"Wie es sich anfühlt, Mensch zu sein"

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Sr. Franziska Madl, die Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz, über Weihnachten, die Goldensteiner Schwestern und den neuen Wiener Erzbischof.

KURIER: Was bedeutet Weihnachten für Sie?

Sr. Franziska Madl OP: Wir feiern zu Weihnachten das, worum es eigentlich geht: dass in Jesus Gott selbst Mensch geworden ist. Weil er wissen wollte, wie es sich anfühlt, Mensch zu sein. Für mich ist das einer der tröstlichsten Aspekte unseres Glaubens.

Wie feiern Sie selbst?

Je länger ich im Kloster bin, desto besser gefällt es mir, nicht mehr so zu feiern, wie man in der Familie Weihnachten feiert. Wir im Kloster gönnen uns den Luxus, uns auf das Wesentliche des Festes zu konzentrieren. Am Vormittag ist viel zu tun: Christbaum schmücken, die Kapelle für die Liturgie herrichten – aber dann wird es bei uns sehr ruhig. Wir beten die Vesper, dann gibt es eine Weihnachtsfeier mit guten Wünschen, kleinen Geschenken und einem feinen Abendessen; danach haben wir eine stille Zeit, und um 22.00 Uhr feiern wir die Christmette. Danach wird es noch stiller …

Zuletzt waren die Orden vor allem durch den Fall der Goldensteiner Schwestern medial präsent. Sehen Sie das eher positiv, weil plötzlich Ordensleute im Fokus der Berichterstattung standen – oder hat es eher geschadet, weil dadurch falsche Bilder von Ordensleuten entstanden sind?

Bei mir überwiegt der kritische Blick. Weil das, was da an Bildern und Botschaften transportiert wird, alte Klischees befördert, von denen wir gehofft hatten, dass wir sie hinter uns gelassen haben.

Was sind das für Klischees?

Die „lieben, alten Schwestern“ im vollen Habit mit Schleier …

… Sie tragen ja auch Schleier …

… ja, aber auch nicht immer. Aber das ist nicht der Punkt. Es geht um ein Bild des Lieblichen, auch Süßlichen – das im Übrigen auch den drei Goldensteiner Schwestern nicht gerecht wird. Da wird etwas hochstilisiert, was nicht meiner Perspektive entspricht. Für mich geht es in der Kirche nicht um die Oberen gegen die Unteren und die Männer gegen die Frauen, die Basis gegen die Hierarchie. Das ist nicht mein Bild von Kirche und auch nicht meine Erfahrung. Und gerade für Orden stimmt das nicht. Wir funktionieren demokratisch, gemeinschaftlich, Gehorsam bedeutet nicht blindes Befolgen von Befehlen, sondern ein miteinander Ringen um den Willen Gottes; wir kommunizieren auf Augenhöhe und haben flache Hierarchien.

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"Was da an Bildern und Botschaften transportiert wird, befördert alte Klischees, von denen wir gehofft hatten, dass wir sie hinter uns gelassen haben." (Sr. Franziska zu den Goldensteiner Nonnen)

Ist aber nicht das Bild von wenigen, sehr alten Ordensfrauen doch sehr realistisch – gerade mit Blick auf Frauenorden?

Wir sind noch immer mehr als die Männer. Aber das Bild herrscht natürlich vor. Und es stimmt, dass unser Altersdurchschnitt sehr hoch ist. Und es gibt natürlich Gemeinschaften, die nur mehr ganz wenige Mitglieder haben. Umso wichtiger ist es, dass wir rechtzeitig Vorsorge für das Alter treffen. Das tun auch die meisten Ordensgemeinschaften.

Kann man geistliche Berufungen fördern?

Fördern ja, machen nein. Wir sind keine Firma, die Personalrecruiting betreibt – Gott beruft Menschen zum geistlichen Leben, und es ist die Entscheidung des Einzelnen, ob er diese Einladung annimmt. Was wir tun können, ist, Informationen zur Verfügung zu stellen: dass es uns gibt und dass das eine wunderschöne, bereichernde Lebensform sein und man als Ordensfrau bzw. -mann ein sehr erfülltes, glückliches Leben führen kann.

Können Sie etwas über Ihre eigene Berufung erzählen?

In meinem Fall war es weder etwas, das ich „immer schon“ wollte; noch kam die Entscheidung aus heiterem Himmel. Meine Großeltern waren sehr bodenständige praktizierende Katholiken. Ich wusste früh, dass ich Theologie studieren will. Es war für mich klar, dass Gott und Religiosität in meinem Leben eine wichtige Rolle spielen würden. Erst während des Studiums ist in mir ganz stark das Gefühl aufgekommen, dass Gott von mir nicht will, dass ich etwas Bestimmtes tue, sondern mich als Person zur Verfügung stelle. Dann habe ich mir einige Ordensgemeinschaften angeschaut. Und an den Dominikanerinnen hat mir besonders gut gefallen, dass es hier auch eine sehr starke intellektuelle Tradition gibt. Aus- und ständige Fortbildung ist Teil unserer Spiritualität.

Was ist das Spezifikum des Ordenslebens gegenüber den sogenannten Weltpriestern?

Vor allem das Gemeinschaftsleben. Diözesanpriester sind sehr autonom – das hat viele Vorteile, aber auch den Nachteil der Einsamkeit, vor allem in großen Pastoralräumen, wie sie jetzt entstehen.

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"Für das Ordensleben ist die Ehelosigkeit konstitutiv, und eine allfällige Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester würde daran nichts ändern."

Die Einsamkeit hat natürlich mit dem Thema Zölibat zu tun. Der Theologe Johann Baptist Metz hat schon in den 70er-Jahren dafür plädiert, den Zölibat als USP der Ordensleute zu sehen, aber nicht als Voraussetzung für das Priesteramt. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Ja, wäre eine Möglichkeit – hat es ja auch früher gegeben. Die meisten Menschen können ja das Ordensgelübde der Ehelosigkeit nicht vom Zölibat eines Diözesanpriesters unterscheiden. Für das Ordensleben ist die Ehelosigkeit konstitutiv, und eine allfällige Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester würde daran nichts ändern.

Neben dem Zölibat ist das Thema Frauenweihe ein „Dauerbrenner“ innerkirchlicher Debatten. Nun ist kürzlich der Abschlussbericht einer vom Papst eingesetzten Theologenkommission zu einem möglichen Diakonat für Frauen präsentiert worden, der viel Interpretationsspielraum lässt. Was ist Ihre Interpretation?

Da sind noch viele theologische Fragen zu klären. Zum Beispiel, ob ein solches Diakonat dasselbe wäre, wie jenes, das die Vorstufe zum Priestertum bildet. Aus der Praxis kommend, muss ich sagen, dass Frauen in der Kirche ohnehin sehr viel diakonalen Dienst leisten.

Das heißt, die Frage ist für Sie gar nicht so wichtig?

Was die Diakoninnen betrifft, fände ich das schon schön. Es würde für das, was ohnedies stattfindet, mehr Wertschätzung ausdrücken, es würde eine andere Wahrnehmung erzeugen. Warum muss etwa in der Krankenhausseelsorge die Schwester, die einen Todkranken bis zuletzt begleitet, für die Krankensalbung einen Priester holen, der den Patienten noch nie gesehen hat und nichts von ihm weiß?

Würden Sie dafür plädieren, ein eigenes Frauendiakonat einzurichten, oder dafür, das Weiheamt generell für Frauen zu öffnen?

Das kann ich gar nicht sagen. Es ist für mich jedenfalls kein Kampfthema. Ich habe viele Themen, an denen ich mich gerne abarbeite – aber das zählt nicht dazu, weil mein Blick primär auf Ordensleute und ihre Herausforderungen gerichtet ist.

Welche Akzente wollen Sie als neue Vorsitzende der Österreichischen Ordenskonferenz setzen?

Ich war ja in der letzten Periode schon im Vorstand und konnte mich daher auch entsprechend einbringen. Persönlich wichtig ist mir der Blick auf die jungen Ordensleute: dass die einen Raum finden, ihre Berufung zu leben, auch in schwierigen Situationen. Vielleicht braucht es da noch mehr Unterstützung und Begleitung. Wir wollen auch mit den Diözesen in einen engeren Austausch treten. Das ist auch ein Anliegen der Bischofskonferenz.

Historisch betrachtet waren ja die Orden oft ein Gegenpol oder auch Korrektiv zur kirchlichen Hierarchie …

Das ist auch gut so!

Ist aber kein Widerspruch zu einer engeren Zusammenarbeit?

Nein. Ordensgemeinschaften sind nicht Teil der Hierarchie, wir sind alle selbständig. Aber uns beschäftigen natürlich die großen Fragen der katholischen Kirche – und das sind naturgemäß auch die Fragen, die die Bischöfe umtreiben. Etwa in der Pfarr- oder Bereichsseelsorge gibt es ganz viele gemeinsame Themen. Aber auch das Thema des Umgangs mit KI wollen wir gemeinsam bearbeiten, nicht zuletzt die damit verbundenen ethischen Fragen. Oder die Nachnutzung von ehemaligen kirchlichen Gebäuden.

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"Er ist ein sehr zugewandter Mensch und ein guter Zuhörer. Er kommt aus der Seelsorge. Das sind alles sehr gute Voraussetzungen für seine neue Aufgabe." (Sr. Franziska über Josef Grünwidl, den künftigen Wiener Erzbischof)

In der Erzdiözese Wien haben Sie demnächst einen neuen Ansprechpartner auf der Führungsebene. Was erwarten Sie sich von Josef Grünwidl als neuem Erzbischof?

Dass er so bleibt, wie er ist.

Wie ist er denn?

Er ist ein sehr zugewandter Mensch und ein guter Zuhörer. Er kommt aus der Seelsorge. Das sind alles sehr gute Voraussetzungen für seine neue Aufgabe.

Verstehen Sie, warum er sich so lange gewehrt hat, dieses Amt zu übernehmen?

Ja, wer will das schon … (lacht)?

Weil?

Also für mich stellt sich die Frage ja nicht, aber ich stelle mir das sehr schwierig vor, Bischof zu sein. Es werden so viele Erwartungen an einen herangetragen. Ich habe eine Ahnung davon bekommen, wie ich zur Vorsitzenden der ÖOK gewählt wurde und so viele Nachrichten bekommen habe mit Anliegen und Erwartungen von Menschen, die ich großteils schon deswegen nicht erfüllen kann, weil sie gar nicht in meiner Kompetenz liegen.

Auch auf weltkirchlicher Ebene gibt es einen neuen Mann an der Spitze. Wie viel an Kontinuität oder Diskontinuität sehen Sie bei Leo XIV. im Vergleich zu seinem Vorgänger Franziskus?

Ich sehe beides. Es ist dies ja etwas sehr Katholisches: Wert auf die Tradition zu legen – im Sinne der Kontinuität; und gleichzeitig immer zu schauen, wie sich die Zeiten ändern und welche neuen Fragen Welt und Gesellschaft stellen. Was ich an Leo sehr schätze, ist seine große Besonnenheit.

Für viele scheint der neue Papst noch immer ein bisschen ein unbeschriebenes Blatt zu sein. Man weiß nicht genau, wofür er steht, wohin er will. Das war bei seinen beiden Vorgängern – in unterschiedlicher Weise – schneller klar. Stimmen Sie dem zu?

Das sehe ich auch so, aber es ist kein Nachteil. Angenehm daran ist, dass es Ruhe hineinbringt, es wirkt alles unaufgeregter – und das gefällt mir.

Sowohl der ernannte Erzbischof Grünwidl als auch Papst Leo erfreuen sich momentan großer Zustimmung über die unterschiedlichen „Lager“ hinweg. Auf Dauer werden sie nicht darum herumkommen, die einen oder die anderen zu enttäuschen …

Das muss faktisch so sein! Kein Bischof oder Papst kann allen Erwartungen gerecht werden. Da wird es auch Enttäuschungen geben, ganz sicher!

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