Freies Spiel der Kräfte weckt Erinnerungen an eine teure Nacht
Mit dem Ende der türkis-blauen Koalition herrscht im Nationalrat fortan das „freie Spiel der Kräfte“. Das bedeutet, dass sich je nach Themenlage spontane Mehrheiten bilden können.
Die "Liste Jetzt" will das ausnützen und eine Reihe von Beschlüssen der letzten Regierung korrigieren. So soll das Rauchverbot in der Gastronomie beschlossen und der 12-Stunden-Tag aufgehoben werden, wie die Abgeordneten Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl am Mittwoch forderten.
Außerdem will "Jetzt" unter anderem auch eine Valorisierung des Pflegegeldes und ein Verbot von Glyphosat. Weiters sollen das Informationsfreiheitsgesetz beschlossen werden, die Prüfkompetenz des Rechnungshofs auf parteinahe Vereine ausgeweitet, Großspenden an Parteien verboten und die Strafen für Wahlkampfkostenüberschreitung deutlich erhöht („muss wehtun“) werden. Zinggl und Rossmann glauben, im freien Spiel der Kräfte die nötigen Mehrheiten zu finden.
Gelebter Parlamentarismus oder budgetärer Wahnsinn?
Was jedoch für die einen gelebter Parlamentarismus ist, treibt anderen die Sorgenfalten ins Gesicht. Das freie Spiel der Kräfte kann nämlich ganz schön teuer werden.
Gut in Erinnerung ist noch der 24. September 2008. Am 7. Juli hatte ÖVP-Chef Wilhelm Molterer die große Koalition aufgekündigt („Es reicht!“). SPÖ und Volkspartei vereinbarten ein "Stillhalteabkommen", sich im Parlament bis zur Wahl nicht gegenseitig zu überstimmen. Das hielt bis 25. August und wurde dann von der SPÖ gekündigt.
In der letzten Nationalratssitzung vier Tage vor der Wahl brachen alle Dämme: In der 19 Stunden dauernden Sitzung wurden 25 Anträge, darunter 17 Gesetzesanträge, abgestimmt. Mit wechselnden Mehrheiten wurden unter anderem eine vorgezogene Pensionserhöhung um 3,4 Prozent mit Einmalzahlung, eine Mehrwertsteuer-Halbierung auf Medikamente, die Verlängerung der Hacklerregelung, eine 13. Rate der Familienbeihilfe, die Abschaffung der Studiengebühren, eine Pflegegeld-Erhöhung, eine Steuerbefreiung für Monteure und Nächtigungsgelder sowie ein Heizkostenzuschuss für Senioren beschlossen. Damit hatte sich vor allem die SPÖ mit ihren Forderungen durchgesetzt.
Aufruf zu Besonnenheit
Als die Sitzung am 25. September 2008 um 4.13 Uhr beendet wurden, waren Beschlüsse gefasst worden, für die die Steuerzahler bis jetzt blechen. Laut damaligen Berechnungen des Finanzministeriums belaufen sich die jährlichen Kosten dafür auf rund drei Milliarden Euro. Alleine die – einstimmig beschlossene – Pensionserhöhung macht laut damaligen Berechnungen 1,5 Milliarden aus. Inflationsbereinigt kostete die lange Nacht der Wahlgeschenke bisher deutlich über 30 Milliarden Euro.
Nicht umsonst werden mahnende Stimmen laut, die die Parteien zu Besonnenheit im freien Spiel der Kräfte aufrufen.
Rossmann und Zinggl betonen, es gehe nicht um „Wahlkampfzuckerl und eine Wiederholung des 24. September 2008“. Man wolle eine kommende Regierung „nicht präjudizieren, indem wir den budgetären Spielraum einschränken“. Darum sei unter den Forderungen auch nur die Valorisierung des Pflegegeldes mit moderaten Kosten von 50 Millionen Euro verbunden.
1,50 Euro: Kickl-Verordnung leicht aufzuheben
Keinen Mehrheitsbeschluss braucht es übrigens, um jene Verordnung aufzuheben, mit der Herbert Kickl im Abgang noch die Senkung des Stundenlohns für Asylwerber auf 1,50 Euro erwirkt hat. Dazu muss der neue Innenminister die Verordnung einfach aufheben.
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