Hauptprozess im Fall Anna: 10 Angeklagte heute vor Gericht

Die Angeklagten versteckten am Weg in den Gerichtssaal ihre Gesichter.
Etliche Medienvertreter warten am Donnerstagvormittag vor Saal 303 im Wiener Landesgericht: Zehn Beschuldigte müssen sich im "Fall Anna" wegen geschlechtlicher Nötigung und Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung verantworten. Bei ihrer Ankunft verstecken sie ihre Gesichter.
Bei den Angeklagten handelt es sich um österreichische, türkische, syrische, nordmazedonische und bulgarische Staatsbürger zwischen 16 und 21 Jahren. Einer der jungen Männer soll sich bereits ins Ausland abgesetzt haben.
Der Gruppe wird vorgeworfen, ein damals zwölfjähriges Mädchen - von den Medien hat sie den Namen "Anna" erhalten - zum Geschlechtsverkehr genötigt und ihre sexuelle Selbstbestimmung verletzt haben. Die Mutter des Opfers ist am Donnerstag ebenfalls vor Ort.

Im Saal gilt Fotografier- und Filmverbot
Die inkriminierten Handlungen fanden in einem Hotelzimmer, in Stiegenhäusern, einem Hobbyraum und zumindest in drei Fällen in der Wohnung eines Angeklagten statt. In zwei Fällen geht es um den Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung, in allen anderen um eine angebliche Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.
Nicht angeklagt wurde der Vorwurf, die Jugendlichen hätten in Kauf genommen und sich damit abgefunden, dass das Mädchen unter 14 ist. Aufgrund des älter wirkenden Äußeren des Mädchens wurde von der Staatsanwaltschaft kein entsprechender Vorsatz angenommen.
Mehrfach "Nein" gesagt
Das Mädchen soll dabei des Öfteren "Nein" gesagt haben. Da sie laut Anklage aber Angst vor der Gruppe hatte und den Beschuldigten auch körperlich unterlegen war, habe sie den Handlungen nichts entgegengesetzt.
Öffentlichkeit wohl ausgeschlossen
Sämtliche Angeklagte befinden sich auf freiem Fuß. Die Verhandlung ist auf zwei Tage anberaumt. Es gilt ein Fotografier- und Filmverbot. Über weite Strecken dürfte die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, teilte Gerichtssprecherin Christina Salzborn vorab mit.

Die Angeklagten trafen nach und nach ein.
Es sei "durchaus möglich, dass schon die Einvernahme der großteils jugendlichen Angeklagten oder schon die Verlesung der Anklage unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen wird", hieß es in einer Medienmitteilung. Maßgeblich dafür seien Opferschutzgründe und Bestimmungen im Jugendgerichtsgesetz. Die Entscheidung, ob und inwieweit ein Ausschluss erfolgt, obliegt dem erkennenden Schöffensenat.
In der Causa gab es bereits drei Prozesse. Zwei davon endeten mit Freisprüchen. In einem Fall legte der damals Beschuldigte dem Opferanwalt nach dem Prozess 100 Euro als Schmerzensgeld auf den Tisch.
Wie der Fall vor eineinhalb Jahr bekannt wurde: Eine 12-Jährige soll im Jahr 2023 von 30 Burschen sexuell missbraucht worden sein. 17 der 30 Burschen wurden ausgeforscht. Sie alle haben Migrationshintergrund. Ans Tageslicht kommt das alles erst, als einer der Burschen Annas späteren Freund anspricht, ob er wirklich mit der „Schlampe“ zusammen sei.
Stück für Stück ans Tageslicht: Was sich im Lauf mehrerer Monate abgespielt haben soll, kommt Stück für Stück ans Tageslicht. Die Jugendlichen sollen das Mädchen in einer Parkgarage, in Stiegenhäusern und sogar in einem eigens angemieteten Hotelzimmer missbraucht haben. Tatort ist Wien-Favoriten.
Die Polizei schlägt zu: Anfang März schließlich stehen 75 Polizisten zeitgleich vor den Türen der Beschuldigten. Einige Beschuldigte verweigern die Aussage, einige bestreiten die Vorwürfe. Einer bricht die Befragung ab: „Ich habe keinen Bock mehr, hier zu sein.“ Alle befinden sich danach auf freiem Fuß. Für Annas Anwalt, Sascha Flatz, völlig unverständlich.
Die Handys der Burschen werden untersucht: Die Ermittler finden darauf auch Videos. Zu sehen sind unter anderem weitere blutjunge Mädchen, an denen sexuelle Handlungen vorgenommen werden, obwohl sie deutlich „Nein!“ sagen. Wer diese Mädchen sind, ist bis heute unbekannt.
Auch Anna sagte „Nein“: Zwei Beschuldigte, einer 16 Jahre alt, der andere 17, mussten sich deshalb bereits vor Gericht wegen Vergewaltigung verantworten. Beide wurden von den Vorwürfen rechtskräftig freigesprochen. Ein Urteil, das auch international für Aufregung sorgte: US-Milliardär Elon Musk kommentierte den Fall auf X mit den Worten „Das ist verrückt“.
Doch ein ganz massiver Vorfall wurde noch nicht gerichtlich behandelt: Anna soll in ein Hotelzimmer gelockt worden sein, wo sie mehr als zehn Jugendliche umzingelt haben sollen. Anna wurde weder bedroht noch geschlagen. Aber die Burschen fassten sie an. „Ich konnte nicht einfach weggehen“, schilderte das Mädchen später bei der Polizei.
"Wut und Hass"
Die Mutter von Anna zeigte sich damals in einem Interview mit dem KURIER entsetzt über dieses Vorgehen: "Als hätte er meine Tochter für ihre Dienste bezahlt. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Und dann auch noch die Begründung der Richterin, dass man sich nach einem 'Nein' oft doch durch Zärtlichkeiten überreden lässt ... das waren keine Zärtlichkeiten!" Sie empfinde Wut und Hass, sagte sie.

Die Mutter des Opfers sprach Anfang des Jahres mit dem KURIER.
Im März gab es einen Prozess gegen den Ex-Freund von Anna. Der 18-Jährige wurde wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger, Nötigung und Besitz von Kindesmissbrauchsmaterial schuldig gesprochen. Der junge Mann erhält 15 Monate bedingte Haftstrafe und muss zudem 800 Euro an Anna zahlen.
Zwei Verhandlungstage angesetzt
Die Beziehung der beiden dauerte von Sommer 2023 bis Jänner 2024. Anna war zum damaligen Zeitpunkt 13 Jahre alt, der Angeklagte 16 - die beiden trennten mehr als 36 Monate voneinander. "Wir waren verliebt", sagte er. "Ich dachte, es ist erlaubt."
Die Urteile in dem aktuellen Fall sollen voraussichtlich am Freitag fallen, es sind zwei Verhandlungstage angesetzt.
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