Familienbeihilfen-Regel "widerspricht EuGH-Rechtssprechung"

Maria Berger ist seit 2009 Richterin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Im Herbst endet ihre Funktionsperiode.
EuGH-Richterin Maria Berger zur Indexierung der Familienbeihilfe, Gold-Plating und Österreichs Forderung nach Subsidiarität.

Die ehemalige Abgeordnete zum Europäischen Parlament und Justizministerin der SPÖ, Maria Berger, ist seit 2009 Österreichs Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Im Herbst endet ihre Funktionsperiode. Sie wird dann weiter als Honorarprofessorin an der Juristischen Fakultät der Universität Wien tätig sein.

KURIER: Frau Doktor Berger, Österreich übererfüllt EU-Regelungen und EU-Richtlinien (Gold-Plating genannt, Anm.), sagt Justizminister Josef Moser. Er will das beenden. Ist das ein richtiger Schritt? Maria Berger: Bei der Umsetzung von EU-Recht hat der Gesetzgeber immer gewisse Spielräume. Es ist auch immer sinnvoll, unnötige Bürokratie zu vermeiden, egal ob es nationale Zuständigkeit oder EU-Recht ist. Viele EU-Vorschriften sind Mindestvorschriften. Die EU schreibt mindestens vier Urlaubswochen vor, Österreich hat fünf. Die Abschaffung der fünften Urlaubswoche könnte man auch als Vermeidung von Gold-Plating verkaufen.

Das heißt, man kann auch nach unten nivellieren?

Das ist die Gefahr, dass Minimumstandards bei sozialen Rechten, im Verbraucher- und Konsumentenschutz oder beim Strafrecht eingeführt werden.

Ist die von der Bundesregierung geplante Indexierung der Familienbeihilfe konform mit EU-Recht?

Ich bin der Meinung, dass sie der bisherigen EuGH-Rechtssprechung widerspricht. Ich kann mich dazu äußern, weil ich im Falle einer Klage nicht mehr am EuGH sein werde. Das Problematische ist, dass die Familienbeihilfe im Inland nicht indexiert ist, sondern nur für Personen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit in der EU Gebrauch machen. Das sind entweder Personen, die aus einem anderen EU-Land zu uns gekommen sind und hier arbeiten, oder Österreicher, die hier ihre Beiträge leisten und deren Kinder in einem anderen EU-Mitgliedsland leben.

Erwarten Sie eine Klage beim EuGH, sollte die Indexierung – wie geplant – im Jahr 2019 kommen? Wie ist das genaue Prozedere?

Die schnellste Möglichkeit ist, dass ein Arbeitnehmer in Österreich, dem die Kinderbeihilfe gekürzt wurde, zu einem österreichischen Gericht geht. Das österreichische Gericht gibt dem EuGH diesen Fall im Vorabentscheidungsverfahren weiter.

Kann auch die EU-Kommission in Brüssel aktiv werden?

Das ist die zweite Möglichkeit. Die EU-Kommission kann ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten, das ist ein mehrstufiges Verfahren. Am Ende entscheidet die EU-Kommission, ob sie den EuGH anruft.

Was halten Sie von der Forderung der Regierung nach mehr Subsidiarität?

Die richtige Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU zu finden ist ein permanentes Anliegen. Welche Kompetenzen übertragen werden, muss von den Mitgliedstaaten einstimmig und mit Zustimmung der nationalen Parlamente beschlossen werden. Die EU darf nur das tun, was ihr ausdrücklich übertragen wurde. Wer jetzt sagt, das ist zu viel gewesen, müsste auch dazu sagen, dass es eine Änderung der EU-Verträge und eine neue Kompetenzverteilung braucht.

Jetzt wollen die Länder mehr Außengrenzschutz.

Die Länder wollen, dass die EU mehr im Bereich Außengrenzschutz und Asylrecht tun kann sowie mehr Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Staaten hat, die sich nicht an rechtsstaatliche Prinzipien halten. Auch die Vorschläge von Macron und Merkel rufen nach mehr EU-Kompetenzen.

Ist die Forderung nur populistisch?

Ich würde sie nicht generell so qualifizieren. Kompetenzverteilung war immer ein Ringen. Ich habe aber noch keinen konkreten Vorschlag gehört, welche Kompetenzen der EU abgeschafft werden sollen. Auch in der österreichischen Debatte habe ich bis jetzt noch nichts gehört.

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