Türkiser vs. grüner Landwirt: "Mit Blumenwiesen verdient man kein Geld"
Der Green Deal mit seinen 137 Gesetzesvorschlägen prägte die vergangene EU-Gesetzgebung. Der KURIER bat zwei EU-Parlamentarier, die auch Landwirte sind, darüber zum Streitgespräch.
Was die EU-Mandatare Alexander Bernhuber (ÖVP) und Thomas Waitz (Grüne) über den Green Deal denken.
KURIER:Alles begann mit dem Green Deal, Maßnahmen der EU für mehr Klimaschutz und Umweltschutz, der als Europas "Man on the Moon"-Moment bezeichnet wurde. Ist diese Rakete überhaupt gestartet?
Waitz: Im Bereich der Förderungen der Erneuerbaren Energien ja, bei Emissionsreduktion zum Teil, auch in der CO2-Bepreisung. Doch bei Naturschutz und Artenschutz sind wir aufgrund des Widerstands der Konservativen krachend gescheitert.
Bernhuber: Der Green Deal hat als großes Ziel Klimaneutralität 2050, das unterstützen wir klar. Man muss sich aber jedes Gesetz genau ansehen. Wir haben dann zwei große Krisen erlebt, auf die der Green Deal nie ausgelegt war, die uns aber zeigten, wie fragil manche Bereiche sind.
Waitz: Die Krisen bestätigen doch die Notwendigkeit des Green Deals. Kurze, regionale Wertschöpfungsketten und die Notwendigkeit, sich von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Das war spätestens klar, als Putin begonnen hat, am Gashahn herumzudrehen, wodurch die Inflation explodierte.
Bernhuber: Nein, aber man muss sich die 137 einzelnen Gesetze doch genau ansehen.
Sie sind beide Landwirte, haben aber konträre Standpunkte beim Thema Renaturierungsgesetz – warum?
Bernhuber: Wenn man in die Landschaft schaut, sieht man, dass alles schon reguliert ist. Es geht um 23 eigene Verordnungen. Wir stimmen ja nicht über eine Überschrift ab. Und kein einziges Kapitel sagt, wie das finanziert werden soll.
Waitz: Mir ist der Widerstand der ÖVP unerklärlich. Wir haben ja beste Voraussetzung zur Erfüllung der Renaturierung, da tun sich andere Regionen Europas viel schwerer. Warum man Wälder wieder in einen besseren Zustand versetzen muss, da muss man nur nach Osttirol, Kärnten oder ins Waldviertel schauen, wo die Fichten-Monokulturen eingehen. Forscher sagen uns seit Jahrzehnten, was getan werden muss. Dass man diese Änderung jetzt gesetzlich durchsetzen muss, ist traurig, aber notwendig.
Landeshauptmann Peter Kaiser von der SPÖ hat kürzlich noch einmal betont, warum auch er gegen das Gesetz ist. Das lehnen ÖVP und SPÖ ab.
Waitz: Dabei gab es schwere Unwetter und Verwüstungen in Kärnten im Vorjahr, das hat der Landeshauptmann offenbar übersehen.
Bernhuber: Die Kritik ist doch, dass man mit dem Gesetzesbeschluss glaubt, damit wäre es gelöst. Ich finde, man muss den Regionen ihre Freiheiten geben, das hat das Gesetz nicht im Gespür.
Die Landwirtschaft ist hoch subventioniert und produziert dafür hervorragende Lebensmittel. Aber kann man dafür nicht verlangen, dass mehr auf die Böden und die Umwelt geachtet wird?
Bernhuber: Das Einkommen der Betriebe ist sicher nicht so gestiegen, wie bei den meisten Angestellten, da kann man nicht verlangen, dass der Landwirt das alles zusätzlich leisten soll. Mit Blumenwiesen verdient man kein Geld. Oder man schafft es, dass von den Lebensmittelpreisen mehr bei den Landwirten ankommt.
Waitz: Da sind wir schon eher einer Meinung. In der EU verlieren wir jeden Tag fast tausend Agrarbetriebe, fünf Millionen in 15 Jahren. Also müssen wir schauen, dass die Landwirte einen fairen Preis bekommen. Allerdings können wir diese großen EU-Fördertöpfe nur legitimieren, indem wir klar sagen: Wir sind bereit, unseren Beitrag zum Naturschutz, zum Artenschutz, zum Klimaschutz zu leisten. Wenn aber Teile der Landwirtschaftsvertretung beginnen, eine Umweltmaßnahme nach der anderen abzusägen, werden wir ein Problem mit der Akzeptanz in der Gesellschaft bekommen.
Waitz: Dass die Bundesländer darauf bestehen, Umwelt- und Naturschutz in ihrer Kompetenz zu halten, ist weder die Schuld der EU-Kommission noch der Bundesregierung. Dass man bei uns Naturschutz in neun kleinen Fürstentümern macht, kann man außerhalb Österreichs niemandem erklären.
Bernhuber: Man soll doch die Probleme auf der kleinsten Ebene lösen. Wir brauchen niemand in Wien, der die Lawinenverbauung vorgibt. Der Naturschutz soll auf Bundesländerebene bleiben, dort kennt man die Probleme der Regionen besser.
Das Renaturierungsgesetz hat jedenfalls keine Mehrheit.
Waitz: Aber warum? Vor etwa einem Jahr hat bei uns im EU-Parlament die Europäische Volkspartei den pro-europäischen Konsens verlassen und begonnen, proaktiv mit Rechtsaußen-Parteien, Rechtsextremen und Postfaschisten strategisch gemeinsame Ziele zu formulieren und gemeinsam Regelungen in der EU abzuschießen.
Bernhuber: Ich weiß ja nicht, ob es besser wäre, mit Linksradikalen zusammenzuarbeiten – warum ist das kein Problem? Was im Parlament beschlossen wird, ist demokratisch entschieden. Bei den Menschen schwindet aber zusehends das Vertrauen in die EU, und das hat mit einer Gesetzgebung zu tun, die viele überfordert hat.
Hat die ÖVP den europäischen Konsens verlassen?
Bernhuber: Überhaupt nicht. Wir müssen uns aber Gedanken machen, ob wir alles auf EU-Ebene regeln müssen.
Thomas Waitz (*16. Mai 1973 in Wien) aus der Südsteiermark ist Biobauer, Forstwirt und Politiker der Grünen. Aktuell ist er Co-Vorsitzender der EU-Grünen und auf der Wahlliste der Grünen die Nummer 2. Er wuchs als Kind eines Eisenbahners in Wien auf und ist Vater von drei Kindern.
Alexander Bernhuber (*18. Mai 1992 in St. Pölten) aus dem Mostviertel ist Landwirt und ÖVP-Politiker. Er ist Österreichs jüngster EU-Abgeordneter und Agrar- und Umweltsprecher der ÖVP-Delegation im EU-Parlament und kandidiert auf der Wahlliste der ÖVP auf Platz 3.
Der letzte Aufreger war die Reform der Agrarpolitik. Herr Waitz war dagegen, Herr Bernhuber dafür?
Bernhuber: Der Frust in der europäischen Landwirtschaft ist groß, wegen der extremem Preisverwerfungen und des Bürokratieaufwands, wenn also Bauern mehr im Büro sitzen, als am Traktor, weil alles dokumentiert und aufgezeichnet werden muss.
Waitz: Bei diesem Beschluss wurden sämtliche europäischen Standards übergangen, es war eine Ho-ruck-Gesetzesänderung und ein Wahlkampfzuckerl. Die EU-Landwirtschaft hat das Problem, nicht mehr von den Erzeugerpreisen leben zu können, aber nicht wegen Ökostandards.
Wir sind aber ohnehin Europameister bei Biobetrieben.
Waitz: Die österreichischen Landwirte sind da der Politik weit voraus, viele machen Umweltschutzmaßnahmen, weil es vernünftig ist und Sinn macht. Ich verstehe nicht, warum wir in Österreich nicht stolz darauf sind.
Bernhuber: Das Ziel der Kommission sind 30 Prozent Biolandwirtschaft, ohne sich Gedanken zu machen, wie das beim Konsumenten ankommt. Wir sind Bio-Exportland, und damit abhängig von anderen Märkten, weil es in Österreich nicht gekauft wird.
Waitz: Du unterstellst der Kommission, dass sie sich keine Gedanken gemacht hat?
Das Geld für die teuren Produkte kommt ja offenbar nicht beim Bauern an.
Bernhuber: Der Wunsch der Konsumenten vor dem Supermarkt spiegelt sich halt nicht wider, wenn man auf das Kassaförderband schaut. Da dominieren die Diskont-Lebensmittel. Da hat ein regionaler Produzent wenig Chancen. Wir müssen schauen, dass es mehr Transparenz gibt zwischen Landwirt, Handel und Konsumenten.
Waitz: Es wäre wichtig, dass die Landwirte einen besseren Preis für ihre Produkte bekommen. Ich vermute im Handel Kartellabsprachen bei den großen Supermarktketten, da müssen die Kartellbehörden aktiver werden. Dafür haben wir aber eigentlich die Landwirtschaftskammer, die soll sich dafür einsetzen.
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