FPÖ-Budgetsprecher Schiefer: "Kickl ist kompromissloser als Haider"
Für den Freiheitlichen ist das "Billig Strom"-Gesetz eine vertane Chance. Warum die FPÖ nicht mitgestimmt hat und was er, der als Finanzminister einer FPÖ-ÖVP-Koalition gehandelt wurde, anders machen würde.
KURIER: Der Fiskalrat prognostiziert, dass wir die Maastricht-Kriterien nicht einhalten werden, das Wifo, dass 2 Prozent Inflation, wie von Kanzler Christian Stocker als Ziel vorgegeben, nicht machbar sind. Schaffen wir, das Ruder noch herumzureißen?
Arnold Schiefer: Das ist das Ergebnis von Maßnahmen, die man nicht trifft. So, wie es jetzt ausschaut, wird das Defizitverfahren eine "Never Ending Story“ oder „Defizitverfahren forever“.
Herbert Kickl und Arnold Schiefer während der Koalitionsverhandlung
Sie rechnen mit Strafen seitens der EU?
Christoph Badelt vom Fiskalrat sagt, dass wir die Maastricht-Kriterien bis 2030 nicht erreichen werden. Das ist erschütternd. Damit wird es nie einen Schuldenabbau geben. Dadurch wird es auch keine finanziellen Handlungsspielräume geben, um wirtschaftspolitisch wichtige Maßnahmen setzen zu können – sei es bei Beschäftigung, Konjunktur oder Inflation. Damit wird Österreich an der Wasserkante entlang schwimmen.
Die Regierung hat mithilfe der Grünen das "Billig Strom“-Gesetz verabschiedet. Warum hat die FPÖ nicht mitgestimmt?
Weil eine Chance vergeben wurde, die Strompreise mittel- und langfristig nach unten zu drücken. Das ist eine kurzfristige substanzlose Marketingmaßnahme einer Regierung, die in den Umfragen seit Langem schlecht liegt. Man schreibt „Billig Strom“-Gesetz drauf, aber es ist keine billige Energie enthalten.
Was lässt Sie sagen, dass die Energie jedenfalls nicht billiger wird?
Das tue ich mir leicht, weil es eine ganze Reihe von Experten genauso sehen wie wir. Auch Grünen-Chefin Leonore Gewessler hat Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer im Parlament gesagt, sie stimmt dem Gesetz zu, weil es für Photovoltaik-Einspeiser mehr gibt und regulatorische Vereinfachungen kommen. Gewessler hat aber auch ganz klar gesagt, dass der Strom nicht billiger wird. Als Ex-Energieministerin ist sie unverdächtig – und: Sie hat die Wahrheit gesagt. Es wird nicht billiger.
Wir haben zu Jahresbeginn gefordert, bei den Energiepreisen einzugreifen. Hätte man das geordnet gemacht, also die Strompreisbremse verlängert, hätten wir uns ein Prozent der jetzigen Inflation gespart, wie die Experten sagen. In einer Hau-Ruck-Aktion kommt man jetzt aus Verzweiflung daher und kratzt irgendwo das Geld zusammen. Wissen muss man auch, dass dieses Geld nicht zur Gänze bei der Republik, sondern auch bei den Landesenergieversorgern Wien Energie, EVN und Tiwag landen wird – also all jenen, die in den letzten Jahren an den explodierenden Energiepreisen ohnehin schon richtig gut verdient haben.
War die Verlängerung der Strompreisbremse während der Sondierungsgespräche mit der ÖVP ein Thema?
Wir hatten nie ein fertiges Budget. Wir haben Maßnahmen nach Brüssel geschickt. Aber die hohen Energiepreise wären sicher ein Thema geworden.
Sie haben damals das Budget verhandelt, galten als möglicher Finanzminister. Was würden Sie jetzt anders machen?
Es gibt viele sinnvolle Vorschläge, man muss sie nur ernsthaft angehen. Das Einsparungspotenzial bei den Fördermaßnahmen ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Nach wie vor werden Mediationskurse in Honduras oder zweifelhafte Vereine und Organisationen gefördert. Bei der richtigen Prioritätensetzung wäre wirklich viel Geld zu holen. Bei den Planstellen im Öffentlichen Dienst einzusparen, dauert bis Juni, weil dafür erst eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird.
Können Sie das Einsparungspotenzial, das Sie orten, beziffern?
Zwei bis drei Milliarden Euro kann man im System finden. Natürlich unter der Prämisse einer Fristigkeit, weil Verträge eingehalten werden müssen. Umso tragischer, dass die Regierung ein Jahr hat ins Land ziehen lassen und nur einnahmenseitig Geld geholt hat. Dies hat die Inflation zusätzlich getrieben.
Der Stabilitätspakt sieht eine neue Schuldenverteilung zwischen Bund und Ländern vor…
…der Stabilitätspakt ist eine Marketing-Bubble, wie die anderen Maßnahmen auch. Es heißt, die Länder könnten sich ein wenig mehr verschulden. Die Länder müssten aber – wie der Bund - ausgabenseitig radikale Einschnitte machen. Hauptverantwortlich für die Budgetmisere ist aber ganz klar der Bund. Generell muss jede Ausgabe hinterfragt werden.
Die FPÖ regiert in fünf Bundesländern. Der Vorstoß, die Gesundheitsagenden dem Bund zu überlassen, könnte die FPÖ mittragen!
Ich bin kein Gesundheitsreferent. Wir reden die ganze Zeit von abstrakten Dingen. Die Regierung hat sechs Monate gebraucht, um Tagesordnungen für die nächsten Sitzungen der Bundesländer-Reformgruppe zu erstellen! Es liegt nirgendwo Konkretes vor. Es werden Pflaster auf Wunden gelegt, aber nirgendwo wird ein Heilungsprozess eingeleitet.
Agenda Austria-Direktor Franz Schellhorn sagt, es gibt mehrere FPÖs. Sie seien ein Vertreter der Marktwirtschaft, Herbert Kickl würde wirtschaftlich eher sozialdemokratische Züge aufweisen, die FPÖ sei diesbezüglich schizophren.
Schellhorn hat nicht recht. Man fragt ja auch bei der ÖVP, die vier Bünde hat, nicht, ob sie schizophren ist. Es ist logisch, dass eine Partei, die 30, 35 oder 40 Prozent der Wählerschaft anspricht, eine gewisse Breite hat. Die FPÖ ist zu einer Volkspartei geworden.
Die Eingriffe in den Wohn- und Mietmarkt müssten dem Recht auf freies Eigentum zuwider gehen.
Nein. In Zeiten ausufernder Inflation ist das legitim – das sage auch ich als liberaler Denker. Deshalb haben wir bei der Mietpreisbremse im öffentlichen Sektor zugestimmt. All diese Bremsen sind aber nur Symptombekämpfungen, denn man muss die Ursachen bekämpfen. Uns fehlen 50.000 Wohnungen, weil in manchen Regionen zu wenig gebaut wird. Die Verbreiterung des Angebots ist das Einzige, das den Preis nach unten drückt – das hat schon Karl Marx begriffen.
Mitte Jänner soll die Industriestrategie präsentiert werden. Was erhoffen Sie sich von dieser?
Man muss sich in der Regierung eine wirtschaftspolitische Zielrichtung geben. Was wir aber haben, das ist einmal ein Zugeständnis nach rechts zur ÖVP, dann nach links zur SPÖ und dann gibt es in der Dreierkoalition noch die Neos. Wir kommen nie in eine Vorwärtsbewegung. Das heißt, die Industriestrategie wird wieder keine klare Richtung vorgeben können, weil sich jede der Parteien darin wiederfinden möchte. Das beweist auch unsere Einschätzung, dass diese drei Parteien von ihrer Grundstruktur her einfach nicht zusammenpassen.
Was müsste die Strategie beinhalten?
Wir haben 600.000 Beschäftigte in der Industrie. Damit es zu keinen Absiedelungen kommt und Arbeitsplätze erhalten werden, brauchen wir ein klares Bekenntnis zur Industrie. Das gilt für jeden Bereich der Industrie – und zwar ganz pragmatisch und nicht ideologisch. Warum? Es gibt keine gute oder schlechte, keine grüne oder saubere Industrie. Jede Industrie ist eine gute Industrie, denn sie produziert nach den höchsten ökologischen Standards in Österreich. Alles, was bei uns nicht produziert wird, wird zu wesentlich schlechteren Bedingungen woanders auf der Welt hergestellt. Wir leben alle auf dem selben Planeten.
Sie kennen die ÖVP unter Sebastian Kurz, jene unter Christian Stocker aus Verhandlungen, Sie kennen Ex-SPÖ-Chef Christian Kern aus Ihrer ÖBB-Zeit und FPÖ-Chef Herbert Kickl seit Jahrzehnten. Ist es für Sie möglich oder wahrscheinlich, dass Kickl, Kurz und Kern in einen Wahlkampf gehen?
Wir konzentrieren uns auf unser Programm, unser Personal und achten darauf, den Wählern ein attraktives Angebot bieten zu können. Es ist nicht unser Problem, sondern das Problem der anderen Fraktionen, wie sie an der Spitze organisiert sind. Da mische ich mich nicht ein.
Also, der Kickl-Kitt eint die Koalition?
Ich würde eher Sessel-Kitt sagen. Jede der Fraktionen weiß, dass sie bei der nächsten Wahl massiv verlieren wird.
Herbert Kickl bleibt an der Spitze?
Selbstverständlich. Warum sollten wir den erfolgreichsten FPÖ-Chef infrage stellen?
Sie waren bereits unter Jörg Haider in der FPÖ aktiv. Was macht Kickl besser oder anders als Haider?
Herbert Kickl ist geradliniger und in manchen Bereichen kompromissloser als Jörg Haider, dadurch aber auch glaubwürdiger. Jeder hat sein eigenes Bild zu Kickl, aber man weiß, was man bekommt.
Sie spielen auf Jörg Haider, das Chamäleon an, was sich auch in der Kleidung zeigte?
Haider hat sicher mehr Wert auf Selbstdarstellung gelegt. Herbert ist bodenständig, bleibt seiner Linie treu und den Wählern im Wort.
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