Letzter Prozesstag im Fall Anna: Heute sollen Urteile fallen

Prozess im Fall Anna
Die Öffentlichkeit ist zunächst weiter ausgeschlossen, derzeit werden Zeugen befragt. Die zehn Angeklagten bestreiten die Vorwürfe der Sexualdelikte an der damals 12-Jährigen.

Am Freitag ist am Wiener Landesgericht der Prozess gegen zehn Angeklagte im Alter zwischen 16 und 21 Jahren fortgesetzt worden, denen geschlechtliche Handlungen mit einer damals Zwölfjährigen vorgeworfen werden. Die inkriminierten Vorgänge trugen sich laut Anklage zwischen März und Juni 2023 in Favoriten zu, sämtliche Beschuldigte bekennen sich zu den Vorwürfen der geschlechtlichen Nötigung und der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nicht schuldig.

Der zweite Verhandlungstag begann mit der Einvernahme von Zeugen. Die Öffentlichkeit wurde dabei wiederum aus Opferschutzgründen sowie auf Basis von Bestimmungen im Jugendgerichtsgesetz (JGG) ausgeschlossen. Das war bereits bei der Einvernahme der Angeklagten geschehen. Auch das Video mit der Aussage der Betroffenen, die im Ermittlungsverfahren kontradiktorisch befragt worden war und der damit ein Auftritt als Zeugin bei Gericht erspart blieb, wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgespielt und erörtert.

"Es geht nicht darum, ein Exempel zu statuieren. Es geht nicht darum, ein Urteil mit abschreckender Wirkung zu fällen, sondern den Angeklagten das Unrecht ihrer Tat vor Augen zu führen", sagte die Staatsanwältin in ihrem Schlussvortrag. Sie appellierte an den Schöffensenat, in diesem Fall "losgelöst von der medialen Darstellung" zu entscheiden, die von "Empörung über das Verhalten der Angeklagten" bis zu "Unverständnis gegenüber dem damals jungen Opfer" gereicht habe.

Für Staatsanwältin Tatverdacht nicht widerlegt

Die Staatsanwältin zeigte sich von der Schuld der Angeklagten überzeugt. Das Beweisverfahren habe "keine entlastenden Umstände" erbracht, "die geeignet wären, den Tatverdacht zu widerlegen". Für die Angeklagten sei "erkennbar" gewesen, dass das Mädchen mit den sexuellen Handlungen nicht einverstanden war: "Sie haben ihre sexuelle Integrität verletzt. Sie haben ihren Willen missachtet. Sie haben sie instrumentalisiert. Sie haben das Mädchen ausgenützt." Die Betroffene habe "einfach Angst gehabt" und sich nicht getraut, sich den Burschen zu widersetzen.

Zugelassen war die Öffentlichkeit dann bei der Befragung des Ex-Freundes der Betroffenen, der von September 2023 bis Februar 2024 mit dem Mädchen liiert war. Er war damals 16, das Mädchen zu Beginn der intimen Kontakte 13. Weil sie noch keine 14, somit ein Kind und in rechtlicher Hinsicht unmündig war, wurde der inzwischen 18-Jährige im vergangenen März nicht rechtskräftig zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt. Obwohl der Sex einvernehmlich war, der Jugendliche das Mädchen nicht unter Druck gesetzt hatte und kein Gewaltaspekt im Spiel war, war aufgrund des Altersunterschieds der beiden der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen erfüllt. Es gibt kraft Gesetzes zwar eine Alterstoleranz, wenn unmündige und mündige Jugendliche, die zumindest 13 sein müssen, miteinander intim werden - diese beträgt aber 36 Monate. Der Angeklagte lag von den Geburtsdaten her neun Monate über dieser Toleranzgrenze.

"Sie hat sich älter gemacht"

"Sie hat sich älter gemacht. Sie hat mich angelogen", schilderte der 18-Jährige nun als Zeuge unter Wahrheitspflicht dem Gericht. Er sei zu Beginn der Beziehung davon ausgegangen, dass er und das Mädchen "ungefähr gleich alt" waren. Ihr wahres Alter habe er "selber herausgefunden", indem er auf einem Ausweis ihr Geburtsdatum sah.

In weiterer Folge habe er "im Park" von einem Angeklagten erfahren, dass etliche Burschen im vorangegangenen Frühjahr mit der zu diesem Zeitpunkt noch Zwölfjährigen "etwas gehabt (gemeint: Sex, Anm.)" hätten, berichtete der 18-Jährige. Er habe der Mutter seiner Freundin von den Tuscheleien im Park erzählt und schließlich das Mädchen mit der angeblichen Vielzahl ihrer sexuellen Kontakte konfrontiert, nachdem ihm entsprechende Videos gezeigt worden seien. Diese hätten ihn beschämt, er habe sich "schlecht gefühlt". Er sei auch von dritter Seite aufgefordert worden, Schluss zu machen, weil "so ein Mädchen" seine "Ehre verletze".

Das habe er auch angedacht, gab der 18-Jährige zu Protokoll: "Ich habe sie zur Rede gestellt." Sie habe ihm daraufhin versichert, "dass sie das (gemeint: die nun verfahrensgegenständlichen sexuellen Kontakte mit den Angeklagten, Anm.) nicht wollte" und "Angst" gehabt hätte: "Ich war mit ihr zusammen. Ich wollte es ihr glauben."

In diesem Zusammenhang wurde vom vorsitzenden Richter eine Textnachricht der Betroffenen an ihren damaligen Freund verlesen, in der sie ihn anflehte, die Beziehung nicht zu beenden. "Junge, was soll ich machen", hieß es darin, "ehrlich, es tut mir so leid wegen meiner Vergangenheit. Bitte mach nicht Schluss." Dass sie von den Angeklagten zu etwas gezwungen oder bedrängt worden wäre, ergibt sich jedenfalls aus dieser Textnachricht nicht.

Urteile für Freitag erwartet

Aufgrund medialen Fehlverhaltens - Fotografen und Kameraleute hatten sich am ersten Verhandlungstag über das Fotografier- und Filmverbot im Saal hinweggesetzt und bei geöffneter Tür in den Saal hineingeblitzt bzw. -gefilmt - durften am Freitag Personen das Landesgericht nicht betreten, die einen Fotoapparat bzw. eine Kamera mit sich führten. Die Urteile werden für Freitag erwartet.

Den Angeklagten - mit einer Ausnahme Jugendliche, die im Tatzeitraum teilweise selbst erst 14 waren - wird vorgeworfen, mit dem Mädchen gegen dessen erklärten Willen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Das verfahrensgegenständliche Geschehen trug sich in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern, einem Hobbyraum und zumindest in drei Fällen in der Wohnung eines Angeklagten zu. Bei zwei Angeklagten geht es um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung, der Rest hat sich wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung zu verantworten.

Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen nicht angeklagt

Der ursprünglich im Raum stehende Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ist vom Tisch, wie die Staatsanwältin eingangs der Verhandlung betont hatte: "Das Ermittlungsverfahren hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, dass den Angeklagten bewusst war, dass das Opfer erst zwölf Jahre alt war." Ihnen wurde daher zugebilligt, dass sie mit der Betroffenen im Glauben, diese wäre bereits 14, intim wurden.

Im Fall von Schuldsprüchen drohen den beiden Angeklagten, denen geschlechtliche Nötigung angekreidet wird, unter Anwendung des JGG bis zu zweieinhalb Jahre Haft. Die übrigen Beschuldigten müssten bei einer anklagekonformen Verurteilung jeweils mit bis zu einem Jahr Haft rechnen.

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