Bereuen Sie es, von Durchseuchung gesprochen zu haben?
Reich: Manchmal weiß man erst im Nachhinein, welche Wirkung die Worte haben. Da geht es mir wie dem Rudolf mit seiner Uniform. Was wir brauchen, ist eine Immunisierung im Land. Wer nicht immunisiert ist, kann an Omikron in einem normalen Alltag nicht mehr vorbeikommen – außer ich gehe in eine dauerhafte Selbstisolation. Jetzt ist es eben kein Zufall mehr, ob mich das Virus erwischt oder nicht. Deswegen müssen wir die Maßnahmen einhalten und uns immunisieren. Das war meine eigentliche Botschaft, aber die ging in der Diskussion unter.
In den sozialen Netzen liest man derzeit häufig, dass sich manche eine Infektion wünschen, damit sie Corona hinter sich haben ...
Reich: So ein Verhalten ist brandgefährlich. Denn bei milden Verläufen kann es häufig zu Long Covid kommen. Außerdem können Viren auch andere Krankheiten wie Lymphome erzeugen oder Autoimmunkrankheiten auslösen. Ein Virus ist ein „Hundianer“, es hat seine Tricks und Schlupflöcher. Das Virus bewusst zu bekommen, damit ich eine Ruhe habe, sollte niemals eine Wahl sein.
Zahlreiche Corona-Experten erzählen von Drohungen, die Sie von Corona-Skeptikern erhalten. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Reich: Die Botschaften, die ich bekomme, sind alles andere als schön. Es werden mir per Mail Totenköpfe und wüste Beschimpfungen geschickt. Da müsste man ein Roboter sein, wenn einem das nicht trifft. Aber zum Glück habe ich viele Menschen um mich, die mir helfen, die Situation mit Humor zu bewältigen. Hätte ich dieses Ventil nicht, dann wäre das sehr schwer auszuhalten.
Kann ein ehemaliger Nachrichtendienst-Experte Drohnachrichten besser wegstecken?
Striedinger: Ganz im Gegenteil, durch meine Ausbildung bin ich mir dieser Situation sehr bewusst und habe Vorsorgemaßnahmen getroffen. Das Ausmaß ist so gering, dass ich keine Sicherheitsmaßnahmen benötige – im Unterschied zu meinem Kollegen in Deutschland, der bereits Personenschutz hat.
Herr Striedinger, Sie kommen aus einer der letzten hierarchischen Strukturen, wo ein Befehl unwidersprochen ausgeführt wird. Als Gecko-Spitze sollen Sie die Bürger an Bord holen, das geht weniger mit Befehlen, sondern mit Transparenz. Fällt Ihnen dieser Paradigmenwechsel schwer?
Striedinger: Ich sehe meine Aufgabe darin, durch die Koordinierung der Arbeit, die in Gecko geleistet wird, einen Gesamtblick auf die Pandemie sicherzustellen und mit den logistischen Fähigkeiten des Bundesheeres optimal zu unterstützen. Durch dieses Zusammenspiel von wissenschaftlicher Expertise und konsequenter Umsetzung soll das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat gestärkt werden und damit das Verständnis für die erforderlichen Maßnahmen gesteigert werden. Daran mitzuwirken, ist das Verständnis meiner Aufgabenstellung in Gecko.
Eine Entscheidung wie jene der Silvester-Sperrstunde, die vier Tage zuvor aufgehoben und dann plötzlich auf 22 Uhr vorverlegt wurde, ist nicht vertrauensbildend...
Striedinger: Die Entscheidung, zu Silvester so wie Weihnachten zu öffnen, wurde getroffen, bevor Gecko eingesetzt wurde. Wir haben uns die wissenschaftliche Empfehlung, davon abzuweichen, nicht leicht gemacht. Allerdings zeigen uns die Zahlen, dass die Maßnahmen richtig waren.
Reich: Ich war unglücklich, weil die Außenwirkung nicht gut abgestimmt wirkte. Es war eine unpopuläre Maßnahme, die getroffen werden musste. Jede Reduktion der Sperrstunde hat einen epidemiologischen Effekt. Denn es triggert die Entscheidung, wie der Abend gestaltet wird. Unsere Entscheidung hat natürlich die Gemüter erhitzt, aber wir sind nicht dazu da, um populäre Entscheidungen zu treffen.
Haben Sie mehr Mut zum Unpopulären?
Striedinger: Wir bearbeiten mit unseren Experten komplexe Themenfelder unter hohem Zeitdruck. Das heißt, Gecko arbeitet praktisch Tag und Nacht. Das Ergebnis sind Informationen und Schlussfolgerungen für die Regierung, aus denen sich Maßnahmen ableiten lassen. Diese Frage stellt sich bei uns so nicht.
Die Einschränkung der Grundrechte im Zuge der Corona-Maßnahmen sorgt für heftige Kritik. Wie steckt man das weg und fokussiert sich wieder auf die Aufgaben?
Reich: Ich bin ein Typ, der immer positiv denkt, lasse mich nicht gerne in eine Verzweiflungsspirale jagen. Die Verbindung der Maßnahmen, die am grünen Tisch diskutiert und getroffen werden, mit der Außenwelt ist wichtig. Manchmal sind die Reaktionen erwartbar, manchmal erstaunlich, oder eben aufgreifbar für die nächste Entscheidung.
Frau Reich, Sie kommen aus einem Bereich, wo der Fokus auf Beratung liegt. Generalmajor Striedinger kommt aus dem straff organisierten Bundesheer. Wie passen diese unterschiedlichen Arbeitswelten zusammen?
Striedinger: Die organisatorischen Unterschiede sind nicht wirklich groß. Und was unser persönliches Zusammenarbeiten betrifft, verstehen wir uns ausgezeichnet.
Reich: Wir haben keine fünf Minuten gebraucht, um zu wissen, dass wir gut miteinander kommunizieren können.
Sie kennen alle drei Bundeskanzler, die 2021 die Pandemie managten. Was unterschiedet Nehammer von Kurz und Schallenberg?
Reich: Bundeskanzler Nehammer hat einen operativen, pragmatischen Ansatz. Es ist mittlerweile auch klar, dass die Pandemie noch länger dauert. Die Komplexität ist enorm gestiegen, deswegen war es eine gute Entscheidung, eine Versachlichung in die komplexen Themenlage zu bringen. Das war ein schlauer Zug. Bei den Entscheidungen hilft Karl Nehammer auch das strukturelle Denken, das er von seiner Ausbildung kennt.
Die Gecko-Kommission hat empfohlen, dass die Wohnzimmertests wieder zugelassen werden. Außer in Wien klappt die PCR-Testung in keinem Bundesland perfekt. Ist der Föderalismus in der Pandemie hinderlich?
Reich: Den Föderalismus nun schlecht zu machen, würde auch die Kultur des Landes abwerten. Wir sind so, wie wir sind, weil wir ein föderales Land sind. Das hat seine Schattenseiten, weil sich zentral manches besser steuern lässt. Es hat auch sein Gutes. Österreich ist trotz seiner Kleinheit extrem unterschiedlich. Wir sind nicht Holland, das ein reines Flächenland ist. Über diese Tatsache hinweg zu gehen, hätte uns in Summe mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Es stimmt, dass die Teststrategie nicht erst seit Omikron ein Thema ist. Aber es ist auch viel passiert. Wien hat auf das „Alles gurgelt“-System gesetzt. Die anderen Länder haben auf einen Mix aus mehreren Testmethoden gesetzt. Zumal auch nicht klar war, wie lange wir die Testsysteme brauchen werden. Vorarlberg hat sich ein eigenes PCR-Testlabor geschaffen. Die sind schon super aufgestellt, viele andere sind ebenso dabei, ich bin sehr froh, wie hier alle an einem Strang ziehen. Auch Niederösterreich hat sich gut organisiert.
Striedinger: Es gibt hinsichtlich der Sensitivität des Tests keinen Unterschied zwischen dem Antigen-Test in der Teststraße und jenem, der im Wohnzimmer angewendet wird. Es ist unsere Aufgabe, jene Tests zu beschaffen, die höchstmögliche Qualität haben, damit die Aussagekraft gegeben ist. Entscheidend ist jedoch die Qualität der Probenabnahme.
In Großbritannien spricht man bereits von einer endemischen Situation. Wieso braucht es in Österreich noch die umstrittene Impfpflicht, die das Land spaltet?
Reich: Alles, was hilft, damit wir die Impfquote in der Bevölkerung heben, ist zu begrüßen. Ja, die Endemie steht vor der Türe. Aber es gelingt uns nur, wenn die vulnerablen Gruppen geschützt sind. Wenn wir die Impflücke lassen, dann sterben viele Menschen. Auf eine ungeimpfte Bevölkerung kommt das Virus mit seiner vollen Kraft, weil es in einer nicht immunisierten Gesellschaft wieder in Fahrt kommt. Das hält uns von der Endemie ab. Endemie geht nur dann, wenn alle einen immunologischen Grundstatus haben.
Werden wir uns alle vier Monate impfen lassen müssen?
Reich: Das glaube ich nicht, aber ich sage auch ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Was die Situation jetzt schwierig gemacht hat, war, einen geplanten langen Impfzyklus mit einer volatilen Infektionslage überein zu bringen. Daher hat man gesagt, man muss das Intervall verkürzen. Der Plan ist aber, einen normalen Impfzyklus zu haben, nämlich sich ein Mal pro Jahr impfen zu lassen. Dann werden auch die Maßnahmen fallen, mit Ausnahme der Maske, die man in den Wintermonaten in den öffentlichen Verkehrsmittel weiter tragen sollte. Das ist auch gut so, denn man muss sich nicht jedes Virus abholen.
Wir haben 30.000 Neuinfektionen, 200.000 sind infiziert, 400.000 Menschen sind in Quarantäne. Steuern wir jetzt auf den Höhepunkt zu, wo die Infektionen dann wieder steil bergab gehen?
Reich: Das war es noch nicht. Die Prognose zieht uns noch weiter hinauf. Noch ist der Zeitpunkt, wann das Brechen der Wand kommt, in den Berechnungen nicht absehbar.
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