Ex-Top-Beamter Matzka: "Es wird gespenstisch im Kanzleramt"

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35 Jahre war Manfred Matzka führender Beamter im Kanzleramt. Ein Blick hinter die Kulissen der Macht.

KURIER: Herr Matzka, Sie haben sechs Bundeskanzler am Ballhausplatz erlebt. Auch die Wenderegierung. Heute scheint sich ein Machtwechsel anzukündigen. Wie ist die Stimmung am Ballhausplatz, wenn ein neuer Kanzler einzieht?

Manfred Matzka: Am Tag nach der Wahl, wenn man annehmen kann, dass ein neuer Kanzler kommt, wird die Stimmung im Kanzleramt gespenstisch. Denn der Chef ist Dead Man Walking. Die Koalitionsverhandlungen der neuen Regierung laufen im Geheimen ab. Der neue Kanzler ist noch nicht da. Es läuft zwar alles wie immer ab. Aber jeder weiß, es ist eigentlich wurscht.

Welcher war der emotionalste Abschied eines Kanzlers?

Das war der Abschied von Viktor Klima. Weil der Kanzler sehr dramatisch zu Ende kam. Bei seiner Abschiedsrede gab es Tränen. Zwei andere Kollegen liefen damals zu den Fenstern, öffneten sie und schrien: "Endlich kommt frischer Wind herein". Damit stießen sie viele vor den Kopf. Zuviel Emotionen sind bei den Abgängen nicht wünschenswert. Auch bei Kreisky gab es keinen zelebrierten Abschied. Denn er mochte keine Hochämter.

Wie wurde Wolfgang Schüssel von den Beamten empfangen?

Das Haus ist prinzipiell loyal. Unter Schüssel war ich schon Präsidialchef. Es war ein kalter Februartag, als er die Sektionschefs zum Kennenlernen traf. Das Gespräch mit mir begann er mit folgenden, sehr direkten Worten: "Sie wissen eh, dass ich im Ministerrat nicht dafür war, dass Sie diesen Job bekommen." Worauf ich antwortete: "Ja, das weiß ich. Aber Sie wissen auch, dass ich Sie nicht gewählt habe." Damit war die Situation klar und wir entwickelten eine gute Zusammenarbeit.

Mit Christian Kern hoffte die SPÖ auf einen Kanzler mit mehr Durchsetzungskraft. Doch auch er strauchelte. Welche Qualitäten muss ein Kanzler haben?

Man benötigt nicht mehr oder weniger von einer Qualität, sondern etwas anderes. Was ist das? Erstens einen professionellen, intelligenten Umgang mit dem Apparat. Das ist doch ein politisches Dienstleistungsunternehmen mit 1000 Beamten. Auf diesem Klavier muss man spielen können. Leider schaute die Tendenz in den letzten zehn Jahren anders aus. Die Kanzler haben sich zu sehr auf ihr unmittelbares Umfeld im Kabinett verlassen. Franz Vranitzky hatte das im Griff. Die zweite Säule ist der Kanzler als Strategiegeber. Formal gesehen hat der Kanzler nicht mehr Pouvoir als ein Minister. Er bezieht seine Führungsrolle aus seiner Persönlichkeit.

Daher benötigt er eine starke Position in seiner eigenen Partei. Die dritte Säule ist die Konzentration auf eine strategische Gesamtführung. Der Kanzler muss das große Thema vorgeben und er muss alle Minister dafür verantwortlich machen, dass sie am selben Strang ziehen. Passiert das nicht, dann läuft sich der Kanzler leer.

Wie schwer wächst man in diese Rolle hinein?

Am Anfang erschlägt einen fast die Atmosphäre im Kanzleramt. Trotzdem ist das Haus sehr modern geführt. Wichtig ist, dass man sich nicht von früh bis spät mit Terminen zudecken lässt. Wenn der Kanzler nicht aufpasst, ist er im Viertelstunden-Takt ausgebucht und das 14 Stunden am Tag.

Sie haben viele Wahlkämpfe hautnah miterlebt. Viele fühlen sich jetzt an die US-Serie "House of Cards" erinnert. War das der schmutzigste Wahlkampf?

Schmutziger weiß ich nicht, aber komischer war es noch nie. Der Umgang mit den neuen Medien ist natürlich ein Hund. Aber die Entwicklung hängt damit zusammen, dass die Politik und die Inhalte verloren gehen.

Jetzt konzentriert sich alles auf Image und auf Spin. Dabei sollte es um Gesundheit, Bildung, Wohnung und Arbeit gehen. Dass es die Politik nicht schafft, diese Themen so sexy zu machen, dass man nur darüber spricht, ist ein Politik-Versagen.

Sie haben ein Buch über die Geschichte des Kanzleramts geschrieben. Warum wurde die Große Koalition in den vergangenen Jahren zum Auslaufmodell?

Es gibt eine unselige Entwicklung in den vergangenen Jahren. Die Bedeutung der Ministerbüros ist zu groß geworden. Die Mitarbeiter (sie werden politisch besetzt und sind keine Beamte) leben davon, dass sie scheinbar große Probleme lösen. Wenn es keine gibt, müssen große Probleme geschaffen werden. Deswegen dominiert die Blockade. Eine weitere Fehlentwicklung: Die Mitarbeiter im Ministerbüro sind absolut überbezahlt. Aus diesem Grund hängen sie wie die Kletten an ihrem Job. Sie verdienen oft das doppelte wie ein Beamter in der Verwaltung. Die Rekrutierung erfolgt oft auf Zuruf, deswegen ist die Qualifikation meistens schlecht. Kein Vorstand würde sich seinen engsten Stab so aussuchen, wie das ein Kanzler oder Minister macht. Ein EU-Kommissar hat maximal sechs Referenten, bei anderen Ministerien gab es bis zu 18 Referenten.

Die wichtigste Vertrauensperson des Kanzlers in der Regierung ist meistens der Kanzleramtsminister. Wer war für Sie der beste?

Das ist einfach: Franz Löschnak.

Warum gerade er?

Löschnak war ein Verwaltungsprofi. Er war ein genialer Verhandler, erzielte viele Kompromisse. Er war es auch, der einen intelligenten Satz sagte: "Sobald man Minister wird, muss man sich täglich in den Spiegelschauen und sagen: Jetzt beginnt für mich das Ende." Das soll bedeuten: Das Ende kommt sicher und wahrscheinlich früher als geplant. Dieses Ritual bewahrt einen vor Allmachtsfantasien. Diesem Rat sollten viele Minister folgen.

Gibt es eine Anekdote, an die Sie sich gerne erinnern?

Ja, einmal war ich mit Alfred Gusenbauer beim Opernball. Ausgerechnet kurz vor der Eröffnung entdeckten wir, dass zwei Knöpfe an seinem Frack fehlten. "Was sollen wir machen?", fragte Gusenbauer. Ich antwortete: "Ich gebe dir zwei von mir. Bei mir ist es egal, aber bei dir nicht." Also stellten wir uns dicht zueinander und ich ersetzte die fehlenden Knöpfe. Wir hofften, das uns kein Fotograf dabei erwischt.

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