Hengstschläger: "Brauchen Ethikrat für digitale Revolution"
KURIER: Herr Professor Hengstschläger, wir beide haben im vergangenen Jahr im KURIER intensiv über das Buch Homo Deus von Yuval Noah Harari diskutiert. Da geht es um die Weiterentwicklung der Spezies Mensch, auch um das Bestreben des Menschen, Gott zu spielen und noch viel massiver in das Leben einzugreifen. Sie haben dabei immer wieder betont, dass sich durch die aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch heute schon ganz neue ethische Fragestellungen ergeben.
Markus Hengstschläger: Genau. Vieles davon, was in Homo Deus beschrieben wird, ist noch Zukunftsmusik bzw. zum Teil Spekulation, aber so manches ist auch schon heute Realität. Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass wir uns aktuell gerade mitten in einem der größten Veränderungsprozesse der Menschheit befinden – der digitalen Revolution.
Sind wir in Österreich darauf ausreichend vorbereitet und spielen wir dabei auf internationaler Ebene eine entsprechende Rolle?
Ich meine, dass das Thema in Österreich sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaft und Industrie gut angekommen ist. Ich bin aber überrascht, dass die dabei so besonders wichtigen ethischen Fragen in die österreichische Diskussion noch nicht in ausreichendem Maße Einzug gefunden haben. Wir müssen uns auf professioneller Ebene damit beschäftigen, wenn wir sicherstellen wollen, dass die Vorteile der Entwicklungen genutzt und gleichzeitig die möglichen Nachteile reglementiert werden können. Nicht alles, was machbar ist, muss bzw. soll gemacht werden.
Wie soll das in der Praxis ablaufen?
Aus meiner Sicht brauchen wir ein entsprechendes Beratungsgremium für die Politik, damit die richtigen, auch gesetzlichen Rahmenbedingungen entwickelt werden können. In Österreich gibt es seit vielen Jahren eine Bioethikkommission, deren stellvertretender Vorsitzender ich bin, die den jeweiligen Bundeskanzler in gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen, die sich auf dem Gebiet der Humanmedizin und Humanbiologie aus ethischer Sicht ergeben, berät. So wichtig das ist, es braucht aber unbedingt mehr. Darum schlage ich die Schaffung eines neuen Ethikrates für den österreichischen Bundeskanzler vor. Dieser Rat muss sich natürlich auch weiterhin mit Bioethik, aber vor allem mit ethischen Fragen der digitalen Revolution, der Industrie 4.0, der künstlichen Intelligenz beschäftigen. Außerdem finde ich es auch äußerst wichtig, dass dieser Rat zusätzlich zu Themen wie Wirtschaftsethik oder Medienethik arbeitet. Ich kenne in Österreich viele Expertinnen und Experten, die entsprechende wissenschaftliche und/oder praktische Expertisen zu verschiedenen dieser Themen einbringen können.
Welche konkreten ethischen Fragestellungen ergeben sich im Zusammenhang mit der digitalen Revolution?
Unzählige! Gerade auch in meinem Fach, der medizinischen Genetik, spielen Themen wie Big Data oder künstliche Intelligenz auch als Bausteine einer neuen Precision Medicine immer größere Bedeutung. Aber der humanmedizinische bioethische Aspekt ist nur ein Teil des Ganzen. Das gesamte Spektrum ist riesig. Denken wir etwa an ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Autonomen Fahren oder der Rolle von Robotern in unserer zukünftigen Gesellschaft. Oder: Wie werden wir den Einsatz von Deep Learning bei Ansätzen der künstlichen Intelligenz im täglichen Leben oder dem digitalen Monitoring von Bürgerinnen und Bürgern regeln? Und auch wichtig: Wer bekommt welche Möglichkeiten zugeteilt, dazu Haftungsfragen oder vielleicht sogar die ethischen Aspekte eines bedingungslosen Grundeinkommens. Oder auch das große Thema „Big Data“ und Datenschutz. Wer, etwa in der Wirtschaft oder Staat, darf über wen, mit oder ohne Zustimmung, anonymisiert oder nicht, überhaupt Daten sammeln? Wem gehören all diese Daten, was darf damit gemacht werden und wer darf unter welchen Umständen darauf zugreifen? Mir würden noch so viele Beispiele und Fragestellungen einfallen.
Ganz aktuell haben wir den Facebook-Datenskandal erlebt, wo eine Privatfirma auf Facebook-Daten zugegriffen hat, um Donald Trump im Wahlkampf um das Amt des US-Präsidenten zu unterstützen. Als kleines Österreich werden wir uns dagegen nicht wehren können, da muss die Europäische Kommission aktiv werden. Brauchen wir nicht auch eine europäische Ethikkommission?
Da stimme ich zu. Auch auf EU-Ebene gibt es noch viel zu wenige Bestrebungen, diese Diskussionen professionell zu führen.
Zusätzlich soll sich dieser von Ihnen vorgeschlagene neue Ethikrat des Bundeskanzlers mit Themen der Wirtschaftsethik oder der Medienethik beschäftigen?
Auch hier gibt es aktuell unzählige Fragestellungen, zu denen die österreichische Politik - wenn strukturiert ethisch beraten - vielleicht besser Stellung beziehen könnte und müsste. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Das Zusammenspiel von Wirtschaft und Umweltethik, nachhaltiges Investment oder digitale Betriebsstätten, oder etwa ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Fake News, Bots, Cybercrime, Cybermobbing, bis hin zu einer Aktualisierung journalistisch-ethischer Grundregeln für das Internet.
Herr Professor, Sie haben ja in den letzten Jahren die österreichische Politik schon oft sehr erfolgreich beraten, ob das z.B. im Zusammenhang mit der Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes war oder auch Ihr sich mittlerweile in Umsetzung befindliche Bildungskompass, den Sie erstmals im KURIER öffentlich vorgeschlagen haben. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Ihr aktueller Vorschlag für einen neuen Ethikrat von der Politik aufgegriffen wird?
Ich habe diesen Vorschlag schon im Zuge meiner beratenden Funktion bei den Koalitionsgesprächen eingebracht und er findet sich auch im Koalitionspapier. Sehr erfreulich ist es, dass mittlerweile bereits konkretere entsprechende Vorgespräche mit der Politik stattgefunden haben. Der Bundeskanzler hat mir gesagt, dass er dieser Idee sehr positiv gegenüber steht. Ich fände das übrigens auch ein spannendes Thema für die österreichische Ratspräsidentschaft, da in der EU generell noch viel Luft nach oben ist, wenn es um die ethische Diskussion der Digitalisierung geht. Hier könnten wir eine internationale Vorreiterrolle spielen.
Wie groß soll der Beitrat sein und welche Berufsgruppen sollen beteiligt sein? Und wann könnte es losgehen?
Losgehen könnte es quasi sofort. Die Größe des Beirats finde ich nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass die Wissenschaft und die Praxis vertreten ist, dass Mitglieder auch internationale Erfahrungen einbringen können und dass Expertise in Ethik und Philosophie genauso abgebildet ist, wie weitere sozialwissenschaftliche, beispielsweise wirtschaftliche oder juristische Fachkenntnisse und eben KnowHow in den Bereichen Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Robotics, Industrie 4.0, Medien und vieles mehr. Und außerdem fände ich es toll, wenn die Generation Y und noch Jüngere vertreten wären, weil es sie betrifft und weil sie bei vielen Fragen die eigentlichen Expertinnen und Experten sind.
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