Freisprüche im Fall Anna: Ministerium ordnet Beschwerden wegen Nichtigkeit an

Zehn junge Männer wurden am Freitag von Vorwürfen rund um sexuelle Handlungen mit einem damals zwölfjährigen Mädchen freigesprochen. Zu viele Widersprüche habe es in den Angaben der Hauptzeugin gegeben, wie der Schöffensenat in seiner Urteilsbegründung darlegte.
Die Hauptzeugin – das ist die Betroffene, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes in Medienberichten „Anna“ genannt wird. Ob auf sie Druck oder Gewalt ausgeübt wurde, ließ sich schlicht nicht beweisen. Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass die Treffen einvernehmlich stattgefunden hätten, so das Urteil.
Eines, das so nicht stehen bleibt. Die Staatsanwaltschaft Wien legt, wie eine Sprecherin am Montagabend erklärt, Nichtigkeitsbeschwerde gegen alle zehn Freisprüche ein – und zwar auf Weisung von ganz oben, dem Justizministerium. Jetzt ist der Oberste Gerichtshof (OGH) am Zug.
Der „Fall Anna“ sorgte zuletzt für große Empörung, so meldete sich am Wochenende sogar Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) zu Wort. Als „Mutter und Politikerin“ halte sie die Freisprüche für „falsch“, schrieb Tanner auf X und forderte eine Verschärfung des Sexualstrafrechts – wie im Regierungsprogramm vereinbart.
Auch die nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) betonte am Montag: „ Es ist unsere Verantwortung als Politik, alles zu tun, um solche Fälle zu verhindern.“
Opferschutz im Fokus
Die „große Betroffenheit“ und „das öffentliche Interesse“ kann Justizministern Anna Sporrer (SPÖ) nachvollziehen, wie sie am Montag sagte. Davor, sich zu Urteilen der unabhängigen Rechtssprechung zu äußern, hütet sich die Ressortchefin. Kalt lässt die Sache sie aber nicht. Sporrer ist prononcierte Feministin – und so ist ihr wichtig, festzuhalten: „Die Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung sowie ein wirksamer Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt haben für mich oberste Priorität.“
Ähnlich Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ): Gerichte würden weisungsfrei und unabhängig entscheiden, „das ist zentraler und unverrückbarer Baustein unseres Rechtsstaates und unserer Demokratie“, betonte sie. Im Fokus ihrer Arbeit stehe „die Verbesserung des Schutzes von Opfern sexueller Gewalt“.
Einig sind sich die ÖVP- und die SPÖ-Frauen in einem Punkt: Ja, im Sexualstrafrecht und beim Gewaltschutz müsse nachgeschärft werden.
Umkehr eines alten Prinzips
Eine Maßnahme, die als fix gilt, ist die Einführung des Zustimmungsprinzips. „Damit müsste das Gericht künftig überprüfen, ob eine Zustimmung vorlag und nicht mehr, ob sich die Frau gewehrt hat oder zu erkennen gegeben hat, dass der Sexualakt gegen ihren Willen vollzogen wird“, erklärt Sporrer.
Sie meint damit den Tatbestand der „Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung“, der auch im Fall Anna angeklagt war. Sexualpartner sollen künftig klar ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen müssen. Die Devise: „Nur Ja heißt Ja.“
Diesen Paradigmenwechsel umzusetzen „wäre ein entscheidender Fortschritt für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen“, sagt Holzleitner. Die Maßnahme werde „intensiv im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an Frauen diskutiert“. Anlässlich der Aktion „16 Tage gegen Gewalt“, die weltweit jedes Jahr zwischen 25. November und 10. Dezember stattfindet, soll ein Ergebnis präsentiert werden.
Als weiteren Schritt nennen die ressortzuständigen SPÖ-Ministerinnen den Ausbau der Gewaltambulanzen, um die Position von Opfern in Strafverfahren zu stärken.
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