Aber ist es nicht furchtbar schwierig für Wissenschafter, die alle Fakten kennen und präzise Grundlagen für ihre Standpunkte haben, wenn es die Politik dann erst wieder anders macht?
Ja, für einen Wissenschafter ist diese Situation manchmal bitter. Aber das gehört zu dieser Aufgabenteilung dazu. Man muss akzeptieren, wenn nicht der persönliche Wille zur Umsetzung gelangt. Wissenschaft kann aufbereiten, die Politik muss entscheiden. Die Wissenschaft darf der Politik auch ihre Legitimation nicht wegnehmen und es ihr leicht machen, wenn dann die Politiker einfach sagen können: „Ja, aber die Wissenschafter haben es mir so angeraten.“
Als dritter Akteur kommen dann noch die Öffentlichkeit bzw. die Medien ins Spiel. Wir Journalisten hatten die Prognoserechner in der Pandemie ja alle schon auf Kurzwahl.
Es gehört zur Aufgabe von Journalisten, bei Wissenschaftern nachzufragen. Ich würde nur rückblickend sagen, wenn man sich von einzelnen Wissenschaftern beraten lässt, dann ist am Ende nicht „die Wissenschaft“ gefragt worden. „Die Wissenschaft“ ist viel heterogener als es die einzelnen Personen reflektieren können.
Hat sich die Öffentlichkeit erst an die Arbeitsweise der Wissenschaft gewöhnen müssen? Daran, dass es eine These gibt, die dann im nächsten Moment widerlegt sein kann?
Wissenschaft ist niemals abgeschlossen. Das ist etwas Gutes, das man auch in der Science Education immer wieder beibringen muss. Es gibt nicht die eine wissenschaftliche These für immer, sondern es gibt Thesen, die konkurrieren. Und am Ende wird jene These akzeptiert, die widerspruchsfreier die Welt erklärt. Daher gibt es immer auch einen wissenschaftlichen Fortschritt. Das, was wir heute postulieren, ist in zehn Jahren vielleicht nicht mehr adäquat.
Hat die Wissenschaft von der ganzen Aufmerksamkeit auch profitiert?
Die Pandemie hat zum Ansehen der Wissenschaft beigetragen. In extrem kurzer Zeit ist von der Wissenschaft viel Aufklärungsarbeit geleistet worden. Und die Impfung in so kurzer Zeit zur Marktreife zu bringen, ist eigentlich sensationell.
Trotzdem hat es gleichzeitig eine enorme Wissenschaftsfeindlichkeit gegeben.
Die Frage nach dem Stellenwert der Wissenschaft in unserer Gesellschaft ist in diesen Krisenzeiten akzentuiert worden. Es ist deutlicher sichtbar geworden, dass wir in Österreich sehr unterschiedliche Positionierungen haben. Zu sagen, wir hatten immer schon Wissenschaftsskepsis, ist eine relativierende, aber keine befriedigende Aussage. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Mir wäre es durchaus recht, wenn mehr Menschen als bisher der Wissenschaft stärker vertrauen als ihrem Hausverstand.
Passiert genug in den Schulen, um die Grundlagen dafür zu schaffen? Macht Ihr Nachfolger als Bildungsminister, Martin Polaschek, das richtig?
Es freut mich, dass er das Thema ebenfalls sehr ernst nimmt, auch den Konnex zur Politischen Bildung. Die Schule ist die Institution, in der wir alle Bevölkerungsgruppen erreichen. Darum muss man mit der Wissenschaftsbildung am besten schon in der Unterstufe, ab zehn Jahren, oder vielleicht sogar früher, starten, wie es vielfach auch geschieht.
Schauen wir in die Zukunft, da gibt es ja viele Themen, die sehr kontroversiell debattiert werden – Gentechnik zum Beispiel oder künstliche Intelligenz …
Gerade bei diesen schwierigen Themen ist es die Aufgabe der Wissenschaft, zu sagen: Was ist der Vorteil, was ist der Nachteil, was ist möglich, was passiert? Die Evidenz muss seriös aufbereitet werden, losgelöst von persönlichen Weltbildern. Dann muss der Politiker tatsächlich auch Entscheidungen treffen und abwägen zwischen den Risken und den Vorteilen.
Was passiert jetzt weiter mit den Wiener Thesen? Werden sie der Politik zur Kenntnisnahme vorgelegt?
Es wird Gelegenheit geben, auch mit der Politik über die Wiener Thesen zu diskutieren. Die Akademie der Wissenschaften hat ja selbst auch eine Beraterfunktion. Wie lernfähig die Politik dann sein wird, wird man sehen.
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