Fall Anna: Staatsanwaltschaft verzichtet auf Beschwerde, Freisprüche fix
Groß war der Aufschrei, als am 26. September zehn Burschen vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines damals zwölfjährigen Mädchens in Wien freigesprochen wurden. Sogar das Justizministerium hat sich im "Fall Anna" eingeschaltet und per Weisung angeordnet, dass die Anklagebehörde eine Beschwerde dagegen anmelden muss.
Bei der "Anmeldung" bleibt es aber. Die Staatsanwaltschaft Wien wird kein Rechtsmittel einlegen, bestätigt eine Sprecherin am Dienstag auf KURIER-Anfrage. Man habe das Straflandesgericht am Montag darüber informiert. Durch den Rückzug werden die Freisprüche rechtskräftig.
"Urteil ist in sich schlüssig"
Warum nun der Rückzug - eineinhalb Monate nach der Urteilsverkündung?
Der Grund ist, dass die Staatsanwaltschaft die schriftliche Ausfertigung abwarten und diese im Detail prüfen musste. Am 15. Oktober wurde das Urteil zugestellt, ab da begann eine Rechtsmittelfrist von vier Wochen zu laufen.
Die Staatsanwaltschaft Wien hat das Urteil nun geprüft und kam zu dem Schluss, dass darin "keine Nichtigkeitsgründe erkennbar" seien. Das Urteil sei "in sich schlüssig", wird erklärt. Diese Einschätzung teilte auch die Fachaufsicht. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien und auch das Justizministerium als oberste Weisungsspitze haben das Vorhaben der Anklagebehörde abgesegnet.
Am Donnerstag läuft die Rechtsmittelfrist aus. Weil die Staatsanwaltschaft das Gericht aber schon informiert hat, dass kein Rechtsmittel eingelegt wird, ist die Frist hinfällig.
Den zehn Burschen im Alter von 16 und 21 Jahren waren geschlechtliche Nötigung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung vorgeworfen worden. Die Taten sollen sich im Zeitraum zwischen März und Juni 2021 abgespielt haben, als das Mädchen, das medial "Anna" genannt wird, erst zwölf Jahre alt war.
In der Urteilsverkündung am 26. September in Wien erklärte der vorsitzende Richter des Schöffensenats, dass es in den Angaben der Hauptzeugin (des mutmaßlichen Opfers) große Widersprüche gegeben habe. Auch die eingesehenen Chatverläufe hätten diesen Eindruck verstärkt, ebenso Aussagen von Zeugen, die damals engen Kontakt mit dem Mädchen hatten. Das Beweisverfahren habe deshalb "ganz klar zu Freisprüchen" geführt.
"Es gab keine Verfahrensfehler"
Dass die Staatsanwaltschaft Wien keine Nichtigkeitsbeschwerde einlegt, ist für Sascha Flatz, Anwalt des Mädchens, keine Überraschung. "Wir hatten von vornherein keine Erwartungen", sagt er.
Als Opfervertreter bzw. Privatbeteiligter hätte auch er Möglichkeiten gehabt, das Urteil anzufechten - etwa, wenn ein Beweisantrag abgelehnt wurde. Das sei aber nicht der Fall gewesen - "es gab keine Verfahrensfehler, die man hätte vorbringen können", sagt Flatz. Die inhaltliche Bewertung der Schöffen, ob die Tatverdächtigen an sich schuldig waren oder nicht, könne nicht überprüft werden.
Deshalb akzeptiere man nun die Freisprüche. Sonst laufen keine Verfahren mehr in der Causa. "Es ist alles erledigt, der Fall ist abgeschlossen", so Flatz.
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