Gehaltsdebatte: Das große Schweigen in der Wirtschaftskammer
Wenigstens in Wien scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: 80 Prozent der Bewohner der Bundeshauptstadt kaufen oder verschenken einen Adventkalender, vermeldet die Wiener Wirtschaftskammer am Dienstag per Aussendung.
Weniger mitteilsam ist man aktuell, wenn es um ein deutlich unangenehmeres Thema geht. Walter Ruck, einflussreicher Präsident der Wiener Kammer, will sich auf KURIER-Anfrage nicht zu der Aufregung um die jüngst bekannt gewordene Gehaltserhöhung für die mehr als 5.800 Mitarbeiter der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) und der Länderkammern äußern. Sie liegt mit 4,2 Prozent deutlich über der Inflation.
Und auch WKO-Präsident Harald Mahrer blieb am Dienstag weiterhin eine Antwort auf die Frage schuldig, wie eine derartige Erhöhung zu rechtfertigen ist – angesichts der Zurückhaltung, die die Kammer von Arbeitnehmervertretern bei den jüngsten Lohnverhandlungen eingefordert hatte. Was vor dem Hintergrund der tristen Wirtschaftslage auch beherzigt wurde – etwa seitens der Metaller, aber auch der Beamten.
Wie berichtet, hatte die Kammer die Erhöhung mit einer Berechnungsformel begründet, die bereits 2024 von allen Fraktionen beschlossen worden sei und die sich an Inflation und Tariflohnindex orientiere.
Unter Druck gerät nun auch Rainer Trefelik, Bundesspartenobmann Handel. Er wird sich schwer tun, bei den anstehenden Lohnverhandlungen mit dem Handel einen Abschluss unter der Inflation zu verlangen. Doch auch er wollte sich am Dienstag gegenüber dem KURIER nicht äußern.
Während man an der Kammer-Spitze das heikle Thema offenbar totschweigen und damit aussitzen will, ist hinter den Kulissen die Begeisterung enden wollend. Dass es nun Kritik hagelt, sei vorhersehbar gewesen, so ein Funktionär. Schließlich handle es sich um einen aufgelegten Elfmeter für den politischen Gegner. Lieber Gras über die Sache wachsen lassen will auch die ÖVP, die sich ebenfalls nicht äußert.
SPÖ: „Säuft Wein“
Umso harscher fällt die Kritik des roten Koalitionspartners aus: „Die Wirtschaftskammer mit ihrem Präsidenten Mahrer hat offenbar jedes Maß verloren und predigt Wasser und säuft Wein“, sagt Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim. „Denn von allen anderen bei jeder Gelegenheit Lohnzurückhaltung fordern und sich selbst dann mitten in der Krise ein sattes Lohnplus deutlich über der Inflation von 4,2 Prozent gönnen, zeugt von Abgehobenheit und Doppelmoral.“
Und weiter: „Viele Arbeitnehmer, deren Kollektivvertragsabschlüsse unter der Inflation liegen, fragen sich zurecht, wo die Lohnzurückhaltung und der Beitrag zur Krisenbewältigung seitens der Wirtschaftskammer bleiben“, so Seltenheim, der die „unsolidarische Haltung“ der Kammer kritisiert.
In seltener Eintracht mit der Bundespartei wirft auch Roland Fürst, SPÖ-Klubobmann im Burgenland, den Kammerfunktionären Abgehobenheit vor. Niemand würde deren Vorgehen verstehen.
Bereits am Montag hatten die Neos, seit jeher Gegner der Kammer-Pflichtmitgliedschaft, wie berichtet scharfe Kritik an der Wirtschaftskammer geübt.
Einen Schritt weiter geht die pinke Wirtschaftskammer-Fraktion Unos. In einer Petition fordert sie eine Aussetzung der Lohnerhöhung und eine Reform der Gehaltssystematik. „In Krisenzeiten braucht es Entscheidungen mit Weitblick, nicht das Festhalten an Automatismen“, sagt Bundessprecher Michael Bernhard. „Es geht hier nicht um einzelne Mitarbeiter, sondern um die Glaubwürdigkeit der Kammer“, so der pinke Funktionär.
Weiters widerspricht man den Darstellungen der Kammer-Spitze: Im Vorjahr seien die Unos keineswegs Mitglied des erweiterten Präsidiums der Kammer gewesen. Somit habe man auch den Beschluss für die nun so umstrittene Berechnungsformel für die Gehaltserhöhung nicht mitgetragen.
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