Tausende müssen in Notquartiere

Das Rote Kreuz stellte am Donnerstag 450 Not-Betten in der Messehalle Tulln auf. Viele Flüchtlinge bleiben nicht nur für eine Nacht. Denn die Weitereise funktioniert nicht mehr so schnell wie erhofft und gewohnt
Derzeit kommen 500 Flüchtlinge pro Stunde an. Fischer lobt Einsatzkräfte und Helfer.

Als die Flüchtlinge Freitagmittag am Westbahnhof bemerken, dass sie vom österreichischen Bundespräsidenten besucht werden, bricht spontane Begeisterung aus: Sie klatschen, sie pfeifen, sie jubeln. Danach drängen sie sich um Heinz Fischer: Sie wollen ihm die Hand schütteln, Danke sagen und – vor allem – ein Selfie mit ihm machen.

Heinz Fischer nimmt es gelassen: Stets lächelnd, nimmt er sich die Zeit, mit den Flüchtlingen auf den Bahnsteigen auch das eine und andere aufmunternde Wort zu wechseln.

Den Grund für die Begeisterung erklärte Rot-Kreuz-Sprecher Andreas Zenker folgendermaßen: "Österreich ist das erste Land auf der Fluchtroute, in dem die Flüchtlinge nicht geschlagen werden. Egal ob von der Bevölkerung oder der Polizei."

Gemeinsam mit Caritas-Präsident Michael Landau machte sich Fischer am Freitag ein Bild davon, wie die Flüchtlinge am Westbahnhof versorgt werden. Und er hatte für alle Beteiligten nur Lob über: Auf alle Einsatzkräfte, aber auch auf die Helfer aus der Zivilbevölkerung sei er "sehr stolz".

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270 Betten in Stadthalle

Deren Einsatz ist gerade gefragter denn je. Denn alleine in der Nacht auf Freitag haben rund 3000 Flüchtlinge in Wien geschlafen. Etwa ein Sechstel davon ist auf den Bahnhöfen untergekommen. Für die anderen wurden kurzfristig Notquartiere geschaffen.

Tausende müssen in Notquartiere
BP Heinz Fischer zu Besuch am Wiener Westbahnhof am 11.09.2015.
Zum einen entstand in der Stadthalle ein Quartier mit 270 Betten. Auch die Bundesimmobiliengesellschaft stellte bei der Urania ein Gebäude zur Verfügung. Platz gibt es hier für 1500 Menschen. Zusätzlich wurden auch in Niederösterreich Veranstaltungshallen zu Nachtquartieren umfunktioniert: Im Multiversum können 500 Personen untergebracht werden, in der Messehalle Tulln wiederum 450.

Wie viele Plätze dieses Wochenende tatsächlich gebraucht werden, ist unklar. Denn die Informationen, die die österreichischen Behörden aus Ungarn bekommen, sind weiterhin sehr dürftig.

Jedenfalls werden die kommenden Tagen für die Helfer wieder eine Herausforderung werden: "Wir rechnen mit mehr Menschen als vergangenes Wochenende", sagt Andreas Zenker.

Allein am Donnerstag und Freitag kamen etwa 500 Menschen pro Stunde über die Grenze.

Warten auf Weiterreise

Die Stadt Wien rüstet sich jedenfalls für dieses Wochenende. Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker ist laufend darum bemüht, weitere Adressen zu prüfen. Teils handle es sich dabei auch um Quartiere, die eigentlich für die Grundversorgung und zur Entlastung Traiskirchens vorgesehen waren. "Aber", erklärte Hacker, "die Durchreise hat derzeit Priorität."

Man müsse sich nämlich darauf einstellen, dass die Aufenthaltsdauer der durchreisenden Flüchtlinge nicht mehr nur wenige Stunden, sondern längere Zeit betragen werde.

Dass die Weiterreise nicht so schnell funktioniere, wie von den Flüchtlingen erhofft, wurde auch am Freitag in der Stadthalle offensichtlich. Die Halle, die ursprünglich nur für die Übernachtung gedacht war, blieb auch tagsüber gut gefüllt. Getränke und Strom – etwa zum Aufladen der Handys – stehen zur Verfügung.

Noch besteht kein Zeitdruck, die Unterkunft gleich wieder abzureißen: Die Halle E wird erst Anfang Oktober wieder benötigt. Dann findet dort eine kleine Mineralienmesse statt.

Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil sollte Recht behalten, als er im KURIER-Gespräch am Montag meinte, der Ansturm des vergangenen Wochenendes werde sich wiederholen. "Alleine am Donnerstag sind 8000 Menschen in Nickelsdorf angekommen. Seit Mitternacht sind noch einmal rund 4200 dazugekommen", sagt Helmut Marban von der Landespolizeidirektion Burgenland.

Tausende Menschen wurden mit Bussen nach Wien sowie in Notquartiere nach Niederösterreich und ins Burgenland gebracht. Denn die ÖBB hat die Züge von und nach Ungarn wegen massiver Überbelastung derzeit ausgesetzt.

Rund 1500 Personen mussten die Nacht auf Freitag dennoch unter dem Flugdach in Nickelsdorf verbringen. "Wir arbeiten am Rande unserer Kapazitäten. In erster Linie gilt es, die Menschen hier wegzubringen, denn der Zustrom reißt nicht ab. Es kommen immer mehr Flüchtlinge nach", sagt Marban. 30 Busse würden dafür zur Verfügung stehen. Außerdem wurden Freitagvormittag auch Taxis eingesetzt.

Neben Polizei ist auch das Rote Kreuz im Dauereinsatz. "Wir sind mit 120 Einsatzkräften 24 Stunden vor Ort und bekommen dafür Unterstützung aus den anderen Bundesländern", erklärt Sprecher Tobias Mindler.

Um den Flüchtlingen ein festes Dach über dem Kopf zu ermöglichen, wurden am Freitag 40 Zelte des Bundesheeres auf dem Gelände aufgestellt.

Stabsstelle im Süden

Gegen 10 Uhr vormittags kamen auch im Südburgenland die ersten Flüchtling zu Fuß über die Grenze. Sie wurden in der Mehrzweckhalle in Moschendorf (Bezirk Güssing) untergebracht. Das Rote Kreuz alarmierte alle Freiwilligen im Bezirk. Feldbetten und Decken wurden verteilt. Etwa 100 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, bekamen hier seit Tagen ihre erste warme Mahlzeit. Trockene Kleidung, Hygieneartikel und Spielsachen für Kinder wurden verteilt. Eine Hochschwangere wurde ins Krankenhaus nach Güssing gebracht. Am Abend wurden die Flüchtlinge mit Bussen nach Graz zum Bahnhof gefahren. "Wir wissen nicht ob noch mehr kommen, die Halle bleibt als Unterkunft vorerst bestehen", sagt ein Polizeisprecher.

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