General Striedinger: "Der Wehrdienst sollte verlängert werden"
General Rudolf Striedinger, Österreichs ranghöchster Offizier, im Interview über neue Rahmenbedingungen für Milizsoldaten, den Stellenwert des Heeres und Österreichs militärische Beistandspflicht in der EU.
Krisen wie der Ukraine-Krieg oder die Konflikte im Nahen Osten haben das Vertrauen der Bevölkerung in das Bundesheer stark ansteigen lassen. Deswegen ist General Rudolf Striedinger überzeugt, dass auch unter der kommenden Regierung die Aufrüstung fortgesetzt wird.
KURIER: Zum Nationalfeiertag gibt es wieder eine große Heeresschau auf dem Heldenplatz in Wien. Das Publikumsinteresse ist groß, das Heer hat an Attraktivität gewonnen. Das war nicht immer so. Es wurde einmal sogar überlegt, diese jährliche Schau gänzlich zu streichen. Was hat sich geändert?
Rudolf Striedinger: Ich beobachte auch, dass das Interesse der Bevölkerung größer geworden ist. Wahrscheinlich deswegen, weil die internationalen Krisen häufiger werden und vor allem näher an Österreich heranrücken. Der Ukrainekrieg ist ja ein Schockerlebnis für ganz Europa. Auch die Auseinandersetzung im Nahen Osten ist nicht allzu weit weg. Dadurch hat die Bevölkerung offensichtlich ein höheres Schutzbedürfnis. Wir sehen auch, dass das Bundesheer im Vertrauensindex stark gestiegen ist.
Die Grundsatzdiskussionen über Sinn und Unsinn des Bundesheeres gehören schon lange der Vergangenheit an. War nicht auch die Corona-Pandemie ein Katalysator, weil da das Heer vielfach einspringen musste. Vom Aufrechterhalten der Logistik bei der Post bis zum Führen eines Pflegeheims.
Das war schon ein Treiber dafür, dass wir im Vertrauensindex gestiegen sind. Wir mussten da tatsächlich Dinge machen, die man von uns nicht erwartet. Wir haben gezeigt, dass wir im Bereich der Logistik, der Planung und des Krisenmanagements gut sind. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass wir bei Katastrophen etwas zusammenbringen. Das hat sich zuletzt auch wieder bei der Flutkatastrophe in Niederösterreich gezeigt.
Es hat auch die Diskussionen gegeben, nur noch den Katastrophenschutz in den Vordergrund zu stellen. Mit dem Argument, dass ein österreichisches Bundesheer nicht viel ausrichten kann, wenn ein Krieg zu uns überschwappt.
Diesen Punkt muss man ganz anders sehen. Es ist international üblich, dass wir uns im Bereich der Militärs nicht mehr solitär bewegen. Die internationale Kooperation und Zusammenarbeit wachsen von Tag zu Tag. Es gibt zum Beispiel multinationale Einsätze am Balkan, wo viele Staaten zusammenwirken. Und es ist ganz klar, dass ein Staat allein militärische Aufgabenstellungen nicht mehr lösen kann. So gesehen ist es unsere Zielsetzung, dass wir in Europa erstens ein verlässlicher Partner, zweitens eine Zone sind, die mitten in Europa liegt, aber trotzdem gut geschützt ist. Damit können sich Nachbarländer darauf verlassen, dass Österreich nicht für irgendwelche ausländischen militärischen Maßnahmen genützt werden kann.
Das ist notwendig, obwohl wir ein neutraler Staat sind?
Wir haben auch als neutraler Staat unsere Verteidigung selbst aufzustellen, weil sich die anderen darauf verlassen. Sie können davon ausgehen, dass mit genauem Blick darauf geschaut wird, was auch in Österreich im Bereich der Verteidigungspolitik und des Aufbaus des Bundesheeres gemacht wird, weil wir nicht ein militärisches Vakuum mitten in Europa sein dürfen.
Der Aufbau des Heeres geht voran. Noch nie wurde in der Zweiten Republik von einer Regierung so viel Geld für die Landesverteidigung beschlossen wie unter der türkis-grünen Noch-Regierung. Was wurde damit schon umgesetzt?
Ich bin durchaus stolz darauf, dass unsere Steigerung des Verteidigungsbudgets zumindest prozentuell wesentlich höher ist als in anderen europäischen Ländern. Auch im Vergleich zu der Schweiz. Allerdings muss man immer dazu sagen, dass das von einem relativ niedrigen Niveau weg war. Aber die Zielsetzung, bis 2028 die 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts an Verteidigungsbudget zu erreichen, wie es das Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz vorgibt, ist ein klares Votum der Politik. Dieser Betrag soll dann noch zumindest bis zum Jahr 2032 fortgesetzt werden. Die Planungen im Bereich der Ausstattung, der Infrastruktur, des Personalrahmens und der Aufrüstung des Militärs sind genau darauf ausgelegt.
Aufrüstung weiter auf Schiene
Wir wissen noch immer nicht genau, wie die künftige Regierung aussehen wird. Es wird aber auf jeden Fall einen Sparzwang geben. Besteht nicht die Gefahr, dass wieder beim Heer Mittel gestrichen werden?
Mit einer Parlamentsmehrheit lässt sich immer alles bewegen, die konkreten Finanzierungsgesetze sowieso. Es ist aber so, dass wir im Bewusstsein, dass wir für das Heer eine klare Aufwärtsbewegung brauchen, bereits eine Reihe von Verträgen geschlossen haben, um gewisse Rüstungsgüter auch beschaffen zu können. Und es passiert normalerweise nicht, dass durch die Republik geschlossene Verträge nicht entsprechend eingehalten werden. Wir sind uns auch ziemlich sicher, dass wir angesichts der Bedrohungslage das, was wir brauchen, auch bekommen werden.
Aber das knappe Bundesbudget?
Dazu habe ich einen wirklich guten Vorschlag gehört. In der EU gibt es Tendenzen, die Anstrengungen für die Verteidigung aus der 3-Prozent-Maastrichtklausel für das Budgetdefizit zu nehmen, weil auch andere Länder die Problemstellung haben, auf der einen Seite sparen, auf der anderen Seite aber viel Geld für das Militär ausgeben müssen. Es wird uns nicht erspart bleiben, alles zu tun, dass Europa halbwegs selbstständig seinen eigenen Kontinent verteidigen kann.
General Rudolf Striedinger zu Gast in der KURIER TV-Sendung "bei Gebhart"
Gerade in Krisenzeiten taucht immer wieder die Frage auf, wie wir es mit der NATO halten. Da gibt es jene, die wegen der Neutralität gar keine Berührungspunkte mit diesem Militärbündnis wollen. Allerdings arbeitet das Heer bereits auf einigen Ebenen, etwa bei Partnership vor Peace, mit der NATO zusammen. Wo sind da für Österreich eigentlich die roten Linien, wenn es um die NATO geht?
Das Neutralitätsgesetz ist da ziemlich klar. Ausgeschlossen sind Stützpunkte fremder Staaten auf österreichischem Staatsgebiet oder die Mitgliedschaft bei der NATO. Aber wir haben mit dem EU-Beitritt sehr weitreichende Kooperations- und Unterstützungsregelungen auf der Ebene der Europäischen Union.
Und wenn der Europäische Rat einen Beschluss fasst, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten an einer militärischen Aktion beteiligen, was bedeutet das dann?
Das heißt, wir sind dann in diesem konkreten Fall nicht mehr neutral. Diese Regel ist insofern ganz wichtig, weil wir ja auf der einen Seite mitten in Europa liegen und viele Transversalen durch Österreich gehen. Wir können auf diese Weise einen wertvollen Beitrag für die notwendige militärische Mobilität sicherstellen, etwa in einer Auseinandersetzung mit Russland beispielsweise für die NATO. Auf der anderen Seite sind wir aber nach wie vor ein neutrales Land, sorgen für unsere eigene Verteidigung, kooperieren aber, wo immer möglich, mit anderen EU-Staaten. Wir sind diesbezüglich voll anerkannt.
Sie haben den Fall erwähnt, dass ein Auftrag des EU-Rats die Neutralität praktisch zurückdrängt. Gilt das auch für einen kriegerischen Einsatz?
Selbstverständlich. Der EU-Vertrag sieht eine Unterstützung vor. Es gibt eine Beistandspflicht innerhalb der Europäischen Union. Und es ist damit nicht ausgeschlossen, dass, wenn ein europäischer Staat, der gleichzeitig EU- und NATO-Land ist, angegriffen wird, dass im Rahmen der EU eine Unterstützung angefordert wird, nicht nur im Rahmen der NATO.
Und das könnte man auch bei uns einfordern?
Ja, selbstverständlich.
Das Heer wird derzeit militärisch aufgerüstet. Aber haben wir für das alles überhaupt genug Soldaten?
Die Personalfrage ist interessanterweise nicht nur in Österreich eine Herausforderung, sondern in ganz Europa. Wir spüren derzeit einen Aufwind, nicht nur materiell, sondern auch personell. Bezogen auf die Berufssoldaten ist die Personalentwicklung durchaus positiv. Nachschärfen müssen wir im Bereich der Miliz, weil das Bundesheer im Verteidigungsfall nur dann funktionieren kann, wenn es mobil gemacht werden kann. Die Bereitstellung von ausreichend Personal für die Miliz muss, wenn es nach mir geht, in der nächsten Legislaturperiode in einer Art und Weise geregelt werden, dass wir in Zukunft verlässlich und verbindlich gut ausgebildete Milizsoldaten haben.
Wie soll das bewerkstelligt werden?
Da gibt es gute Modelle, dann kann man auch in die Vergangenheit schauen, wie es früher einmal war. Jedenfalls ist damit eine Verlängerung des Wehrdienstes und damit automatisch auch die Verlängerung des Zivildienstes verbunden. Das muss man deutlich dazusagen.
Acht statt sechs Monate Grundwehrdienst
Wie soll die Verlängerung aussehen? Acht Monate statt derzeit bloß sechs Monate Grundwehrdienst?
Wir sind mit den acht Monaten gut gefahren. Als sechs plus zwei Monate. Damit würde auch der Zivildienst verlängert, was die Zivildienstorganisationen ganz gerne sehen würden.
Nichts darüber hinaus? Es gab ja einmal auch die neun Monate.
Mehr ist aus meiner Sicht immer gut. Aber wir würden schon sehr viel gewinnen, wenn wir auf die vorhin genannte Art und Weise weiterarbeiten könnten.
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