90ern in Los Angeles.
Georg Friedrich Haas: Während der Pandemie sind Mollena und ich aus New York nach Arizona geflüchtet und haben ein alleinstehendes Haus gemietet. Irgendwann fiel mir auf, dass die Nachbarn nie antworteten, wenn wir sie grüßten. Eines Nachts blieb ein Auto an unserer Grundstückgrenze stehen, Leute stiegen aus und leuchteten mit Lampen in unsere Richtung. Dann feuerten sie einen Gewehrschuss ab – in die Luft. Als zwei Tage später aus unerklärlichen Gründen unser Gastank plötzlich leer war, entschieden wir uns, das Haus fluchtartig zu verlassen.
Mollena Williams-Haas: Wenn sie Polizisten im Dienst sehen, vermeiden viele POC (Persons of color, Anm.) grundsätzlich jeden Augenkontakt. Oder sie gehen unauffällig in die andere Richtung. Nicht, weil sie sich schuldig fühlen, sondern weil sie Angst haben. Da geht so viel vor im Körper, ein intensiver Stress. Das trägt dazu bei, dass wir statistisch eine kürzere Lebenserwartung haben.
Georg Friedrich Haas: In den USA gibt es auch immer wieder besondere Wellen von rassistischen Übergriffen. Das war nach 9/11 so, als Personen, bei denen RassistInnen auf Grund ihres Aussehens eine mittelöstliche Abstammung annahmen, attackiert wurden. Oder im Zuge von Corona gegen Asiatinnen und Asiaten. Das wurde von Donald Trump gezielt befeuert, weil er immer vom chinesischen Virus sprach.
Wie sehen Sie gesellschaftspolitische Debatten wie um Gendern in der Sprache oder Blackfacing?
Mollena Williams-Haas: Blackface ist eine besondere amerikanische Erscheinung: Es hat den Weg in viele verschiedene Kunstformen gefunden. Ohne Kenntnis der amerikanischen Geschichte ist es für Menschen in Europa schwierig zu verstehen, warum es derart problematisch und beleidigend ist. Eigentlich sollte es genügen, darüber aufgeklärt zu werden – aber das geschieht nicht. Ich hatte Dutzende Gespräche mit wohlsituierten links denkenden Intellektuellen, die mir erklärten, ich sei da zu empfindlich. In den extremsten Fällen wurde mir sogar vorgeworfen, Zensur wie ein Nazi auszuüben. Niemals habe ich damit gerechnet, als Afroamerikanerin mit dem Nationalsozialismus in Beziehung gebracht zu werden – aber es ist geschehen. Für weiße Europäer*innen ist ihr Entertainment wichtiger als die Tatsache, dass dieses Entertainment uns verletzt.
Wie steht es generell um Rassismus in der Kunstwelt?
Georg Friedrich Haas: Wenn es geschieht, dann meistens subtil. Indirekt. Mir fällt zum Beispiel auf, dass meine Komposition „Hyena“ – zweifelsohne eines meiner stärksten und wirksamsten Werke, mit Mollena als Solistin – fast nie aufgeführt wird. Nur sehr selten begegnen wir offenem Rassismus – etwa in Attacken unter der Gürtellinie durch konservative Journalisten.
Mollena Williams-Haas: Wenn ich in einer Opernaufführung sitze oder bei einem klassischen Konzert, bin ich meistens die einzige schwarze Person. Oft merke ich, dass ich heimlich fotografiert werde. Weil ich die Frau des Komponisten bin? Oder etwa, weil ich schwarz bin? Man fühlt sich wie eine Rosine in einer Schüssel mit Reispudding. Schwarzen SängerInnen wird nicht einmal ermöglicht, die wenigen Rollen zu singen, in denen im traditionellen Opernrepertoire Schwarze auf der Bühne stehen. Als die Metropolitan Opera eine neue „Otello“-Produktion plante und ein Foto mit einem braun bemalten weißen Sänger veröffentlichte ...
...die dann später in Europa wegen der Abkehr vom Blackfacing Schlagzeilen machte...
. . . schrieb ich dem Regisseur auf Facebook, ob er wirklich glaubt, dass es keinen einzigen schwarzen Sänger gibt, der das singen könnte. Ich erinnere mich noch, als ich sechs Jahre alt war und an der MET Leontyne Price als Aida gehört habe. Das hat für mich eine neue Welt geöffnet: Wir können das also auch. Das habe ich dem Regisseur erzählt. Und drei Monate später gab es dann die Meldung: In MET-Produktionen wird es kein Blackfacing mehr geben. Ich war also ein bisschen daran beteiligt.
Im Filmbusiness gab es in den vergangenen Jahren viele Diskussionen darüber, warum Hollywood nicht diverser ist. Hat sich das gebessert?
Mollena Williams-Haas: Das ist eine wichtige Debatte, aber im Moment ist das nur ein Pendel, das kurz ein wenig in die Gegenrichtung ausschlägt. Bis vor kurzem gab es lauter weiße Männer, die Dinge in die Luft gejagt haben, jetzt sind es manchmal ein oder zwei Schwarze. Aber macht es das besser? Viel wichtiger ist doch, mit einer Figur über ein paar Stunden hinweg mitzufühlen. Und das war zum Beispiel bei Disney lange Zeit schwer, weil Prinzessinnen immer weiß waren. Ich glaube, das weiße Publikum will in Wirklichkeit immer noch keine Filme mit schwarzen Protagonisten sehen.
Eine ganz persönliche Frage: Wie war es zu Beginn Ihrer Beziehung? Sind Sie da auch sofort mit Vorurteilen konfrontiert worden?
Mollena Williams-Haas: Wir leben in New York, da sind unterschiedliche Paare nicht so selten. Das war, als ich noch in die Schule ging und neben einem weißen Buben spazieren ging, noch anders. Rechtlich waren Ehen wie unsere in manchen Bundesstaaten bis 1967 unmöglich.
Georg Friedrich Haas: Sowohl mein Freundeskreis in Europa als auch meine Geschwister haben wunderbar reagiert. Die Frau meines besten Freundes nahm Mollena zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir haben Georg noch nie so glücklich gesehen.“
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