EVP-Weber sieht "Migration als offene Wunde Europas"

Manfred Weber, Sebastian Kurz
Kanzler Kurz und EVP-Frontrunner Weber treten als Duo auf. Es ist ein Gewinn für beide.

„Wer von ihnen glaubt, dass ein Herr Salvini in Italien wirklich Wirtschaftswachstum schafft? Hand hoch!“

Er fragt gerade heraus, in tiefstem Bayerisch, direkt ins Publikum.

Er, das ist Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei EVP, ihr Spitzenkandidat und möglicherweise der nächste Präsident der EU-Kommission.

Wer also glaubt an den Rechtspopulisten Salvini?

Im Saal schnellt kein Arm nach oben, man ist sich einig – es ist nicht das einzige Mal an diesem Abend.

Gemeinsam mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zieht der 46-jährige Weber gerade „um die Häuser“, wie er sagt. Es herrscht Wahlkampf, Ende Mai wird ein neues EU-Parlament gewählt.

Beim von KURIER-Chefin Martina Salomon moderierten „Europa-Talk“ im Wiener Raiffeisen-Forum erklären die beiden Konservativen, wie sie sich Europa und die Union in Zukunft vorstellen.

Warum eigentlich, Manfred Weber

Der politische Paarlauf macht für beide Sinn. „Weber versucht, bestimmte Aspekte in Sebastian Kurz’ Kurs zu imitieren“, sagt Politikberater Thomas Hofer. Der Österreicher gelte im konservativen Lager als einer der vorzeigt, wie’s geht. „Viele Konservative in Europa wollen sich etwas abschauen.“

EVP-Weber sieht "Migration als offene Wunde Europas"

Publikum im Raiffeisen-Forum

Umgekehrt weiß Sebastian Kurz: Schafft Weber den Sprung an die Spitze der EU-Kommission, hat er in ihm einen mächtigen Verbündeten – man kennt einander seit Jugendtagen.

Das große Thema an diesem Abend ist die Wirtschaft.

Europa muss lernen, vom Alltag der Menschen her zu denken. Von unten nach oben“, sagt Weber.

Was er damit meint: Die EU solle sich vor allem um die großen Themen und die Konzerne kümmern. Hygiene-Vorschriften in Supermärkten zum Beispiel – aber nicht, wie man „den Handwerker und Metzger ums Eck“ mit Bürokratie quält.

Bei Sebastian Kurz rennt der Deutsche damit offene Türen ein. Der ÖVP-Chef will die Zinspolitik Europas überdenken und hält auch das europäische Wettbewerbsrecht für reformbedürftig.

EVP-Weber sieht "Migration als offene Wunde Europas"

Diskussion: Martina Salomon, Manfred Weber, Sebastian Kurz

Ein wirtschaftspolitischer Bereich liegt ihm besonders am Herzen: „Bei IT und Digitalem sind wir leider klar hinter China und den USA“, befundet Kurz. Und damit ist man auch bei einer der zentralen Thesen des Wieners: Nur wenn Österreich und Europa wirtschaftlich erfolgreich und stark sind, könne man auch die europäischen Grund- und Menschenrechte auf andere Kontinente exportieren.

Die Diskussion wäre aber nicht vollständig, würde nicht auch das bestimmende Thema Europas der vergangenen Jahre, nämlich der „totale Kontrollverlust“ (Kurz), zur Sprache kommen.

EVP-Weber sieht "Migration als offene Wunde Europas"

Interview: Manfred Weber, Martina Salomon

Für Kurz und Weber steht und fällt Europa mit dem funktionierenden Außengrenzschutz.

Nicht von ungefähr will der Bayer die Migration zur Chefsache machen, sollte er es an die Spitze der EU-Kommission schaffen.

„Die Migration ist die offene politische Wunde Europas“, sagt er. Von Zypern bis Portugal würden ihn Wähler wieder und immer wieder auf dieses eine, das zentrale Thema ansprechen.

Weber nutzt seinen Auftritt in Wien, um die Unterschiede zu Salvini und all den anderen Rechtspopulisten herauszuarbeiten. „Ich bin Christdemokrat und als solcher ist für mich jeder Flüchtling ein Mensch mit einer unteilbaren Würde.“

Visionen

Doch was sind die großen Visionen, was ist das Zukunftsthema, mit dem er, Weber, die Europäer wieder für die Union begeistern will?

Im Raiffeisen-Forum nennt der Bayer ein schweres, aber wichtiges Thema: Krebs.

„Was wäre, würden wir alle Forschungsgelder Europas bündeln und dazu beitragen, dass Krebs auf dem Kontinent stark gelindert oder möglicherweise ganz heilbar wird? Darauf könnten die Europäer dann stolz sein.“

Ganz zum Schluss streift man auch den Brexit. „Die Möglichkeit besteht, dass die Briten bei den EU-Wahlen mitmachen“, sagt Weber. „Da tu’ ich mir schwer damit, aber letztlich sind die Briten den Populisten auf den Leim gegangen.“ Und auch hier will ihm kaum jemand widersprechen. Nicht der Kanzler, aber auch nicht im Saal.

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