Ex-Minister Anschober: "Versöhnung mit militanten Leugnern ist nicht realistisch“
Er war noch nicht einmal zwei Monate im Amt, als die Pandemie ausbrach und sein Ressort plötzlich zum Epizentrum des tagespolitischen Geschehens wurde: Rudolf Anschober. Der Ex-Gesundheitsminister hat diese Phase in seinem 2022 erschienenen Buch "Pandemia" aufgearbeitet.
KURIER: Die Regierung startet einen Dialogprozess, um sich mit den Menschen zu "versöhnen": Was halten Sie davon?
Rudolf Anschober: Ich fordere seit einem Jahr einen Dialog und habe das bei meinen Lesungen auch mit gezielten Einladungen an Kritikerinnen und Kritikern praktiziert. Dabei hat sich gezeigt: Es funktioniert mit gesprächsbereiten Kritikern sehr gut, mit militanten Leugnern allerdings nicht.
Welche Verfehlungen sehen Sie? Gibt es etwas, wofür Sie sich entschuldigen würden?
Ich habe mit vollstem Einsatz nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – evidenzbasiert auf Basis des damaligen Wissensstandes, der natürlich mit dem heutigen nicht zu vergleichen ist. Vieles hat gerade in der Startphase sehr gut funktioniert, wir waren sehr schnell und konsequent, die Bevölkerung sehr solidarisch. Dann wurde das Virus unterschätzt, die Pandemie verparteipolitisiert. Natürlich sind zum Beispiel handwerkliche Fehler geschehen, die erklärbar waren durch die massive Be- und Überlastung des Gesundheitsministeriums.
Wie kann man die Gräben in der Gesellschaft zuschütten?
Das Wichtigste ist, miteinander zu reden, zuzuhören, aber auch Verschwörungsthesen richtigzustellen. Man muss unterscheiden zwischen berechtigter Kritik und militanten Corona-Leugnern.
Ist eine "Versöhnung" überhaupt realistisch?
Ich glaube nicht, dass es mit militanten Leugnern realistisch ist. Einigen geht es ja nicht um den Umgang mit der Pandemie, sondern sie haben die wüstesten Fake News verbreitet und sind jetzt vielfach Putin-Freunde. Vorrangig geht es denen um die Zerstörung des Systems. Aber die viel größere Gruppe, die Kritik an einzelnen Maßnahmen geübt hat, können wir erreichen. Und dazu braucht es nicht nur eine zentrale Veranstaltung, sondern Hunderte in den Gemeinden, mit Experten und Betroffenen am Tisch. Das wäre schon viel früher notwendig gewesen.
Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung wahr?
Die Bevölkerung hat die Entwarnung der Politik ernst genommen. Trotz täglich tausendender Neuinfektionen. Ich hoffe, dass es da nicht noch Überraschungen gibt.
Welche Fragen sind aus Ihrer Sicht noch ungelöst?
Völlig ungelöst ist die chronische Erkrankung Long Covid bzw. ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Fatigue Syndrom). Wir brauchen endlich eine flächendeckende Behandlung und Betreuung. Je mehr Infektionen, desto höher die Zahl der Betroffenen. Es wird die größte chronische Erkrankung in Europa werden. Was künftige Pandemien betrifft, bin ich für eine europaweit abgestimmte Vorgangsweise. Europa und die USA waren auf die Corona-Pandemie nicht vorbereitet, und wir machen bis heute nichts gegen die Ursachen.
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