„Weltoffener Gottesmann“ für Missionsgebiet Wien

Josef Grünwidl (2.v.l.) und Alt-Kardinal Christoph Schönborn.
Die erwartete offizielle Bestätigung kam gestern, Donnerstag, noch nicht. Im mittäglichen vatikanischen Pressebulletin (Bollettino della Sala Stampa della Santa Sede), wo üblicherweise auch Bischofsernennungen verkündet werden, war von einem neuen Wiener Erzbischof keine Rede. Dennoch gilt die Sache seit Mittwochabend als fix: Der bisherige Apostolische Administrator Josef Grünwidl soll Kardinal Christoph Schönborn an der Spitze der Erzdiözese Wien nachfolgen.
Den vom Konkordat vorgesehenen einschlägigen Beschluss des Ministerrats – diesfalls per Umlauf – gibt es dem Vernehmen nach bereits. Aber weder von politischer noch von kirchlicher Seite ist vor der Verlautbarung durch den Heiligen Stuhl eine Bestätigung zu erwarten. Mit dieser wird nun für heute, Freitag, oder Samstag gerechnet. Nach neun Monaten der Sedisvakanz, des Wartens auf eine Entscheidung aus Rom, erscheinen ein, zwei Tage mehr als vernachlässigbar.
Vorschusslorbeeren
Die (mutmaßliche) Personalentscheidung stößt indes auf große Zustimmung und Freude. Der ruhige und besonnene, in der Seelsorge erfahrene Josef Grünwidl gilt als Mann des Ausgleichs und der integrativen Mitte. Wenngleich er sich mit seinen Stellungnahmen zugunsten eines Diakonats für Frauen wie einer Aufhebung des Pflichtzölibats (bei betonter Wertschätzung dieser Lebensform) eher im progressiven Spektrum verortet hat.
Der Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Zulehner, der diese Positionen teilt, meinte indes im Ö1-Morgenjournal, er hoffe, „dass diese Kirchenprobleme nicht seine (Grünwidls; Anm.) ganze Zeit beanspruchen“, viel wichtiger sei es, „das Evangelium als Quelle für Zuversicht“ in die Welt hinein zu verkünden. Den künftigen Erzbischof pries Zulehner als „Seelsorger mit Herz und Seele“, der „kein weltabgewandter Kleriker, sondern ein weltoffener Gottesmann“ sei.
In ein ähnliches Horn stieß bereits am Abend davor Zulehners Fachkollegin Regina Polak in der ZiB 2: Grünwidl sei ein „kommunikativer Mensch, der gut zuhören kann“; seine Positionen formuliere er „auf eine Art und Weise, die anschlussfähig ist und Dialog ermöglicht“.
Der neue Erzbischof wird all die guten Wünsche und den Vertrauensvorschuss gut brauchen können. Nicht nur, dass die Erzdiözese Wien mit mehr als einer Million Katholiken die größte österreichische Diözese ist, stellt die Großstadt Wien doch eine besondere pastorale Herausforderung dar: Wie auch andere Metropolen ist Wien aus katholischer Sicht längst „Missionsgebiet“, die Konfessionslosen sind die größte Gruppe, noch vor den Katholiken, der Anteil der Muslime nimmt zu. Obwohl zur Erzdiözese Wien auch weite Teile des eher ländlich und traditionell geprägten Niederösterreich gehören, beträgt der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung nur knapp 40 Prozent. Zum Vergleich: In der Diözese St. Pölten sind es 75 Prozent, in der Diözese Graz-Seckau mehr als 60 Prozent.
Noch kein Bischof
Überraschen mag, dass Grünwidl aus dem Stand – also ohne bereits Bischof zu sein – den wichtigsten Bischofssitz in Österreich erhält (Kardinal König wie Kardinal Schönborn waren bereits zuvor Weihbischöfe). Allerdings hat er aufgrund seiner bisherigen Aufgaben, insbesondere jener des Administrators, sicherlich hervorragende Kenntnisse der Erzdiözese. Tatsache aber ist, dass er erst zum Bischof geweiht werden muss – erst dann kann er, wie es heißt, von seiner Diözese Besitz ergreifen. Anzunehmen ist, dass ihm – vermutlich im kommenden Jänner – sein Vorgänger Kardinal Schönborn die Bischofsweihe spenden wird.
Bei der Ernennung eines Diözesanbischofs (nicht bei Weihbischöfen) ist in Österreich auch die Regierung eingebunden. Das geht auf das zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich 1933 abgeschlossene Konkordat (Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, Papst Pius XI.) zurück.
Laut diesem völkerrechtlich bindenden Vertrag (Artikel IV, Paragraf 2) gilt hierzulande die sogenannte „politische Klausel“: Aufgrund dieser hat sich der Heilige Stuhl verpflichtet, vor Ernennung eines Erzbischofs oder Bischofs der Bundesregierung den Namen des jeweiligen Kandidaten mitzuteilen.
Die Bundesregierung kann gegen die Ernennung „Gründe allgemein politischer Natur“ geltend machen. Wird ein solcher Einwand erhoben, sind beide Seiten gehalten, sich zu einigen. Scheitert dies, ist der Papst allerdings dennoch frei, sich mit seiner Wahl durchzusetzen. Wenn es keinen Einwand seitens der Regierung gibt, wird in der Folge die Ernennung durch den Vatikan veröffentlicht.
Traditionellerweise sind bedeutende Bischofssitze wie Wien mit der Kardinalswürde verbunden: Wer dort Erzbischof wird, kann damit rechnen, beizeiten ins Kardinalskollegium – das engste Umfeld des Papstes, hervorgegangen aus dem römischen Stadtklerus – aufgenommen zu werden. Papst Franziskus hat diesbezügliche Erwartungen mehrfach durchkreuzt, bei Leo XIV. könnte das – wie manch sonstiges Symbolisches – wieder anders werden.
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